Mittwoch, Dezember 03, 2025

Shivas Tränen

Wir hatten Ganesh und die beiden Sichtachsen, fehlt also noch Shiva. Mit Parvati. Er ohne Kopf. Beide von hinten. Hübsch nebeneinander. Das - im Verhältnis zu den Göttern - riesige  Lingam versperrt ihnen - ob mit oder ohne Kopf und Augen - die Sicht auf alles. 

Ich liebe meinen kleinen Tempel und seine Geheimnisse und Wunder. Heute hat mir einer der "Brüder" - sie sind alle Brüder, ich weiß aber nie, ob dai - दाई der Ältere oder bhai - भाइ der Jüngere, da ich meine liebe Not mit der Zeit überhaupt in diesem Land habe, aber auch damit, das Alter seiner Bewohner einzuschätzen im Vergleich zu meinem eigenen - die mich alle kennen, weil sie auch täglich am Tempel vorbeikommen, die Walnussgroßen Rudraksha-Samen gezeigt. Sie fallen gerade massenhaft vom Rudrakshabaum. Manche sind von den Krähen angepickt oder haben sich von selbst bereits aus der dunkelblauen Schale befreit und trocknen an der Sonne. Andere sind noch frisch verpackt. Er sprach und sang mir das Mantra vor: ॐ नमः शिवाय - Om Nama Sivaya. Und ich kann das nun schreiben und lesen! Auf dem peacewalk haben wir alle am zweiten Tag eine Malakette umgehängt bekommen - und trugen sie bis zum bitteren Ende. Hitze hin oder her. Die harten Nüsse rieben im Nacken. Aber das muss wohl so sein. Jetzt zähle ich nach: es ist eine halbe (54 Rudraksha + 1 Guruperle), eine ganze wäre doppelt so lang und doppelt so schwer: 108 + 1. Die Guruperle in der Mitte hilft, die Energie zu leiten. Ich muss meine nur zweimal durch die Finger laufen lassen, dann bin ich auch bei der ganzen angelangt. Soweit kann ich noch kopfrechnen. Ich kann auch noch einmal 54 + 1 Nüsse einsammeln und zu einer zweiten Malakette auffädeln.

रुद्र - rudra ist ein anderer Name für Shiva und  अक्ष - aksha heißt Auge. Letzteres hat mir Pranai in Thamel beigebracht, im Song der buddhistischen Nonne Ani Choying Drolma फुलको आँखामा - fulko ankama - und hat damals alle, die noch dabei waren, in höchste Verwirrung gestürzt. Weil alles  plötzlich ganz anders aussah auf dem Zettel mit dem Text, als wir je vorher von der Tafel schrieben. Anyway - später hat mir guruba schreiben und lesen beigebracht. Und nun ist alles gut. Die Hindus machen aus den Augen Tränen. Auch das ist nachvollziehbar. Der Legende nach soll Shiva nach einer langen Meditation (bittere?) Tränen vergossen haben (worüber, ist man sich nicht einig - über die Menschheit?). Dort, wo die Tränen zu Boden tropften, wuchsen Rudrakshabäume.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen