Samstag, November 22, 2025

Thimi

Eigentlich wollten wir heute nach Thimi fahren. Eigentlich heißt die Stadt Madhyapur. Offiziell heißt sie मध्यपुर थिमि - Madhyapur Thimi. Eigentlich war ich da kürzlich zu Fuß. Aber wir peacewalker hatten die falsche Ausfahrt aus der metropolitan city genommen und liefen unendlich lange auf einer Umgehungsstraße nach Bhaktapur. Wir, W und ich wollten uns umsehen an einem sonnigen Samstag in der Umgebung. Nach einer neuen Bleibe. Aber das Deutsche Auswärtige Amt warnte rechtzeitig, nämlich gestern nachmittag um 16:17 Uhr Ortszeit seine lieben Landsleute vor heutigen Unruhen.  

Ex-PM Oli mobilisiert seine Marxisten und Leninisten, stellt eine NVF (National Volunteers Force) auf und ernennt zu deren Chef einen Mann, der mehrere Verfahren am Hals hat wegen Mordes, versuchten Mordes, Anstiftung zu Morden, Entführung, Erpressung und dergleichen mehr. So, so Oli, soll die öffentliche Ordnung gesichert, Gewalt und Anarchie entgegen gewirkt werden. Natürlich gibt niemand den greisen Marxisten und Leninisten freies Geleit!  

So bleiben wir also auf dem Hill und harren der Dinge, die da kommen werden. Geteert wird heute nicht. Und da die Arbeiten gestern nicht fertig wurden, bleiben die Verbindungsstraßen zu den Häusern im Norden der Siedlung weiterhin abgesperrt. Ich kaufe vorsorglich um die Ecke auf der Golfutar ein, Nudeln und Katzenfutter. Hustensaft und tiefgefrorene Yomaris. Bananen, natürlich nepalesische vom Strunk, und Orangen. Die kleinen süßen mit unglaublich vielen Kernen.

Freitag, November 21, 2025

Margasirsa

Zwei Beispiel zum Zeitverständnis: ich frage guruba, warum auf meinem Wandkalender auf dem aktuellen Blatt oben मार्गशीर्ष = Margasirsa steht, wo doch der Monat मंसिर = Mangsir heißt. Wie ich nachgeguckt habe, in der alten und neuen Schreib- und Sprechweise. Er weiß es nicht und fragt einen alten Nachbarn. Der sagt, früher habe der Monat saysb geheissen. Aber welcher?   

Unser Community Manager postete gestern abend um 08:24 pm (= 20:24 Uhr) eine message in nepali im communityinternen Viberchat. Ich verstand nur das Datum: 2082/08/05 - also der 5. des 8. Monats des Jahres 2082. Der fünfte Mangsir oder Margasirsa. Heute! Die anderen Zahlen deuteten wir als Hausnummern, unsere war nicht dabei. Trotzdem ließ ich den Text von einem Vibergestützten Programm ins Englische übersetzen und verstand kein Wort. Auch google präsentierte mir nur reinen nonsense. Wir vertrauten also auf den Augenschein. Als wir nämlich vom Abendessen zurückkamen, stand vor dem Eingangstor schweres Gerät. Das eine erkannte ich als die Teermaschine, die ich in Panipokhari gesehen hatte. Außerdem war ein riesiger Berg Kies abgeladen worden, während wir bei dragon saßen. Sowie mehrere dicke Baumstämme aufgestapelt, alle in identische Längen von etwa einem Meter zerhackt. 

Heute früh auf dem Weg zum Tempel sehe ich, dass vor dem Tor Betriebsamkeit herrscht. Wie immer, wenn gearbeitet werden soll, versammeln sich Menschen wie Ameisen. Es werden offenbar Vorbereitungen getroffen, die Straßen zwischen unseren Häusern neu zu teeren. Erstmal nur die Nordseite. Die Bewohner der Häuser, die es heute betrifft und die zB ihre Autos, Mopeds und Kinderwagen wegstellen sollten, da sie damit rechnen müssen, den ganzen Tag ihr Haus weder verlassen noch betreten zu können, haben das gestern abend zur Schlafenszeit erfahren.

Donnerstag, November 20, 2025

Neumond

Der Mond wird am Mittag neu auf dem Hill. Und das Internet verabschiedet sich. Der Strom ist da, auch das Wasser, die Sonne und der blaue Himmel. 

Was gibt es schöneres als internetfrei - ich setze mich aufs Dach mit Thjom,as Bells Buch über Kathmandu. Und stolpere sofort über das Zitat, das er Sylvain Lévi entlehnt und dem 6. Kapitel voranstellt:

"To be sure Hindus are far too little concerned with chronology to be in a position to claim that they introduce plausibility or logic into it, even when they invent it". 

Ich verstehe wohl, wovon die Rede ist - von der schwierigen Beziehung der Hindus zur Zeit (das gilt in nach-monarchistischen Zeiten in diesem Land auch für die Maoisten, Marxisten, Leninisten usw.). Ich verstehe aber die syntaktische Logik des Satzes nicht. Weil es eine Übersetzung aus dem Französischen ist, kehre ich an meinen Schreibtisch zurück und suche das Original. Dazu brauche ich das Internet und es ist wie durch ein Wunder wieder da. Der französische Orientalist Sylvain Lévi war 1898 auf Forschungsreise im Kathmandu Valley. Wieder zu Hause am Schreibtisch, schrieb er seine Ergebnisse nieder. Der von Bell englisch zitierte Satz lautet im Original so: "Sans doute les Hindous sont trop peu soucieux de la chronologie pour se piquer d'y introduire, même quand ils l'inventent, la vraisemblance et la logique" (Sylvain Lévi, Le Népal. Etude historique d'un royaume hindou. Paris Ed. Leroux 1905, S. 93)   

Google übersetzt mir das mit meiner minimalen Hilfe folgendermaßen: "Zweifellos kümmern sich Hindus zu wenig um die Chronologie, als dass sie sich die Mühe machen würden, Plausibilität und Logik hineinzubringen, selbst wenn sie sie erfinden."

Ich verstehe in allen drei Sprachen nicht, was die Hindus erfinden: die Chronologie, die Plausibilität oder die Logik? Wie auch immer. Kausalitäten verfälschen und Zeitläufte zurechtbiegen tun auch Menschen anderer Religionen oder Nationalitäten nicht ungerne. Lèvi bezieht sich auf  Stammesfürsten und Herrscher diverser Splitterkönigreiche im 13 Jahrhundert (AD - oder in ganz anderen Weltzeitaltern!). Er weist nach, dass "les Hindous" - wie er sie nennt - nicht nur ein Problem mit der Zeit und der historischen Einordnung ihrer vorsintflutlichen Oberhäupter haben, sondern auch mit den Zahlen. Dass sie etwa - dies nur beispielhaft, ohne historische Bedeutung - aus den Jahreszahlen 1234 und 1389 so etwas kreieren wie 3124 und 3189. Nur weil in beiden ursprünglichen Jahreszahlen die Zahlen 3 und 1 vorkommen.

Das ist das, was ich täglich in den shutters auf der Golfutar erlebe. Die Gemüse- und Obstverkäufer können nicht rechnen. Sie addieren alles auf ihren Taschenrechnern. Weil ich die Preise eh nicht verstehe, ist das praktisch. Denn ich kann lesen. Auch das Wechselgeld wird über die kleine Maschine, manchmal ist es auch das Smartphone, errechnet. Und die Noten in der Hand werden dreimal nachgezählt. Auch im Supermarkt mit elektronischer Kasse.

Vielleicht geht die Unfähigkeit der heutigen Nepali, die Welt oder das Leben in einer (auch) zeitlichen Dimension wahrzunehmen und zum Beispiel einen Kalender im Kopf zu haben, zu wissen, was heute ist und was sie morgen. übermorgen, oder nächste Woche tun werden, auf die Unfähigkeit zurück, Zahlen zu (er)kennen?

Mittwoch, November 19, 2025

Die Papierblume

Es ist eine Bougainvillea - eine Drillingsblume. Sie gehört zur Familie der Wunderblumengewächse. Ich lag mit meinen Vermutungen nicht verkehrt. Die roten Blätter sind Blätter und die Blüten weiß versteckt darin, jedenfalls bei mir, winzig und immer zu dritt angeordnet. Deswegen zu deutsch die Drillingsblume. Den wissenschaftlichen Namen verdanken wir Monsieur Louis Antoine de Bougainville, Seefahrer und Entdecker, wie ich lese. Er soll die Pflanze von Südamerika nach Europa gebracht haben. Aber ich lebe in Südasien und warum der Name des Abenteurers für die Pflanze leicht latinisiert (oder was bedeutet die Endung -ea?) wurde, weiß ich nicht. Die Insel Bougainville trägt seinen Namen stolz französisch.

Hier heißt sie कागजो फूल - kagaji ful - oder कागजको फूल - kagajko ful. "ful" für Blume (hatten wir schon des öftern) und "kagaji" oder "kagajko" zu कागज - das Papier mit (falls diese Sprache so etwas wie Grammatik kennt) Genitivpartikel. Die Papierblume! Die Blume des Papiers. Oder die Blume aus Papier. Diese leuchtend crimsonroten Blätter, die nicht die Blüten sind, aber die Pflanze, wenn sie blüht, vollkommen dominieren, fühlen sich tatsächlich zart wie japanisches Seidenpapier an, wenn ich sie berühre - was ich allerdings nicht zu oft tun sollte. Denn sie fallen leicht ab.

Dienstag, November 18, 2025

Das Idyll

Eier sind mehr als ein Viertel teurer geworden, seit ich das letzte Karat kaufte. Heute früh balancierte ich 5x6=30 frische Eier bruchsicher über die zu der Zeit immer chaotische Golfutar. Das machen alle so, also ist es nicht weiter schwierig.

Das Idyll hingegen ist statisch. Stillstand. Letztlich langweilig. Es taugt nicht zur Legendenbildung, ihm fehlt der Nervenkitzel. Mit der reinen Harmonie im Valley unter den Nagarajas musste etwas geschehen, sonst wäre sie nicht der Rede wert. Irgendwie mussten die Menschen angelockt werden, die heute die Straßen der Stadt füllen und die Luft zum Atmen verpesten. Schwimmen können die meisten Nepali nicht, Luft- oder Wasserschlösser bauen auch nicht, nicht einmal im Traum. Wasser ist nicht ihr Element! Wäre der See ein See geblieben, hätte man den Nagarajas, die sich darin pudelwohl fühlten, nicht den Garaus machen brauchen, und alles wäre in schönster kosmischer Ordnung geblieben. So aber, munkelt man, hocken die Nagas, die Schlangen, immer noch verschnupft und stinkesauer in unterirdischen Wasserläufen und lauern nur darauf, den Intrudern eins auszuwischen. Wehe, einer baut an der falschen Stelle und hört nicht auf den Rat der Weisen, Weissager, Wünschelrutengänger, Astrologen, Lamas, Gurus oder Geobiologen!

Montag, November 17, 2025

bleiben

Heute ist der 17. November 2025. Und der 1. Mangsir 2082. मंसिर oder मार्गशीर्ष ist der achte Monate im nepalesischen Kalender. In diesem Jahr hat er 29 Tage. In manchen auch 30.  

Wir sind am 17. vor einem Jahr und zwei Monaten in Kathmandu angekommen. Auch damals begann gerade ein neuer Monat im nepalesischen Kalender, es war der erste Tag des sechsten Monats असोज - Ashoj oder आश्विन - Ashwin des Jahres 2081. Wir sind also nach BS - Bikram Sambat exact 14 Monate im Lande. Das ist auch hier ein Jahr und zwei Monate.  

Zur Feier des Tages Bilder einer Pflanze, deren Name ich nicht kenne. Sie wächst an unserer Hauswand, obwohl die Besitzer vor unserem Einzug versucht haben, sie zu vertreiben. Der Strunk sah brutal und unprofessionell zerhackt aus. 
Anfang Februar gab sie mir deutlich zu verstehen, dass sie trotz Verunstaltung bleiben wollte, also schützte ich sie mit ein paar Steinen und versorgte sie regelmäßig mit Wasser. Alles andere bekam sie vom Himmel, von der Sonne. Die Handwerker, die bald darauf für Wochen, Monate unseren Vorgarten besetzten - zuerst die Maurer mit ihren Sand- und Zementsäcken, und den Schuttsäcken, die sie vom Dach herunterholten, dann die Maler und ihr rund um das Haus wanderndes massives Bambusgerüst - respektierten seltsamerweise mein Stein-Arrangement. Kein einziger der ersten zarten Triebe wurde gebrochen oder zertrampelt. 
Seither drängt die Pflanze mit aller Macht nach oben. Unsere Landlady versuchte mir einst zu verstehen zu geben, dass Pflanzen während der Regenzeit außer Kontrolle geraten. Ich verstand natürlich nicht, was sie mir damit sagen wollte.
Seit ein paar Tagen nun blüht unser Wunderkind feuerrot. Wunderkind, weil sie, die Pflanze eine unheimliche Kraft besitzt und bereits faustdicke Äste hat. Auch Dornen, übrigens. Aber Wunderkind vor allem, weil ich nicht verstehe, wie sie ihre Blüten produziert. Woher sie das crimson, das Purpur nimmt. Knospen sehe ich keine. Es ist so, als ob einfach unvermutet, quasi über Nacht Büschelweise rote Blätter hervorkommen. In den Novembermorgen, die Novembersonne, den Novemberhimmel. 

Ja, das ist unser November. Der nepalesische Mangsir. Und unsere Hauswand. 

Sonntag, November 16, 2025

Der Zwist

Ich verstehe nicht, warum Manjushri als Bodhisattva der Weisheit und eine der wichtigsten Figuren des Mahayana Buddhismus gilt. Für mich ist er ein Schlitzohr. Ein Waffenträger. Ein Draufgänger. Einer, der zuerst zuschlägt und erst dann die Folgen seines Tuns bedenkt. Einer, der Zerwürfnisse in Kauf nimmt, um seine Ideen durchzusetzen. Auch ein heiliges Schwert, ein Flammenschwert - vajra sword of discriminating light - rechtfertigt nicht den Frevel! 

Im Valley, in der Legende nach Swayambhu Purana war zuerst Kacchapal Parvata, der Schildkrötenberg erzürnt, verwundet und zutiefst verletzt. Manjushri hatte ihn ohne Vorwarnung entzweigehauen. Dann die Schlangen, denen mit dem abfließenden Wasser jede Lebensgrundlage entzogen wurde. Der Berg besänftigte Manjushri mit dem Versprechen, auf seinem lädierten Gipfel einen Schrein für Karunamaya, den Allbarmherzigsten zu errichten. Damit werde ein heiliger Ort installiert, der Pilger aus der ganzen Welt zur spirituellen Einkehr einlade. Der Schildkrötenberg nickte. Was blieb ihm anderes übrig? 

Die Schlangencommunity hingegen war unrettbar entzweit. Die Nagarajas hatten im Gegensatz zum Kacchapal Parvata den Vorteil, mobil zu sein. Nichts hielt sie nicht mehr in ihrem gelobten Lande. König Taksaka Nagaraja verließ mit seiner Familie hoch erhobenen Hauptes das Valley. Auf die Bücklinge des Bodhisattvas erwiderte er unmissverständlich: "Du hast meine Heimat - den See - zerstört. Ich gehe zur Konkurrenz - zum Meer!" Kulika Nagaraja, der zweite Schlangenkönig war nicht auf den Kopf gefallen und ließ sich auf einen Handel mit dem falschen Gönner ein. Manjushri versprach ihm ein ruhiges Gewässer als neue Heimat und Kulika rechnete damit, dass der Bodhisattva nicht ewig im Valley bleiben würde. Sobald er wieder verschwunden wäre, würden seine Schlangen Mittel und Wege finden, das Loch zuzustopfen und den See wieder mit Wasser zu füllen. Er zog guter Dinge mit seiner Familie nach Tokha an die Vishnumati Quelle. Nur Karkotaka, der König der Könige der Nagarajas, Besitzer des Nagarasahrada, des Königreichnagasees, akzeptierte das Angebot Manjushris ohne Hintergedanken und zog in eine neuerschaffene Residenz innerhalb des Valleys, an den Taudaha See.

Manjushri hatte Schmerz, Vertreibung, Unfrieden und böse Gedanken ins Valley gebracht - unter dem Vorwand, den Boden urbar zu machen, damit sich Menschen ansiedeln konnten, die Swayambhu verehren würden. Die Geschichtsbücher des Abendlandes kennen für so eine Konstellation den Begriff "Religionskrieg".

Samstag, November 15, 2025

Das Schwert

Der See war aber nicht unbewohnt, nicht unbeseelt, nicht unbeherrscht. Im Wasser lebten bereits "göttliche", "mythologische" Kreaturen: die Nagarajas, die Schlangenkönige und ihre Schlangenvölker. Der oberste Schlangenherrscher hieß Karkotaka Nagaraja - कक्र्कोदक नागराज und sein See - es war ja seiner! - folglich Nagarasahrada - नागरसरह्रद, der Königreich-Naga-See. Das Wasser war heilig. Hier trafen sich göttliche Wesen zur spirituellen Einkehr lange vor den Adis, Tathagatas und Buddhas. 

Man besetzt nicht ungestraft fremdes Gebiet und schon gar nicht heilige Stätten! Eine buddhistische Legende bedarf aber keiner feindlichen Übernahmen. Unter dem zweiten Tathagata, Sikhi trafen alle göttlichen Wesen aus allen Sphären des Universums am Gestade des Sees ein, um dem Lotuslicht zu huldigen. Auch Sesa Naga kam, der alleroberste Schlangenkönig, die Stütze des Schlangen-Weltalls. Die vereinten göttlichen Energien führten prompt zu einem heftigen Erdbeben - aber nicht einmal das reichte für die heimlichen Absichten der Buddhisten, den See trockenzulegen! 

Es gelang erst unter dem dritten Tathagata, Vishwabhu, als Treta Yuga auf dem Wege der fortschreitenden Degeneration das Goldene Zeitalter der vollkommenen Harmonie abgelöst hatte. Aus MahaChin (heute: China) kam der Bodhisattva Manjushri - मन्जुश्री बोधिसत्त्व mit seinem Schwert! Während einer Meditation auf Wutaishan, dem Berg der fünf Gipfel - im Sanskrit पञ्चशिर्ष पर्वत (Panchasirsa Parvata) hatte ihn angeblich das Valley mit dem Nagavasahrada, dem heiligen See der Schlangenkönige, und dem heiligen Licht der Swayambhu Dharmadhatu gerufen. Und zur Tat aufgefordert. Er pilgerte nach Nepal, fand im Süden des Valley den tiefsten Punkt am Kacchapal Parvata (Turtle Mountain) und zerhieb diesen Berg kurzerhand mit seinem Chandra Hasa - चन्द्रहास, dem Schwert mit der Symbolkraft eines Mantras. Das Wasser floss ab, in Richtung Ganges. Also in das heutige Indien. Nach dem Handstreich war das Valley trocken und fruchtbares Ackerland, aus dem der Swayambhu-Hügel "wie von selbst" als nun höchster Punkt herausragte.

Freitag, November 14, 2025

zurückkehren

W bringt mir ein langärmeliges Oberteil meiner Lieblingsmodemarke aus Barcelona mit. In warmen, dunklen Herbstfarben. Ich habe dem Konsum (der Gier!) noch nicht ganz abgeschworen und freue mich! Obwohl es hier keinen Herbst gibt. Tagsüber haben wir Sommer bis Hochsommer, nachts Frühsommer.

Vipashwi brachte dem Valley Licht. Sein Lotos entfachte das Dharma Licht, das erleuchtete Licht. Alle Adis, die nach dem ersten folgten, ließen sich von den leuchtenden Blüten blenden. An der Stelle, wo Vipashwi den Lotos gepflanzt hatte, erstand (nicht ganz von selbst) Swayambhu Dharmadhatu Chaitya. 

Die Purana erklärt das folgendermaßen: "The term Dharma signifies Buddhist law and doctrine, while Dhatu represents the elemental form. Together, Dharmadhatu embodies the ultimate essence of the Dharma. The term Chaitya refers to a Buddhist stupa and is the dwelling place of all Enlightened Beings, including Buddhas, Bodhisattvas and Tathagatas." 

So - mit der Pflanze, die fehlte (warum fehlte sie eigentlich in der absoluten Idylle, im Naturheiligtum?) - kamen also das Wesen und die Wesen des Buddhismus in die Legende.

Donnerstag, November 13, 2025

vorauseilen

Der City-Strom geht und der CG Hills-Generierte Strom kommt. Die Waschmaschine kann zu Ende laufen. Nach drei Stunden meldet der Community Manager "Generator is off for rest ..." Was das bedeutet, verstehe ich natürlich nicht, obwohl ich jedes einzelne Wort verstehe und auch die Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen richtig (wie mir scheint) deute. So lange hatten wir aber in der Tat schon lange keinen line-cut mehr. Noch ist heller Tag, die Sonne scheint und der Wind ist kalt.  

Zurück zu den Mythen. Mein alter laptop mit seiner ausgeleierten Batterie hängt an der Router-Steckdose und die hat immer Strom. Warum, verstehe ich auch nicht. Ich habe mir aber kürzlich (während dreier Tage walking-meditation auf dem Asphalt des Kathmandu-Valleys) vorgenommen, nichts mehr zu hinterfragen und alles hinzunehmen. Das Valley - das historische Nepal Valley, bzw.  unser heutiges zugebaute Kathmandu Valley - war einst ein See. Das ist, glaube ich, erdgeschichtlich und geologisch unbestritten. Wasser ist mythologisch ein dankbares Element, viel dankbarer als Feuer, Wind oder Erde. Dieser herrliche, heilige See hat - immer nach Swayambhu Purana - alle Adis, die 7 Buddhas aus verschiedenen Himmelsrichtungen mit unterschiedlichsten Beweggründen in ihren jeweiligen Weltzeitaltern magisch angezogen. Der erste Tathagata, Vipashwi umrundete den See und betrachtete ihn von allen Seiten sehr aufmerksam. Er zählte alle ihm bekannten Wasserpflanzen und fand heraus, dass eine fehlte: die Lotosblüte. Also pflanzte er mitten in den See einen Lotos. 

Irgendwie müssen die Geschichten anfangen. Es ist kein Zufall, dass eine buddhistische Legende den Lotos bemüht für ihre Initiation, gilt die Pflanze doch als Symbol für spirituelles Erwachen, Reinheit und Erleuchtung - sowie als Buddhas Geburtsort schlechthin. Der Lotos wächst in trübem, schlammigem Wasser, ohne dass ihm selbst irgendetwas von dem Schmutz anhaftet. Dafür gibt es eine physikalische Erklärung: die Oberflächenstruktur - eine komplexe mikro- und nanoskopische Architektur - der Blätter lässt Wasser, Dreck, Bakterien, Umweltgifte und andere Schädlinge, einfach abperlen und die Pflanze bleibt vital und gesund. Die Wissenschaft nennt das heute Lotoseffekt.

Mittwoch, November 12, 2025

Kali Yuga

Es ist kalt und bewölkt. Wenn die Sonne nicht aufgeht, wird die Welt nicht warm. Ich werde demnächst auch mit Mütze zu meiner Morgengymnastik laufen müssen. Und nicht mehr barfuß herumhüpfen können.   

Wir befinden uns - nach der hinduistischen und buddhistischen Kosmologie - im Kali Yuga. Im finsteren Zeitalter. Im Zeitalter des Verfalls und Verderbens. Im Zeitalter des Niedergangs. Am Ende einer über die drei vorausgegangenen Weltzeitalter stufenweisen Degeneration, dominiert, dämonisiert, angetrieben von den drei "Wurzel-Geistesgiften" Hass, Gier und Verwirrung.

Dienstag, November 11, 2025

entgegenlaufen

In den Träumen laufe ich immer noch. Wenn ich aufwache, weiß ich weder, wohin ich gelaufen bin noch wo ich gerade stehengeblieben bin. Das liegt wahrscheinlich an der Bettlektüre.

Nach Swayambhu Purana (reine Legende, wäre wunderbar zu lesen zur guten Nacht, wenn nur die Namen nicht so unaussprechlich daherkämen!) waren die Vorgänger des "historischen" (sic!) Shakyamuni Gautama Buddha (शाक्यमुनी गौतम बुद्ध) sogenannte Adi Buddhas.  

Der erste lebte im goldenen Zeitalter Satya Yuga, als die Menschen um die 80 000 Jahre alt wurden und hieß Vipaswi Tathagata - विपस्वी तथागत. Tathagata ist ein Ehrentitel für einen Buddha und meint "as they come in the same way they go". Also einer, der den Zyklus der Reinkarnation bereits verlassen hat, nicht wiedergeboren werden muss und entsprechend frei ist (zB von Begierde, Hass, Verblendung oder Leid). Vipaswi verließ diese Welt, nachdem er seine achtzig Tausend Jahre gelebt hatte.  

Der zweite Buddha war Sikhi Tathagata - सिखी तथागत. Zu seiner Zeit lebten die Menschen nur noch 70 000 Jahre. Die Legende kündet, dass zu Sikhis Lebzeiten Shakyamuni Buddha (also unser Gautama) als Bodhisattva unter dem Namen Ksemakara - क्षेमाकर geboren wurde. Ein Bodhisattva ist einer, der zwar Erleuchtung anstrebt, aber auf den Eintritt ins Nirvana verzichtet, solange es noch leidende Wesen auf der Welt gibt. Als Sikhi einging in das Swayambhu Dharmadhatu (in die Sphäre oder Leere, die reine Essenz von Swayambhu) folgte ein langes Interregnum.

Der dritte Buddha erschien erst im zweiten Weltzeitalter, im Treta Yuga - त्रेता युग, und hieß Vishwabhu Tathagata - विश्वभू तथागत. Die Menschen wurden höchstens noch 60 000 Jahre alt. 

Auch der vierte Buddha, Krakucchanda Tathagata - क्रकुच्छन्द तथागत kam erst nach einem längeren Intervall, aber noch im Treta Yuga. Die Menschen lebten nur noch 40 000 Jahre.  

Der fünfte Buddha, Kanakamuni Tathagata folgte unverzüglich auf das Ableben des Krakucchanda, trotzdem lebten zu seiner Zeit die Menschen gerade noch 30 000 Jahre.

Der sechste Buddha erschien im dritten der vier Weltzeitalter, im Dvapara Yuga -द्वापर युग und hieß Kashyapa Tathagata - कश्यप तथागत. Die Menschen hatten eine Lebenserwartung von 20 000 Jahren.

Als Kashyapa die Welt verließ, ging auch Dvapara Yuga zu Ende und der siebte Buddha, Shakyamuni Gautama Buddha erschien, geboren im Königreich Kapilvastu (heute Lumbini) und das Weltzeitalter Kali Yuga begann.

Das sind nur die Namen. Die Legenden und Mythen hinter den Namen. deren Bedeutung für Nepal, das Kathmandu Valley und Swayambhu, kann ich vielleicht ein andermal referieren. Oder auch nicht. Denn es ist alles - wie könnte es anders sein - höchst verwirrlich und anstrengend! Die vier Yuga-Weltzeitalter, von denen in der Purana die Rede ist, folgen in absteigendem Zyklus aufeinander von spiritueller Reinheit (Satya Yuga) bis zur schwärzesten Verderbtheit (Kali Yuga). Darin befinden wir uns gegenwärtig. Wenn es zu Ende geht, fängt alles wieder von vorne an mit Satya. Das ist doch tröstlich!

Und: nach allem, was historisch zu Prinz Siddharta Gautama erforscht ist, war er nach seiner Erleuchtung als Buddha nie mehr im heutigen Nepal, weder im Valley noch im Wald. Weder in Swayambhu, noch in Panauti. Weder im Hiranyagiri Gandhamadan Parbat noch sonstwo. Er hat nie das Grab von Prinz Mahasattva besucht, noch den Namo Buddha Tempel, noch den Ort, wo der prächtige Panchal Palast einst stand. Das ist anderswo nicht anders. Winkelried und Tell sind auch Geschöpfe der Phantasie. Letzterer wäre ohne Schiller nie über die Schweizer Grenzen gekommen, ersterer ohne Słowacki.

Montag, November 10, 2025

Der Wärmehaushalt

Die Nachttemperatur nähert sich der +10°-Marke. Entsprechend frisch ist der Morgen in einem Haus ohne Heizung. Meine Nachbarn joggen mit Wollmützen um die Häuser. Sie drehen ihre Runden nur innerhalb des vom CCTV überwachten Bereichs. Ich verlasse das Tor jeden Morgen. Die Guards salutieren. Heute reiben sie sich die Hände: it's cold! Ich nicke und gehe außen am Stacheldrahtzaun entlang zu meinem Tempel. Umrunde als erstes den Laxmibaum, der kürzlich von einem herabgestürzten rostigen Teil (mit Betonfuß) eines ganz anderen Zauns fast erschlagen wurde. Dann lasse ich neben dem Bodhibaum an der Morgensonne mein Morgenqi hochkochen. Diese Wärme versorgt mich für den Rest des Tages.  

Am Mittag trinke ich meinen Kar.ma-Espresso auf dem Dach und ziehe alles aus, was ich ausziehen kann. So heiß ist es. Noch wärmt sich das Haus ohne Heizung tagsüber von selber auf, wenn ich rechtzeitig alle Fenster wieder schließe. In W's Zimmer tropft es immer noch an mehreren Stellen von der Decke, obwohl es seit Tagen, Wochen nicht mehr regnet. Das Wasser verdunstet in den bunten Eimern und zurückbleibt so etwas wie heller Sand. Ein feingeriebenes Gemisch der Materialien, die im Frühjahr über eine Seilwinde säckeweise aufs Dach gehievt und oben sorgsam verteilt wurden. Jedenfalls ist unten nichts davon übrig geblieben. Ich frage mich nicht, was das bedeutet, wenn es durch die Decke nicht nur tropft, sondern auch rieselt.

Am Abend esse ich bei Dragon thailändischen roten Curry. Die Schärfe heizt mir die ganze Nacht ein.  

Sonntag, November 09, 2025

Abugida

Sonntagabend. W. ist unterwegs nach Marbella. Ich habe keine Ahnung, wo das ist. Ich denke nicht mehr in Koordinaten und Flugdestinationen. Bevor es ganz dunkel ist, sammle ich Kadaver im Vorgarten ein. Mindestens 2 Tauben haben die Katzen während meiner Abwesenheit hier geschlachtet. Es sieht wüst aus. Tom ist seit Wochen verschwunden, dafür ist jetzt der weiße Kater wieder da und Sigi, die Katzenmutter scheint ihre Mutterpflichten beendet zu haben. Jedenfalls ist sie frech, verspielt und aufmüpfig. Besetzt den ganzen Tag Kater Toms Hütte. Ich räume meinen Schreibtisch auf und überlege, was ich mit meinen armseligen Nepali-Sprachkenntnissen anfangen kann. Ob ich die Whiteboards mit dem duster wieder weiß machen -  oder Gurubas Zeichen, Wörter, Halb- und Ganzsätze sowie die letzte Hausaufgabe besser noch ein bisschen stehen lassen soll. Falls wir aus der Stadt ziehen wollen würden, nach Osten, dorthin wo ich gerade herkomme, wohin ich zu Fuß gelaufen bin, müsste ich Newari lernen. Das ist eine eigene, tibeto-burmanesische Sprache und die hat selbstverständlich ihr eigenes Alphabet. Das haben mir alle Peacewalker bestätigt. Die meisten waren Newari und sprechen von Haus aus ihre Sprache. Der Staat nennt sie "Nepal Bhasa", die locals "Newa Bha". Newari ist eigentlich falsch und eher die Bezeichnung für die Menschen, nicht unbedingt für ihre Rede. Nepali hingegen ist eine indoarische Sprache. Die alleinige Amtssprache Nepals und gerade nicht zu verwechseln mit "Nepal Bhasa", obwohl die Wörter mehr als irreführend sind - bedeutet doch भाषा - bhasa in Nepali Sprache. Also ist "Nepal Bhasa" wörtlich die Sprache Nepals. Meine Mitläufer lernten Nepali erst in der Schule. Ich ginge den umgekehrten Weg. Vom Nepali ins Newari. Vom Nichts ins Nirwana. Eine höchst komplizierte Angelegenheit.    

Das einzige, was die beiden Sprachen verbindet, ist die Systematik ihrer Schrift. Beide sind Abugida. Alphasyllabar. Diese Buchstabenschrift (im Nepali Devanagari देवनागरी) ordnet ihre Buchstaben nicht nach der gesprochenen Reihenfolge an, sondern gruppiert sie "segmental nach Silben". Schön gesagt! Die Hälfte der 7 Nepali-Linien habe ich bereits wieder vergessen.

Samstag, November 08, 2025

Avayadan

Ich muss nun mein Hirn wieder etwas anstrengen und Wörter einsammeln, nachdem der Körper vollkommen unversehrt eine dreitägige Wanderung über Asphalt überstanden hat. Im nächsten Jahr sollen wir 5 Tage laufen. Auf derselben Strecke. Immer auf den Spuren des sich aufopfernden Prinzen Mahasattva - oder erleuchteten Vor-Buddhas. Die selbstlose Tat des Prinzen - dass er sein eigen Fleisch einer vor Hunger sterbenden Tigermutter und ihren fünf Tigerwelpen darbot - wird "Avayadan" genannt und ins Englische übersetzt mit "selfless giving", "enlightened compassion", "the ultimate act of compassion", "selfless sacrifice", "an extraordinary compassion" usw. Der Avayadan Day, in den wir in Namo Buddha mittenhineinplatzten, findet einmal jährlich statt, immer an Kartik Purnima (Vollmond im Nepali Monat Kartik), bzw beginnend in der Nacht davor, an Chaturdashi, am 14. Tag des Shukla Paksha (der hellen Mondphase) und endend am Tag danach. Es werden Kerzen und Öllampen angezündet am Grab Mahasattvas, am Namo Buddha Tempel im heutigen Kusume Community Forest, dem einstigen Hiranyagiri Gandhamadan Parbat oder Golden Fragranced Mountain.

Ich werde mir nun die Legenden und Mythen einverleiben, die Swayambhu Purana lesen, soweit mir das sprachlich möglich ist: The Sacred Buddhist Text of Nepal Valley, sozusagen die Heilige Schrift des Nepal Valley, heute Kathmandu Valley. Darin geht es natürlich vor allem die Entstehung des Swayambhu-Tempels auf einem der höchsten Hügel der heutigen Metropole. Swayambhu meint so viel wie self-born, self-manifested, self-arisen. Swayambhu soll von selbst dem Wasser, dem einstigen See, der das Valley in Urzeiten füllte, entstiegen sein. 

Jetzt ist mir auch klar (im Nachhinein löst sich so mancher Dunst auf), warum der peace walk in Swayambhu, dem von Affen bevölkerten Tempel, an der Swayambhu Stupa ganz im Westen der Stadt beginnt. Warum wir den ersten Tag immer vorwiegend nur damit zubringen, die Stadt zu verlassen. Dazu müssen wir sie einmal von West nach Ost durchqueren. In diesem Jahr nahmen wir leider die falsche Ausfahrt nach Bhaktapur, weil niemand den Weg kannte und es keine Wanderwege aus einer Metropole gibt, nur Autostraßen. Im letzten Jahr wurden wir am Stadtrand in einen Bus gebeten, weil (wie ich erst dieses Jahr erfuhr), 7 Ausländer mitliefen, denen man die ganze Strecke zu Fuß nicht zumuten wollte (schöne Logik! Als ob man anderswo nie zu Fuß ginge!). Diesen beschwerlichen Anfang könnten wir uns in Zukunft sparen, wenn der peace walk an der Bouddha Nath Stupa im Osten der Stadt begänne ... aber damit ginge die ganze Pilgerschar des mythologischen Fundaments verlustig, des legendären Ursprungs allen und jedens.

Freitag, November 07, 2025

Eine Blase

Beim Kaffee in der Sonne auf dem Dach entdecke ich eine respektable Blase am rechten kleinen Zeh, an der linken Innenseite. Sie duckt sich in den Schatten des Nachbarzehs (wie heißt der? An der Hand wäre es der Ringfinger) und ich sichte sie trotzdem. Wundere mich, woher sie kommt. Seit wann sie da ist. Die aufgespannte Haut glänzt, sonst hätte ich sie gar nicht bemerkt. Weh tut sie nicht.

Mit den Buddhas ist es fast wie mit den Blasen an den Füßen in zu engen Schuhen (meine Wanderschuhe  sind keineswegs zu eng!). Mal verstecken sie sich, mal tun sie weh, mal nicht. Meine buddhistischen Mitläuferinnen der letzten Tage behaupteten, nicht nur Buddha (Siddharta Gautama) sei in Nepal geboren, sondern auch alle 8 Inkarnationen vor ihm. Er wäre also der 9. Und der 10. ist Vishnu - sagen die Hindus. Die Buddhavamsa berichtet von 24 Buddhas, die Gautama vorausgingen. Er selbst wäre demnach der 25. und immer noch aktuelle. Der nächste, für die Zukunft erwartete, soll Maitreya sein. Wann er kommt, darüber sind sich die Experten nicht einig. 

Donnerstag, November 06, 2025

Kein Muskelkater

Keine Blasen, kein Wehwehchen, kein Bedauern. Ich kann laufen und habe wieder etwas für die Wand, collecting certificates. Suchbild: wo ist mein Name?


Mittwoch, November 05, 2025

Auf dem Gipfel

Heute abend wird der Mond voll. Der Novembervollmond nach AD, Kartik Shukla Purnima nach BS und NS. Einer der wichtigsten Tage für die Buddhisten, die aller Vorfahren gedenken. So auch der Vorfahren Siddharta Gautamas. In einer Vor-Lumbini Inkarnation soll Buddha nämlich vor ungefähr zweieinhalbtausend (oder sind es doch sechstausend?) Jahren Prinz Mahasattva gewesen sein, der dort, wo wir heute hinlaufen, wo der Namo Buddha Tempel steht, im Gandhaman Wald, sein Leben in einem ultimativen Akt der Barmherzigkeit und Selbstaufopferung aushauchte. Er bot seinen Körper freiwillig einer Tigermutter zum Fraße dar, damit sie ihre fünf Jungen säugen konnte. Prinz Mahasattva war damals in seinem irdischen Leben gerade als Jäger in besagtem Wald unterwegs. Zusammen mit seinen zwei älteren Brüdern und den Eltern, König Maharath und Königin Satyawati von Panchaladesh, dem einstigen Königreich Panuti. 

Schon gestern Abend begann hier das Deep Prajwalan (lamp lighting) und Scharen von Pilgern - nicht nur wir peacewalker - tragen heute brennende Kerzen zum Andenken an ihre Vorfahren. Die Kerzen sollen die ganze nächste Nacht - die Vollmondnacht - brennen und Frieden bringen - nicht nur den Seelen der Verstorbenen.

Wir zwängen uns zuerst durch den Stau auf der Zufahrtsstraße, durch Autos, Busse, Bikes, bis wir in den kühlen Wald abbiegen und auf steilem Wege den Gipfel direkt erreichen. Oben ist ein Volksfest, wir drehen unsere Runden um den buried place - die Grabstätte des sagenhaften Prinzen, bringen unsere Dankesopfer dar, waten durch ein Meer von Blumen und Reis und Rauch. Und steigen euphorisiert wieder ab. Wir haben noch einen langen Heimweg vor uns.

In Panauti sehen wir die Schäden der letztjährigen Überschwemmungen, laufen tapfer, wieder angetrieben von ekstatisch Trommelnden, alle Gassen der Stadt ab, kreuz und quer und deponieren endlich unsere peace lamps im Bhagawan Danda. An dieser Stelle stand angeblich einst der Königspalast, der Panchal Palace, in dem Prinz Mahasattva geboren wurde und aufgewachsen ist. 

Dienstag, November 04, 2025

Ekanta Kumari

Me in Muni Vihar, Bhaktapur an einem frischen Morgen. Bhiksu Bhante - the venerable monk, ein ausgesprochen freundlicher Zeitgenosse - führt uns persönlich zu den 15 Bahas - den heiligen Stätten der Newari in der Stadt. Er erzählt viel, ist gutgelaunt und ich verstehe wenig, sehe umso mehr. 

Im Prashansheel Bihar auf dem Bhaltapur Durbar Square empfängt uns Ekanta Kumari, die lebendige Kindergöttin von Bhaktapur. Wir sind früh zum sightseeing auf den Beinen, weil wir noch einen weiten Weg vor uns haben. Offenbar ist unser Besuch nicht angemeldet. Jedenfalls ist die 8-Jährige noch nicht angezogen und nicht fertig geschminkt. Das dritte Auge fehlt auf ihrer Stirn, nur die schwarzen Linien führen geschwungen von beiden Augen zu den Schläfen. Sie wirkt wie ein normales Kind im Schlafanzug. Niedlich, etwas pummelig, wenn sie auf einem normalen Stuhl säße und mit den Beinen schlenkern könnte - sie sitzt selbstverständlich im Schneidersitz auf ihrem Thron - , wäre die Entzauberung perfekt. Sie ist still konzentriert und spendet denen, die sich vor ihr verbeugen, Segen und Tika. Ich betrachte sie aus der Distanz, sie mich auch. Mit einer vielleicht ähnlich gearteten Neugier. Ihre Regentschaft begann vor 4 Jahren, also ist sie bereits ihr halbes junges Leben Göttin! Wir treten zurück in den Hof, wo Bhiksu Bhante mit seinen Erklärungen fortfährt. Derweil huscht Ekanta Kumari an der Hand ihrer Mutter oder dyapala (caretaker) an mir, an uns vorbei - nach Hause zum Frühstück und zur Morgentoilette. Ich bin elektrisiert: sie läuft auf ihren eigenen nackten Füßen in normalen slippers. So wie alle hier! Vielleicht ist sie schon zu groß und zu schwer und die dyapala mag sie nicht mehr tragen. Oder es steht gerade keine Sänfte bereit. Ich dachte, ihre Heiligkeit die Kumari dürfte, solange sie das Amt der lebenden Göttin auf Erden ausübt, ebendiese Erde mit ihren Füßen nicht berühren ...  
Bhiksu Bhante scheint nichts Ungewöhnliches gesehen zu haben. Weder den Schlafanzug noch das durch den Hof laufende Mädchen. Als ich später, in Nala beim Lunch, meine Tischnachbarn frage, sagen sie, in Bhaktapur nähme man die Dinge nicht so ernst wie in Kathmandu oder Patan. Als ich zu Hause an meinem Schreibtisch das Internet frage, serviert es mir eine Studie, die ich hier leider nicht verlinken kann, die besagt, dass Ekanta Kumari in Bhaktapur tatsächlich mehr Freiheiten genießt als alle ihre Kolleginnen im Land der lebenden Kindergöttinnen. Sie darf bei ihren Eltern wohnen und mit normalen Kindern spielen und bekommt vom Staat ein Taschengeld.

Ich bleibe bei der Sache und auf dem Weg. Noch laufen wir. Heute geht alles geschmeidiger als gestern. Wir vermeiden Umwege. Die Straßen sind immer noch Straßen - asphaltiert und staubig, voller Löcher. Die Mittagshitze brennt immer noch auf unsere Köpfe. Am späten Nachmittag erreichen wir Chandeswori - wo es sich meine nimmermüden MitläuferInnen nicht nehmen lassen, zu tanzen, und schließlich auch mich hineinzuziehen in ihren Reigen. Weiter nach Banepa. Übernachtung im Dhyanakuti Vihar. 

Montag, November 03, 2025

peace walk II

Ich mache einen zweiten Versuch, zu Fuß von Swayambhu zu Namo Buddha zu kommen. Letztes Jahr sind wir mehr gefahren als gelaufen. Wir versammeln uns zum Frühstück im Anandakuti Vivar. Swayambhu wird vulgo Affentempel genannt, der Affen wegen, die hier, in den Bäumen, auf den Dächern, in den Tempeln, zwischen Mönchen, Betenden, Meditierenden, Touristen, Flötenden und Trommelnden, Kitschanbietern, Kerzenfrauen, Weihrauchdampf und Wasserflaschen auf immer und ewig Wohnrecht haben. 

Dann laufen wir los, eskortiert von einer Trommelgruppe. Blutjunge Jungs und Mädels, die uns mit unglaublicher Schlagkraft quer durch Kathmandu bis zur Boudhanath Stupa führen. Aus der Stadt heraus laufen wir unbegleitet, immer weiter nach Osten. Geradewegs. Bis Bhaktapur. Ohne Regen, ohne Mitfahrgelegenheit. Nur die Rucksäcke werden uns nach dem Mittagessen abgenommen und in das Auto des medizinischen Begleiters geladen. Es ist trotzdem heiß und staubig. Wir laufen lange auf der falschen Ausfallstraße und machen einen Umweg von mindestens zwei Stunden (was uns erst übermorgen verraten werden wird). Die Sonne geht unter und als ich schon glaube, wir kämen nie an, sind wir angekommen! 




  

Sonntag, November 02, 2025

Allerseelen

Allerseelen ist anderswo. Hier Arbeitstag, Sonntag, kein Ruhetag. Leichte Wetterbesserung. Die Müllkippenblockade wird aufgehoben. Der Interimsinnenminister verspricht den Anwohnern, dass innerhalb von zwei Wochen alle Zusagen, die frühere Regierungen machten, erfüllt werden. Wenn nicht, darf wieder gestreikt werden. Müssen die Müllautos sich wieder irgendwo anstellen. Wenig Zuversicht. 

Ich packe. Etwas gegen Regen. Etwas gegen Kälte. Trotz Sonntag, soll ich mich ausruhen. Und gut essen. Essen ist etwas fundamental wichtiges in diesem Land.

Samstag, November 01, 2025

Haribodhani Ekadashi

Immer noch Regen. W ist sicher gelandet und schläft. Lord Vishnu hingegen wacht heute, an Haribodhani Ekadashi auf aus seinem kosmischen Schlaf, in den er vor ungefähr vier Monaten, an Harishayani Ekadashi gefallen ist. Ekadashi ist, wie wir wissen immer der elfte Tag einer Mondphase, der zunehmenden oder abnehmenden. Heute der hellen, also zunehmenden und in 4 Tagen wird Vollmond sein. Der Himmel zeigt sich gerade Tag und Nacht bedeckt, so dass es überhaupt keinen Unterschied macht, ob wir und in der hellen oder dunkeln Phase befinden. Trotzdem ist heute das allerallerwichtigste Ekadashi des Jahres, es ist das Große Ekadashi - die große 11? - oder das Thulsi- Ekadashi - das Basilikumekadashi. Oder Tulasi Bibaha. Das Basilikum, das gepflanzt wurde, als Lord Vishun schlafen ging, ist nun erntereif. Es wird heute rituell mit der ficus religiosa vermählt, dem Bodhibaum oder Peepaltree. Die Gebete zu Ehren des Basilikums wecken Lord Vishnu auf und natürlich ist, wie könnte es anders sein, mit der Pflanzenhochzeit der heilige Bund Lords Vishnus mit Mother Lakshmi gemeint. Wetter hin oder her, die Geschichten sind immer wieder herzerweichend schön.

देवी त्वं निर्मिता पूर्वमर्चितासि मुनीश्वरैः ।
नमो नमस्ते तुलसी पापं हर हरिप्रिये ।।

Freitag, Oktober 31, 2025

Regen

Es regnet. Was soll ich sagen. In den Bergen ist es schlimmer. Bergsteiger sterben, weil die Hilfe nicht rechtzeitig kommt. Weil die Helikopter nicht fliegen können. Weil auch beim schlimmsten Wetter zuerst die Zuständigkeiten geklärt werden müssen. Eine internationale Versicherung verlangte, dass der Versicherte selbst den Antrag auf den Rettungseinsatz stellen müsse. Der lag aber unansprechbar auf 6800 Metern. Die Sherpas übernahmen, wie immer, den Notdienst und brachten den Mann in das nächste Basislager. Er starb, bevor sie es erreichten. Ich mache mir Mo:Mos am Mittag, weil ich Hunger habe und nicht aus dem Haus will. Ich stelle den elektrischen Boiler an, weil die Sonne seit Tagen ihren Dienst versagt und kein warmes Wasser mehr vom Dach liefert. Ich sammle alle verfügbaren Eimer im Haus ein und platziere sie wieder in Ws leergeräumtem Arbeitszimmer. Der Regen sucht auch den Weg ins Trockene. W ist über den Wolken. Auf dem Rückflug. Maschinen aus dem Ausland landen meist so spät in der Nacht, dass es keine Rolle mehr spielt, ob die Sicht gut ist oder nicht. Hauptsache das ILS funktioniert und die Lotsen am Boden sind noch wach. In Bancharedanda blockieren die Anwohner die Zufahrtswege zur Müllkippe. Die Stadtverwaltung bittet uns freundlich, unseren Hausmüll zu Hause zu lagern. Die locals wollen, so erklären sie auf Transparenten und vor laufenden Kameras, wie die meisten Menschen dieser Welt nicht neben einer stinkenden Müllkippe leben. Schon ihre Eltern hätten dagegen gekämpft und ihre Großeltern. Auch ihre Kinder würden, da sind sich alle einig, weiter kämpfen müssen.

In meinem früheren Leben war ich zehn Jahre Schiedsfrau für Mitteldithmarschen. Mein ultimativer Rat an zerstrittene Nachbarn war immer: wegziehen!

Donnerstag, Oktober 30, 2025

Bancharedanda

Es regnet. So lange anhaltend (nun schon den dritten Tag in Folge) trüb war es in Kathmandu in der ganzen Regenzeit nie. In Bancharedanda wird gestreikt. Deshalb bleibt unser Müll vorläufig, wo er ist. In unseren Vorgärten oder Hinterhöfen. Wenn kein Feiertag und kein Unwetter, dann eben Streik. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich vorgestern Trinkwasser und gestern Kochgas bekommen habe. Müll produzieren wir verhältnismäßig wenig und der kann auch stehen bleiben. Ich wunderte mich gestern schon über die Unmengen an wildem Müll an allen Straßenrändern. Wahrscheinlich streiken nicht die Müllmänner, sondern die Anwohner von Kakani in Nuwakot und Dhunibensi in Dhading haben wieder einmal die Nase voll. Und lassen die stinkenden Kleinlaster aus der Metropole nicht durch ihre Dörfer fahren. Weil der Müll aus der Hauptstadt nicht, wie es längst vorgeschrieben wäre, säuberlich getrennt nach degredable und non-degredable angeliefert wird.

Mittwoch, Oktober 29, 2025

Mittwoch

Chaos in den Bergen. Heftiger Schneefall in allen höheren Regionen. Touristen wollen nicht verzichten und nicht hören. Seit dem frühen Morgen werden vom Schnee Eingeschlossene aus der Khumburegion ausgeflogen. Ein Helikopter rutscht auf der verschneiten Landebahn in Lobuche beim Everest Base Camp aus und geht zu Bruch. Der Pilot bleibt unverletzt. Er war allein an Bord, hätte eine Handvoll von den rund Tausend festsitzenden Ausländern zurück nach Lukla bringen sollen. Ein Team der Armee rückt in Manang aus und rettet zu Fuß 1500 Trekker. Die Annapurna Route ist vollkommen gesperrt. Pilger frieren am Muktinath Tempel und wissen nicht ein noch aus. Auch die Bauern verzweifeln. Der Reis verrottet gerade vor ihren Augen. 

Es soll noch schlimmer werden, warnen die Meteorologen. Das tropische Tief Montha zieht auch auf Nepal zu. Ich ziehe Strümpfe an und hole die Winterdecken aus dem Schrank.

Dienstag, Oktober 28, 2025

Arghya

Heute ist der vierte und letzte Tag von Chhat, usha arghya. Feiertag zur noch in der Provinz Madhesh. Die Hindufrauen, die die Nacht an den Flussufern gewacht haben, steigen in der Früh in das Wasser hinein und bringen der aufgehenden Sonne Arghya dar - ein Gemisch aus Wasser und Milch. Danach beten die Mütter zu Chhatti Maiya, zur Schwester der Sonnengöttin Surya, für das Wohl ihrer Kinder sowie der ganzen Familie.  

Von Sonne nichts zu sehen. Der Festtagskalender verpflichtet auch bei schlechtem Wetter. Dauerregen. Kalt! Wieder Warnungen vor Überflutungen und Erdrutschen. Frost und Schnee Bergsteiger und Bauern sollen die Warnungen ernst nehmen. Erntearbeiten auf Ende der Woche verschieben, an sicheren Orten bleiben.

Montag, Oktober 27, 2025

Parhelion

Feiertag im ganzen Land! Der dritte und wichtigste Tag von Chhath. Zur Feier des Tages bringt uns ein Tiefdruckgebiet über dem Arabischen Meer Wind von West und beschert den Hügeln Regen, den Bergen Schnee. Am Morgen erscheint die Sonne doppelt über dem Horizont. Ein selten zu beobachtendes Phänomen in Kathmandu, wie ich lese, eine Neben- oder Gegensonne, Parhelion oder sundog - nach den Hunden des Zeus, die, wenn er mit ihnen Gassi ging - auch im Himmel herrscht Leinenzwang! - vor Freude herumtollten und die Sonne nachäfften. Das Parhelion besagt soviel, dass in der unteren Atmosphäre Eiskristalle vorhanden sind, an denen sich das Licht der echten Sonne bricht. Also beginnt der Winter! Der Tag ist trüb, wie ich noch keinen auf dem Hill erlebt habe. Die Sonne zeigt sich nach dem trompe-l'oeil den ganzen Tag nicht mehr. Trotzdem fasten die Hindufrauen und warten am Abend (vergeblich) auf den Sonnenuntergang. Sie werden die ganze Nacht am Ufer eines Flusses wachbleiben.

Sonntag, Oktober 26, 2025

Sonntag

Weder Feiertag (außer in Madhesh: Chhat, day 2: Kharna) noch Wochenende noch Zeitumstellung. Ein normaler Sonntag, Sonne ist angesagt bis zum Abend. Der Mann ist auf dem Weg zu einer Konferenz, die Frau auf dem Weg zu ihrem Schreibtisch. 

Samstag, Oktober 25, 2025

Samstag

Ein normaler Samstag, denke ich. Wochenende und arbeitsfrei. Ich bin früh auf den Beinen und außer Haus. Es ist frisch. Kein Anzeichen von Herbst. Die Blätter sind saftig grün. Vom Bodhibaum wurden untenherum während Tihar alle grünen Blätter abgerissen, die von Hand auf Zehenspitzen erreichbar waren. Einer stieg sogar auf das neue Geländer und zog einen frischen Zweig herunter. Er wollte aber nur die Blätter, rupfte sie ab und stopfte sie in die Jackentasche. Den Rest ließ er fallen. Die Nepali tragen bereits Jacken und Mützen.    

Am Muktinath Tempel in Mustang kein normaler Samstag. Schon in der Früh kamen über 5000 Pilger. Die meisten sind domestic tourists, wie ich lese. Falls man Pilger als Touristen bezeichnen will. Und weiter: Nepali Hindu Devotees. Muktinath (auf einer Höhe von 3'610 Metern) gilt für Hindus und Buddhisten gleichermaßen als मुक्ति क्षेत्र - mukti ksetra - place of salvation. Nach hinduistischen Schriften erfuhr Lord Brahma hier nach einem Feuerritual die Erlösung, nach buddhistischen brachte ein tibetischer Mönch Wasser von Berg Kailash herunter und ließ damit 108 Quellen hervorsprudeln. Alle, die sich von dem Wasser, das bis heute fließt, berieseln lassen oder darin baden, werden selbstverständlich gereinigt. Und erlöst. Heerscharen von Freiwilligen und Offiziellen sind aufgeboten, die Pilgerströme zu steuern. Bis zum Abend werden noch mehrere Tausend erwartet. In Upper und Lower Mustang beklagt man aber den drastischen Rückgang internationaler Gäste nach den Gen Z Demos.

Und kein normaler Samstag in der Mithilanchal Region im Südosten. In Janakpur beginnt heute das viertägige Chhat Festival mit Najay-Khay. Die Sonne wird angebetet bei Aufgang und Untergang. Und es wird gebadet, gebadet, gebadet und gefastet, gefastet, gefastet. Ist alles gut für Körper und Geist. 

Freitag, Oktober 24, 2025

तृतीया

Tihar ist gestern zu Ende gegangen. Oder vorgestern. Tihar dauerte 5 oder 6 oder 3 Tage. Die Zeit ist dehnbar, die Tage sind dehnbar, und Zahlen sind eher Zufall. Die Feiertage reihen sich wie Perlen auf der Schnur. Heute ist immer noch Feiertag. Ein Resttihartag, der Siebente - oder etwas gänzlich anderes. Ich weiß es nicht. Es wurde kein Müll abgeholt und wir haben kein Wasser bekommen. Mein Nepali Calendar for Phone sagt heute schlicht तृतीया - Tritiya. Das sagt er ungefähr alle zwei Wochen. Immer am dritten Tag einer Mondphase oder Mondhälfte. Nach Neumond und nach Vollmond, beim zunehmenden (hellen) oder abnehmenden (dunklen) Mond. Aber nur heute ist तृतीया rot. Rot im Kalender bedeutet public holiday. Ein online calendar präzisiert: कार्तिक शुक्ल तृतिया - kartik shukla tritiya. Also der dritte Tag der hellen Mondphase im Monat Kartik. Der Mond wird tatsächlich von Nacht zu Nacht heller. Heute ist der 7. Kartik. In der Zeitung lese ich, dass nach Tihar die Vorbereitungen für छठ पर्व - Chhat Parva beginnen. In Madhesh. Also im Süden. Dort werden Flussufer und Brunnen gereinigt. Jedes Festival beginnt mit Putzen.  

Bei uns wird gerade der Kochgaszylinder leer. Jedenfalls so mein Eindruck nach händischer Gewichtskontrolle. Von den 14,2 Kilo Füllgewicht scheint nicht mehr viel übrig. Der Community Manager verspricht, einen vollen zu bestellen. Mal gucken, ob ich mit dem Rest bis ans Ende der noch anstehende Feiertagsperlenkette täglich einen espresso kochen kann.

Donnerstag, Oktober 23, 2025

bhaitika

Heute ist noch mehr Feiertag. Der allerwichtigste Tag von Tihar. Sagen die einen. Und die anderen sagen, Tihar sei gestern zu Ende gegangen und Bhaitika - der Geschwistertag, eigentlich der Tag, an dem der (jüngere = भाइ bhai) Bruder von der (älteren = दिदी didi) Schwester Tika empfängt - gehöre gar nicht mehr zu Tihar. Wie auch immer. Legenden gibt es ohne Ende. Bis auf eine, verehren, bewundern, verherrlichen alle Schwestern ihre Brüder, indem sie ihnen eine mehrfarbige Tika auf die Stirn malen, dabei Segenswünsche aussprechen und dem sunnyboy Süßigkeiten schenken. Traditionell soll die bhaitika von sechs bis zu zehn Farben appliziert werden. Wie eine doppelte oder dreifache Ampel: weiß, gelb, violett, rosa, grün, mehrere Blautöne von himmel- über hell- und dunkelblau bis Indigo und Lapislazuli), orange, rost- oder feuerrot. Siehe hier.  Die unglücklichste Schwester im ganzen Lande ist Pushpa Joshi. Ihr Bruder Bipin wurde vorgestern am Ufer des Mahakali kremiert.

Alle glücklichen Geschwister sollen sich heute so gegenüber setzen, dass die tikaspendende Schwester nach Osten guckt, der tikaempfangende Bruder nach Westen. Diese Sitzordnung folgt der derzeitigen Position des Mond in der Waage. Ich weiß nicht, ob sie die Plätze tauschen, wenn der Bruder Segenswünsche, Geschenke und Tika erwidert.

Die beste Zeit ist 11:39 am, das hat das ZK festgelegt. Präsident Paudel empfängt pünktlich zu dieser auspicous time Blumengirlanden und Tikas von seinen Schwestern. Alle andern dürfen vorher und nachher, den lieben langen Tag dranbleiben. Ohne Schaden! Um meinen bescheidenen Shivatempel versammeln sich seit Sonnenaufgang Brüder und Schwestern, die wie Verliebte auf den Bänken unter dem Laxmibaum und rund um den Bodhibaum sitzen und tuscheln. Vielleicht sind es tatsächlich Verliebte, die sich als Geschwister ausgeben und so öffentlich ohne Schelte turteln dürfen. Denn: wer keine Schwester oder keinen Bruder hat, der oder die soll das Ritual mit jeder beliebiggeliebten Person vollziehen. Hauptsache niemand geht leer aus. Irgendwann springt das Girl unter meinem Fenster auf, holt von Shivas Lingam ein bisschen Zinnoberrot - andere Farben bietet Shiva hier nicht an - auf die Zeigefingerspitze und tupft es dem Boy lachend mitten auf die Stirn. Sie umarmen und küssen sich und ziehen zufrieden ab. So geht das nun schon seit Stunden.

Mich hingegen beehrt, während ich auf dem Dach mein erstes Frühstück löffle, big brother aus gebührender Distanz. Ein kräftiger Affenbulle inspiziert die Dächer der gegenüberliegenden Häuser. Wahrscheinlich die Vorhut einer ganzen Bande. Er springt vom Laxmibaum auf das erste Haus an der Ecke, klettert behende die Fassade hoch und setzt über. Massig. Perfekt. Ohne sein Ziel je zu verfehlen. Von einer Terrasse auf die nächste. Steigt zwischendurch ganz hoch, auf die Dächer, die mehrstöckig sind, und kommt schnell wieder herunter. Dort oben gibt es gar nichts zu stibitzen. Am Eckhaus am anderen Ende denkt er lange darüber nach, ob und wie er wieder auf die Straße hinunter kommt. Die Gegenüber-Nachbars-Ehemänner sind alarmiert und treten mit Stöcken bewaffnet verschlafen auf die Dächer aus Türen, die sonst nur den maids mit ihren Wäschekörben und कुचो - kuco, dem nepalesischen Allerweltsbesen - vorbehalten sind.

Mittwoch, Oktober 22, 2025

Neujahr

Heute ist mehr Feiertag als gestern. So etwas liegt in der Luft und ich spüre es mittlerweile, kaum trete ich aus dem Tor unserer guarded community. Die meisten shutters auf der Golfutar sind geschlossen. Gestern herrschte da freudige Geschäftigkeit, heute träge Ruhe. Feiertag eben, verdient. Der Joghurtmann hat wie immer geöffnet, weil er auch Milch verkauft. Seine Frau bedient mich und spricht die ganze Zeit in das zwischen das linke Ohr und die linke Achsel geklemmte Smartphone. Trinkwasser wurde gestern nicht geliefert, also wird es heute erst recht keines geben. Die Newari feiern den Beginn des Jahres 1146 (Nepal Sambat). Und Mha Puja. Für sie ist heute der zweite Tag von Tihar und sie haben insgesamt nur drei. Für andere ist heute der vierte oder fünfte Tag von Tihar. Präsident Paudel und seine First Lady beehren schwarze (Holsteiner?) Kühe mit Delikatessen - also ist heute (und nicht, wie ich annahm, gestern) गाई तिहार - Gai Tihar. Die Kühe auf dem Bild in der Zeitung heute sehen nicht glücklicher aus als gestern die Ziegen vor dem Schlachter. Die wenigen Grasbüschel zwischen den Pflastersteinen scheinen ihnen besser zu schmecken als der von Menschenhand gereichte Leckerbissen.

Die Newari feiern heute nicht nur das neue Jahr, sondern in erster Linie sich selbst. Mit Mah Puja - worship of the (own) body. Das Ritual dient der Reinigung des Geistes, des Körpers, der Gedanken und der Sprache (!) zum Jahresanfang. Der Mensch soll zuerst sein Selbst und sein Bewusstsein schärfen (in einem Akt der Disziplin und Dankbarkeit), die eigenen Ressourcen mobilisieren und sich selbst physisch und spirituell stärken, ehe er oder sie den Beistand der Götter sucht. Das klingt für mich sehr überzeugend!  

Die Interimsregierung unter PMin Karki hat beschlossen, inskünftig auch das Nepal-Sambat-Datum auf die nepalesischen Rupee-Banknoten zu drucken. Besiegelt wird dieser Beschluss heute mit einem Festakt und Kranzniederlegung am Denkmal des legendären Kalendergründers संखधर साख्वा - Shankhadhar Sakhwa in Madhyapur Thimi bei Bhaktapur. 

Dienstag, Oktober 21, 2025

Neumond

In Kathmandu ist der Mond um 06:10 pm neu. Oder leer, wie meine Mutter zu sagen pflegte. Also nimmt er danach wieder zu. Bis er eines Tages voll ist. Also haben wir die finsterste Nacht hinter uns. Diese hier so genannte शुखरात्री - sukharatri (von शुख = glücklich, gut + रात्री = eigentlich Vorabend, zu रात Nacht) - die gute, glückliche Nacht, in der Laxmi zu Besuch kommt und ihren Reichtum über uns ausschüttet. Ich lerne, dass die Glücksgöttin Laxmi für die Anlieferung des materiellen Wohlstands zuständig ist, ihr Kollege Kuber aber für die Bewahrung und den Schutz desselben. Am Morgen nach dieser seltsamen Nacht laufe ich durch die Straßen und bewundere Rangolis. Mir gehört der Tag! Und die Hindus sind offenbar selbst nicht sicher, ob die Wohlstand garantierende Nacht schon vorbei ist. Jedenfalls werden immer noch Farben für Rangolis feilgehalten, und Nüsse, Rosinen, Topis für die Geschwister. Heute müssten, denke ich,  auch die Kühe verherrlicht werden. गाई तिहार - Gai Tihar, the cow festival. Aber sicher ist derzeit gar nichts. 

Mir kommt keine einzige Kuh entgegen, nur ein schwarzer Hund schläft vor einem Friseursalon seinen Kater nach Kukur Tihar aus, mit einer roten und einer lila Locke im Fell. 

Vor einem Fleischerladen angebunden sind zwei sehr unglücklich dreinschauende Ziegen. Daneben gackern mehrere muntere Hühner in einem Käfig. Man kann alle Tiere lebendig kaufen und selbst rupfen oder schlachten. 

Später laufe ich an einer Motorradfahrlehrschule vorbei, wo am Feiertag ein einsamer Schüler Kurvendrehen übt.

Es kommen mir viele singende und musizierende Kinder und Jugendliche entgegen. Die veranstalten देउसी भैलो -  deusi-bhailo - cultural singing and dancing. Natürlich zum Zwecke des Geldeinsammelns. Was Laxmi in der letzten Nacht nicht angeliefert hat, muss jede/r selbst bei den Nachbarn, auf der Straße, in den shutters erbetteln. Das wird sich zum Abend hin und wahrscheinlich über die nächsten Tage noch intensivieren. Laut einer Pressemeldung der Stadt darf deusi-bhailo nur bis 9 pm praktiziert werden, man soll dabei keine Verstärker mittragen und nicht den Verkehr behindern. 

Und last but not least: die Newari haben heute Silvester. Das Jahr 1145 nach dem Nepal Sambat Kalender geht zu Ende. Geknallt wird kaum noch und als ich nach Hause komme, ist kurz der Strom weg.

Montag, Oktober 20, 2025

Rangoli

Die Konkurrenz (zu Dragon) ist noch schwer am Arbeiten, als wir mit vollen Bäuchen nach Hause, in unsere hell erleuchtete namenlose Festung laufen. 



Kukur Tihar

कुकुर - kukur ist der Hund. Eines meiner ersten Wörter, nach बिरालो - biralo, der bei den Nepali so unbeliebten Katze. Früh am Morgen wird der Müll abgeholt, das ist immer ein gutes Zeichen an public holidays. Später läuft eine schwarze Katze durch die Siedlung. Nur mir zur Freude: eine der Zurückgekehrten. Am Vormittag werden die Hunde gefeiert, obwohl bereits der dritte Tag von Tihar angebrochen ist und die Hunde normalerweise am zweiten Tag an der Reihe sind. In diesem Jahr ist alles anders, das ZK - bzw NCDC - musste den Kalender berichtigen, anpassen, weil der Mond verrückt spielt. Die Hunde gelten hierzulande - anders als die Katzen - als Freund des Menschen. Sie schieben aber auch Wache vor den Toren zu Yamarajs Unterwelt. Also ist es besser, sich mit ihnen gut zu stellen. Traditionell werden an Kukur Tihar die Polizeihunde der Öffentlichkeit vorgeführt - in diesem Jahr weniger spektakulär als sonst. Auch die Polizeistellen wurden landesweit verwüstet im Zuge der Gen Z Manifestationen. Deshalb zeigt man jetzt lieber Demut als Zucht. Am Nachmittag empfängt Interims-PM Karki die sterblichen Überreste von Bipin Joshi, der letzten nepalesischen Geisel der Hamas, am TIA, bevor der Sarg mit einer Militärmaschine nach Dhangadhi und weiter zu seiner Familie nach Kanchanpur transportiert wird. Dies ist der einzige Ort im ganzen Land, in dem heute keine Lichter brennen. In diesem Jahr überschlägt sich alles. Präsident Paudel verkündet natürlich seine Tiharwünsche. Auf der Golfutar wurden am frühen Morgen die shutters geputzt und Bürgersteige gebürstet. Die dunkelste Nacht steht uns bevor und Laxmi wird mit unruhig hüpfenden LED-Lichterketten, aber auch mit Kerzen, Öllampen, kunstvollen Rangolis und Fußabdrücken, die die Richtung vorgeben, in jedes Haus, sicher über jeden Stolperstein und jede Treppenstufe gelockt. Die Farben für die Rangolis tauchen erst am Abend von fliegenden Händlern an allen Ecken der Stadt auf. Das ist etwa so, wie wenn in anderen Teilen der Welt der Weihnachtsbaumverkauf am 24.12. nach Sonnenuntergang begänne ... 

Hier der Eingang zu unserem Lieblings-Dragon. Die Spur für Laxmi führt nicht in die Küche, sondern an die Kasse. Wir essen scharfe Drunken noodles. Auf dem Heimweg kaufen wir eine Flasche 8848 und bekommen ein Selroti dazu geschenkt. Zu Hause setzen wir uns aufs Dach und erleben so etwas wie Silvester. Knallerei rund um, buntes Glitzern und Feuerwerke über der Stadt. Wir trinken eine halbe Flasche Hoya de Cadenas und lassen Laxmi in Ruhe. Wir zünden nur ein Räucherstäbchen gegen die Mücken an.  

Sonntag, Oktober 19, 2025

Dhanwantari day

Der heutige Tag begann schon gestern Abend und ist der Geburtstag von Lord Dhanwantari, dem Arzt der Götter oder Schöpfer von Ayurveda. Dhanwantari soll dem Milchozean oder dem Urmeer (wer kann das schon wissen) entstiegen sein, mit zwei oder vier Händen, in der einen hält er einen Krug mit dem Nektar des Lebens, dem Unsterblichkeitstrank Amrit, in der oder den anderen Kräuter, Schneckentrompeten, Blutegel und dergleichen mehr. Die Krähen werden auch heute gefüttert, damit sie die Unsterblichkeit nicht gefährden. Aber die gläubigen Hindufrauen fasten, der Gesundheit zuliebe, bis Laxmi kommt. Wer unbedingt einkaufen will, soll Gegenstände aus Stahl, Kupfer, Zink oder Messing besorgen, oder Gold, so viel wie möglich heranschaffen, und alles in der Nord-Ost Ecke des eigenen Hauses horten. Auf keinen Fall etwas davon abgeben, verschenken oder verpulvern!

Samstag, Oktober 18, 2025

Yama Panchak

Nun ist es soweit: der nächste Festivalmarathon nach Dashain beginnt. Der Monat Kartik beginnt und nach der Mithila Tradition beginnt तिहार - Tihar mit Dhanteras - das ist auch heute, aber erst nach Sonnenuntergang. Tihar ist das Lichterfest oder das Festival der Tiere oder eben Yama Panchak - das Ritual, das auch heute beginnt. Der Tanz um Yamaraj, den Gott der Unterwelt und das Besänftigen der Hüter der Tore zu derselben. Normalerweise dauert Tihar 5 Tage, von Kartik Krishna Trayodashi (heute von 01:12 pm bis morgen 01:56 pm - also länger als 24 Stunden) bis Kartik Shukla Dwitiya (das wird nächsten Donnerstag überlappend bis Freitag sein). In diesem Jahr dauert eben deshalb, wegen overlapping lunar dates oder lunar alignment, Tihar 6 Tage. Also ungefähr von heute Mittag bis schätzungsweise nächsten Freitag Vormittag. 

Das Festival der Tiere beginnt, anders als der Karneval derselben ("Carnaval des animaux") mit den Krähen. Heute nachmittag feiern einige Hindus bereits काग तिहार - Kaag Tihar, andere erst morgen Mittag. Bei uns versammeln sich die काग tatsächlich, wie gerufen, schon den ganzen Tag zuhauf im Laxmibaum und im Bodhibaum und im Gestrüpp rund um den Shivatempel sowie auf den Dächern all unserer Nachbarn. Das wilde Gekreisch ist unüberhörbar. Wahrscheinlich werden die Todesboten mit Futter angelockt. Das soll sie nämlich besänftigen und von ihrer Hauptaufgabe ablenken. Heute wie morgen.

Freitag, Oktober 17, 2025

Kalender

Eines meiner Lieblingsthemen. Im Vorfeld von Tihar (es blinkt und glitzert schon seit Tagen) versuche ich einmal mehr, nach nunmehr mehr als einem Jahr, den Lauf der Zeit in diesem Land zu verstehen. Es gibt das NCDC - The Nepal Calendar Determination Committee. KI bietet mir als Übersetzung an: Kalenderbestimmungsausschuss. Alternativ: Terminplanungskomitee. In Nepal ein staatliches Komitee, das befugt ist, Daten und Zeiten hinduistischer Feste festzulegen. Früher, als das Land noch das einzige hinduistische Himalayakönigreich war, übernahmen die Hofastrologen diese Aufgabe. Diejenigen, die einst dem Königshaus das prophezeiten, was es unweigerlich ereilte: den Untergang! Heute ist Nepal eine föderalistische Demokratie, bis vor kurzem von einem kommunistisch-marxistisch-leninistisch-maostisch geprägten Parlament regiert. Also gibt es ein Komitee. Ein Zentralkomitee mit einem Vorsitzenden sowie und ein paar unentbehrlichen Mitgliedern. Die bestimmen die sogenannten auspicious hours - die günstigsten Zeiten (Stunden mit Minutenangabe) für gewisse rituelle Handlungen. Dabei betonen sie immer wieder, dass für die normale Bevölkerung die Zeitangaben nicht absolut verpflichtend seien, für die Würdenträger des Staates (state dignitarities) aber schon. Das war doch zu des Königs Zeiten genauso! Das Fußvolk kann zu spät kommen, der Monarch nicht! 

Daneben gibt es die Kalendermacher. Ganz normale Menschen, die die Zeit mit dem Lineal messen und auf Papier aufmalen. Die den Kalender machen. Entwerfen, layouten, vielfarbig drucken, rechtzeitig herausgeben, verkaufen. Nichts einfacher als das. Heute endet der Monat Ashoi im Jahr 2082 nach Bikram Sambat. 

Donnerstag, Oktober 16, 2025

Grenzstein

Ich versuche mein Deutsch. Und bemühe die Grammatik. Borniert ist ein Adjektiv. Kennen wir alle. Ich wusste aber nicht, dass es einen konkreten etymologischen Hintergrund hat. Französisch "borner" bedeutet ganz neutral etwas mit einem Grenzstein versehen. Jedes europäische Grundstück kennt so etwas. Und logischerweise jeder europäische Grundstücksbesitzer. "borné" ist das Partizip zum Verb "borner" und das bedeutet eine abgeschlossene Handlung. Also "begrenzt". Das kann mit einem Maschendrahtzaun geschehen oder mit einer Steinmauer. Mit Stacheldraht, Elektroweidezaun, geschlossenen Türen, vergitterten Fenstern. Übertragen kann man "borné", zu gut deutsch "borniert" auf alles Denk- und Undenkbare. 

Mittwoch, Oktober 15, 2025

Streichhölzer

Die Feuerherde schwelten die ganze Nacht. Ich sah sie nicht, roch es nur im Bett, mochte aber nicht aufstehen und das Fenster schließen. Eine Feuersbrunst ist ausgeblieben. Der Boden und die wilde Vegetation darüüber ist noch feuchter als es den Anschein macht. Die Sonne trocknet tagsüber Oberflächen gnadenlos aus. Meine jungen Bäume muss ich wieder zweimal täglich wässern. Die Nächte sind aber kühl und feucht. Wie wir wissen, wissen die Nepali mit Feuer umzugehen. Die Halde sieht bei Tagesanbruch unansehnlich aus. Die Herde schwelen weiterhin. Auch lange dicke Bambusstangen sind darunter, die sich sicher hervorragend für लिङ्गे पिङ - Linge Ping geeignet hätten. Aber die Kinder in unserer community sind eingesperrt und düfen nicht auf die Müllhalde außerhalb des Zauns. Auch nicht auf die Straße. In der Kathmandu Post war zu lesen, dass die Brandstifter rund um die Gen Z Proteste immer noch nicht ausgemacht sind. Weil die Brandmittel (noch) nicht festgestellt werden konnten. Oder nie festgestellt werden können. Weil Spuren verschwinden. So ein Hilton so in Brand zu stecken, dass nichts davon übrig bleibt als ein dürres Stahlgerippe, geht ja nicht mit dem Feuerzeug. Und schon gar nicht mit einem der fragilen Pfeile  - der Streichhölzer der Marke तीर, die es hierzulande zu kaufen gibt.

Dienstag, Oktober 14, 2025

Feuer!

Nach दशैं - Dashain ist vor तिहार - Tihar! Es wird Ordnung gemacht. Wir befinden uns im dunkelsten (Mond-) Zyklus des Jahres. Der Tihar-Neumond, auf den wir zusteuern, gilt als der schwärzeste, lichtloseste. Deshalb werden nun vorauseilend von Tag zu Tag überall mehr Kunstlichter brennen. Bunte LED-Ketten. Und tagsüber wird gezündelt, wo es nur geht. Aufgeräumt! Feuer gemacht! Damit es Laxmi nicht schlecht wird, wenn sie über Übelriechendes und Unappetitliches steigen muss, um uns Reichtum und Glück ins Haus zu tragen. Alles wird verbrannt. Das ist hierzulande die einfachste Art des Entsorgens. Unbesehen und überall wird alles verbrannt. Auf Hausdächern. Zwischen Blumenkübeln und Wäscheleinen. In engen Hinterhöfen. Wo es gerade passt. Wo der Müll hingeworfen wurde und liegengeblieben ist. Unser community manager brennt heute am späten Nachmittag die Halde ab, die außerhalb des Sicherheitszauns liegt, aber offenbar noch zum Hoheitsgebiet von CG Hills gehört. Ich hatte mich seit Anbeginn - seit wir hier wohnen - gewundert, mit welcher nonchalance (chuzpe oder verve) meine Nachbarn bzw deren staff vor meinen Augen Überflüssiges über diesen Zaun schmeißen. Bei größeren Mengen oder unhandlichen Formaten wie Gerüststangen, gefällten Bäumen oder Möbelteilen wird schon mal das Tor im Zaun aufgeschlossen. Aufgestoßen. Ein Durchgang für nur Befugte ermöglicht. So auch heute. Der cm stapft durch das wilde Gestrüpp, das während des Monsuns mildtätig über buntes Plastik, alte Teppiche, kaputte Wassertanks und dergleichen mehr, gewuchert ist, und zündet es hier und dort und am Rand an. Nun wundere ich mich, mit welcher Selbstverständlichkeit hier vor Einbruch der Nacht mit Feuer umgegangen wird. Alles, was zum Vorschein kommt, verkohlt. Und verdunkelt, ehe man sich's versieht, den Abendhimmel.

Montag, Oktober 13, 2025

लिङ्गे पिङ

लिङ्गे पिङ - Linge Ping, die Dashainschaukel - kürzlich im Prakriti Resort gesichtet und darauf geschaukelt!

Linge sind hochgewachsene, schlanke, elastisch biegsamen Bambusse und ping ist schwingen, schaukeln - auch verweilen. An Dashain mit den Füßen über dem Boden. Das soll dem Körper Gift entziehen, ihn reinigen von schlechten von Gedanken über Gefühle. Vor allem aber uns nach dem Tode eine sichere Reise wohin auch immer gewährleisten. Deshalb soll man mindestens einmal im Jahr vom Boden abheben. 

Ich löse meine Füße jeden Tag vom Boden, wenn ich während des morning-workouts von meiner Trampolinsprungmatte abhebe.


Hier gibt es schöne Fotos, wie es einmal war ... once upon a time

Sonntag, Oktober 12, 2025

Performance

Ich bringe Muskelkater in den Oberschenkeln mit, W eine rote Nase. Auf dem Hill erwartet uns keine Katastrophe. Der Strom fließt, das Wasser tropft weiterhin von der Decke in die bunten Eimer. Die Guards überreichen mir ein weiteres Päckchen von Daraz, federleicht. Der Kurier hatte mich unterwegs angerufen. Mein Geburtstagsgeschenk. Ein sport-swimsuit westlicher (Nach-)Machart. Natürlich fake, aber was soll's. Hauptsache gekreuzt auf dem Rücken. Im Original heißt das Teil Perfomance Badeanzug. Die Saison des outdoor-Schwimmens beginnt ja gerade wieder. Die Sonne ist nicht mehr so giftig, der Himmel berechenbar blau, die Regenwolken auf Nimmerwiedersehen verschwunden. 

Samstag, Oktober 11, 2025

Müllsammlerin

Ich habe zwei Tage lang auf meinen Wanderungen durch den Dschungel Müll im Nationalpark gesammelt. Trash. Leere Plastikflaschen und Getränkedosen, nachlässig und aus purer Gewohnheit, Bequemlichkeit, Gedankenlosigkeit fallengelassene leere Chiptüten zBsp von den Jugendlichen, die mich, als sie mich überholten, lachend gefragt hatten: how old are you? Ich gab mir keine Blöße und antwortete routiniert und reinen Gewissens: सतसठ्ठी. Obwohl ich vor ein paar Tagen अठसठ्ठी geworden bin. Die neue Zahl wollte mir bei dem beschwerlichen Abstieg an den Fluss hinunter partout nicht von den Lippen kommen. 

Das ist der Dank - den kann ich an die Wand hängen!



  

Freitag, Oktober 10, 2025

sunrise

Mal anders. Ohne Sonne. Nur mit ihrem Abglanz und Widerschein auf dem Langtang Himal, der Langtang Bergkette. Einer der Gipfel, der höchste, ist der Langtang Lirung. An seiner Ostflanke, also der aufgehenden Sonne entgegen, strömt der Lirunggletscher in den Tag, bzw ins Tal. 




Donnerstag, Oktober 09, 2025

हैबुङ

Wir fahren los. Ins Grüne, in die Höhe, an den Klöstern vorbei, Kopan und Shyalpa, aus der Stadt heraus. Nach Nordosten. Richtung Haibung - हैबुङ. Durch den Shivapuri-Nagarjun-Nationalpark. Die Straßen sollen wieder passierbar sein.

update: angekommen im Prakriti Resort, und alles vergessen. Das Gerumpel unterwegs, die Abgründe, die Schlagseiten, die Spuren der Verwüstung, die das letzte Aufbäumen des Monsuns hinterlassen hat. Unser driver bringt uns im Jeep heil nach oben. Ein Australier, der nach uns unterwegs ist, bleibt mit seinem Pkw vor der letzten Kurve stecken. So nah am Rand der unbefestigten Straßen, dass er und seine slipper-Frau aussteigen und das letzte Stück zu Fuß gehen. Mit Handtasche und Rucksack. 

Mittwoch, Oktober 08, 2025

namaste

Nun beginnt das neue Leben. Der Vollmond hat die Energien gesetzt. Was ohne Bedeutung ist, lassen wir hinter uns. Ein Zimmer unter dem Dach, zum Beispiel, in dem nun nurmehr drei kunterbunte Plastikeimer stehen. Wasserauffangbehälter. Ich kehre zum Alphabet zurück. Im Traum kam gurubaa mit seiner zweidreivierteljährigenTochter und ich schickte sie weg. नमस्ते - namaste - der hier allgegenwärtige Gruß, eine Art Allzweckwaffe oder Türöffner, wenn man sonst kein Wort der Sprache der Einheimischen spricht - lese ich, kommt aus dem Sanskrit (was kommt eigentlich nicht aus dem Sanskrit?) und bedeutet "ich verbeuge mich vor dir". Das tun wir auch immer mit den Handflächen aufrecht, die Daumen zur Brust gerichtet, unter dem Kinn aneinander gelegt. In den literarischen Texten, die ich in englischer Übersetzung lese, steht immer "she gives him a namaste". Man gibt den Gruß. Und wer ihn annimmt, gibt ihn zurück. नम nama = Verbeugung, स sa = ich, ते te = du. नमस्ते namaste! 

In Nepali natürlich komprimiert, das ich + du verschmolzen im half consonant स [s(a)] +  full consonant त [ta] = स्त + similarity e (Strich drüber, offen nach links oben) =  स्ते [ste]. नमस्ते!

Dienstag, Oktober 07, 2025

Purnima

Dienstag, der 7. Oktober. Purnima - Vollmond. Endgültiges Ende von Dashain. Endgültiges Ende von public holiday. Ich wache wie immer um 05:05 am auf, es ist noch dunkel und im Bad brennt kein Licht. Also wieder kein Strom! Wieder shortcut. Wieder glücklicherweise ohne Feuer im Dach. Ich warte eine Stunde, bis ich die landlady mit dem Wort zum neuen Tag wecke: again no electricity! Sie braucht eine weitere Stunde, um die Nachricht zu verdauen und schickt einen der guards, der gerade seine Nachtschicht beendet. Der sagt etwas, was ich nicht verstehe, verschwindet wieder und 5 Minuten später, um 07:06 am ist der Strom da! Woher auch immer. Ich stelle die Waschmaschine an, lade mein Smartphone und setze Wasser auf. Um 10:20 am ist der Strom wieder komplett weg. Vielleicht ist wieder einmal cityline-cut. Ich habe gerade meine zweite Waschmaschine in Gang gesetzt. Es gilt, die Sonne auszunützen. Einweichen schadet nichts. Es klingelt und ich laufe alle Treppen hinunter. Trinkwasser wird geliefert. 40 Liter. Ich mag die Wassermänner, die sind immer gut gelaunt. Um 12:05 pm ist der Strom wieder da, ohne dass der um 11:34 am angekündigte (is on the way) Elektriker aufgetaucht wäre. Die Waschmaschine wäscht ein bisschen. Ich habe leichtsinnigerweise cotton eco gewählt. Das dauert!  Um 12:29 pm kommen zwei Männer, die Ws Schreibtisch vom zweiten in den ersten Stock hinunter tragen. Ich gebe ihnen Trinkgeld, das sie nicht annehmen wollen. Um 12:52 pm ist der Strom wieder weg. Um 1:23 pm ruft der Darazkurier an. Zwei Minuten später überreicht er mir zwei Päckchen für unser zukünftiges Leben und schenkt mir ein Lächeln. Um 1:41 pm kommt der Elektriker pfeifend um die Ecke und nimmt mir auf einen Schlag alle Sorgen. Nach einer Stunde findet er den shortcut in einer nassen Wand und um 2:59 pm kann ich meine Weißwäsche aufhängen.

Vor zwei Jahren aßen wir zu Abend im Sabai Jai am Bahnhof in Itzehoe und beschlossen, für uns beide überraschend, nach Nepal zu ziehen. Also doch Feiertag heute, wenn auch nicht public

Montag, Oktober 06, 2025

no fire two

Montag. Immer noch public holiday. Immer noch unpassierbare Straßen. Bei uns eitel Sonnenschein. Trotzdem sind fast alle shutterstores auf der Golfutar geschlossen. Wegen Abwesenheit der shopkeeper. Oder wegen Abwesenheit der Waren.

Über Nacht ist der Strom unter unserem tropfenden Dach wieder gegangen, wohin auch immer. Wieder, ohne sich abzumelden. W drückt die Sicherung kurzerhand rein - was ich nicht wagte - und die Waschmaschine läuft. Am Nachmittag sitzen wir frohgemut im Roots an der Sonne und trinken Blaubeerlassi. Auf dem Heimweg sehen wir, dass auch Dragon seine shutters noch nicht wieder hochgezogen hat. Also gehen wir nach Hause und bestellen bei foodmandu japanische Nudelsuppe. Scharf! Bis das Essen kommt - es dauert länger als sonst, da mindestens die Hälfte der Köche und Kurier noch nicht wieder an ihrem Arbeitsplatz in der Hauptstadt eingetroffen sind - sitzen wir auf dem Dach und gucken in den Abendhimmel. Oben ist es trocken. Unten tropft es unablässig. Wir machen Pläne für die Zukunft. In diesem Tropfsteinhaus ist unser Bleibens nicht! Während wir sinnieren, macht der Strom seine eigenen 'Pläne und ist prompt auf und davon. Und als ob das nicht genug wäre, entdecke ich in Ws Arbeitszimmer eine zweite tropfende Stelle an der Decke. Ich hole den grünen Eimer und platziere ihn exakt darunter. Statt Suppe zu löffeln, räumen wir Ws Schreibtisch ab, bringen die sensiblen Geräte ins Trockene. Der Elektriker kommt gegen 22 Uhr auf dem Motorrad. Trotz später Stunde läuft er gut gelaunt durch das ganze Haus, von unten nach oben und von oben nach unten. Einige der Deckenlampen haben seltsamerweise Strom. Aber so ist das immer. Den Kurzschluss findet er nicht. Diesmal hat es hat eine der drei Hauptsicherungen unten im Hauptsicherungskasten rausgehauen, zu dem wir ohne Hauptschlüssel gar keinen Zugang haben. 

Sonntag, Oktober 05, 2025

no fire!

Sonntag. Public holiday wegen Unwetter. Starkregen. Erdrutsche. Über die Ufer getretene Flüsse. Gestern hat es den ganzen Tag geregnet und den ganzen Tag gewittert. Auch die Nacht davor sowie die Nacht danach. Also die Nacht auf heute. Pünktlich mit dem Aufgang der Sonne endet der Regen, auch das Donnern und Blitzen. Sie ist an der Reihe, und die Monsunwolken ziehen sich unentschlossen zurück. Wir werden wieder kommen! Alle Zufahrtstraßen zum Kathmandu Valley und zur Hauptstadt wurden gestern Nachmittag bis auf weiteres gesperrt. Trotzdem gibt es Ertrunkene, Weggespült, vom Blitz getroffene. 

Public holiday hat die Interimsregierung verhängt. Sie will nichts falsch machen. Arbeiten müssen heute nur Mitarbeiter des disaster managements sowie wesentliche Dienstleister. Wie beispielsweise der Elektriker, den wir über unsere landlady notfallmäßig rufen lassen müssen. Als ich nämlich erfrischt und beglückt vom Morgenqigong unter dem Laxmibaum wieder nach Hause kam, gab es im zweiten Stock, in unseren Arbeitszimmern unter dem tropfenden Dach, keinen Strom mehr. Das ist erstmal nicht weiter ungewöhnlich. Ungewöhnlich war, dass auch der Router offline war und das Internet tot. Der Router hängt an einer Sicherheitsstromleitung, die nie ausfällt, wenn der citystrom ausfällt. Und ungewöhnlich ist natürlich, dass es stinkt im Flur. Verbrannt, verschmort. Ich öffne den Sicherungskasten und drücke die Sicherungen, die rausgeflogen sind wieder rein. Nichts passiert. Auch im ersten Stock und im Erdgeschoss sind einzelne Sicherungen rausgeflogen. Aber der Kühlschrank hat Strom und auch der Wasserkocher kocht. Ich verfalle trotzdem in Panik und wecke etwas unsanft den Gatten.   

Der Elektriker kommt gegen Mittag pfeifend und gutgelaunt zu seinem emergency Einsatz an public holiday. Er stellt den Hauptstromschalter auf off, schraubt alle Sicherungskästen auf, zieht verkohlte Kabel heraus und sagte: "You are lucky, no fire!" Er ist die Ruhe selbst und Stunden damit beschäftigt, die Sache wieder in Ordnung zu bringen.