Januar 15, 2025

ausreisen

Im Morgengrauen hole ich fröstelnd den kleinen Remova-Koffer vom Einbauschrank herunter. Zu packen habe ich kaum etwas, aber ohne Gepäck zu reisen, ist unklug. Ich muss das Land für ein paar Tage verlassen. Because of visa regulations.

Damit ist auch die Frage, ob ich den fetten Speichellecker vor meinem Küchenfenster weiterhin mästen will, erstmal vom Tisch. Gleich werde ich abgeholt und zum KTM - Kathmandu Tribhuvan International Airport gebracht. In ein paar Stunden wartet am anderen Ende hoffentlich W.  

Januar 14, 2025

Vollmond, der 4.

Der vierte Vollmond in Folge. Bei mir erst heute in den frühen Morgenstunden, bei euch schon gestern kurz vor Mitternacht. Eine frostige Nacht geht zu Ende und im Nepali Calendar fängt ein neuer Monat an. Heute ist der 1 Magh und Maghe Sankranti. Public holiday, was ich erst im Laufe des Nachmittags realisiere (während ich vergeblich auf die Trinkwasserlieferung warte).  

Die Katze, von der ich in meiner seltsamen Vernarrtheit annahm, sie habe von einem Tag auf den anderen jede Scheu vor mir abgelegt, ist bei Lichte betrachtet natürlich ein anderer Kater! Der hat mich erfolgreich umgarnt mit seinen Liebesschwüren. Mittlerweile schleichen hier mindestens drei seiner weißgetigerten Geschwister in gebührendem Abstand herum. Seine stahläugige Zwillingsschwester habe ich eben unter einem Auto auf dem Parkplatz gesichtet, während der chief auf der weichen Matte vor meinem Küchenfenster ein so lautes Geheul veranstaltete, dass ich erschrocken vom Dach herunterrannte. Und da fiel es mir, wie man so schön sagt, wie Schuppen von den Augen. So bescheuert bin ich also in meinem immer noch nicht verwundenen Carusotrauma!

Denn: ständig - nicht nur bei Vollmond, sondern seit dem vorletzten Neumond, seit ausgehungerte Katzen mein Mitleid erregen - verfolgt mich ein Schatten. Ich blicke ständig von meinem Bildschirm auf und zur Rechten, weil mir scheint, ein schwarzer Kater warte dort stumm und geduldig vor der Dachterrassenglastür auf Einlass. Es ist vollkommen ausgeschlossen, dass eine der wilden Katzen des Hills bis aufs Dach klettert. Denn erstens gibt es keinen schwarzen Kater auf dem Hill, und zweitens kein Futter auf den Dächern! Also muss es Caruso sein, der freundlicherweise gucken kommt, wo ich abgeblieben bin. 

Januar 13, 2025

Begnadigtes Gelände

Ich schone meinen Fuß, gehe seit Tagen nur noch um die Ecke zum Dragon und esse sehr scharfen Curry oder sehr scharfe katta noodles. Das sei gut für die Seele, sagt W. Auf dem Rückweg kaufe ich das Nötigste, open dahi, Bananen oder nepalesische Orangen, die die Größe von Mandarinen haben und sehr saftig sind. Mit sehr vielen Kernen. Wie die Zitronen, die auch klein und saftig sind. Neue Zeiten! Jenseits EU-begradigter Gurken.

Das abschüssige Gelände vor dem Shivatempelchen ist begnadigt - begradigt. Ich kämpfe trotzdem mit den Gleichgewicht beim Morgenqigong. Ein Band am linken Fuß, innen unter dem Knöchelknochen ist, wie ich vermute, ungut zerdehnt. Einstens balancierte ich hier vor meinem Laxmibaum - mit oder ohne Hund. Und die ganze Anlage sah so aus:
Heute ist alles schier, wie man in Dithmarschen sagt, am Nachmittag soll noch der Zaun gesetzt werden, verspricht mein Mönch. Ich zentriere mich derweil am Schreibtisch, der im Hintergrund im ersten weißen Haus links hinter dem mittleren Fenster in der obersten Etage steht. Zügele meine wüsten Gedanken, zentriere stattdessen für Euch und die Welt zum Ende dieses Bilderreigens noch eine allerletzte Vorher/Nachher-Schau: 



Januar 12, 2025

the art of quotation

Über die Zitierweise - the art of quotation - ist schon viel gesagt und geschrieben worden. Wie diese Kunst ordentlich und guten Gewissens handwerklich auszuführen ist. Ich überarbeitete heute Vormittag, solange die Sonne schien und mir die Füße wohlig wärmte unter dem Schreibtisch, wohl zum tausendsten Mal mein Lieblingskapitel meines eigenen work in progress, wieder einmal, wie ich meine, zum allerletzten Mal, wieder einmal, wie mir scheint, endgültig. Ich stellte ungefähr jedes meiner eigenen Worte noch einmal prüfend auf den Kopf, bis ich das Chaos gebändigt und den Text in Fluss und Klang gebracht hatte. Zum Mittag zogen Wolken auf und es wurde schlagartig kalt wie in der Nacht. Ich legte mich mit meinem Dithmarscher Wintermantel und zwei Decken auf das Sofa im mittleren Stock, im mittleren Zimmer und las - to improve my poor english - das Buch, das W. mir kürzlich als Geschenk von der Autorin überbrachte. Sie war mit mir im September drei Tage lang von einem Tempel zum anderen gepilgert, beginnend am Affentempel in Kathmandu über Thimi, Bhaktapur, Banepa nach Panauti (das wenige Tage später durch die Regenmassen völlig verwüstet wurde) bis zum Na:ma Buddha Tempel. Dort, auf dem peace walk, nannten sie alle Lesley, auch ich. Nun heißt sie Louisa. Warum, kann hier nachgelesen werden. 

Und ich ärgere mich über meine ultraverlangsamte Arbeitsweise und die Chuzpe dieser Louisa. Nicht nur, dass sie ihr Buch von hinten bis vorne spickt ist mit Zitaten, klugen Worten berühmter Zeitgenossen, seitenweise Auszügen aus der englischsprachigen Tagespresse Nepals, aus Facebook-threads (oder wie heißt das heutzutage?) und Whatsappgruppen, aus höchstpersönlichen Korrespondenzen mit Regierungsvertretern und Botschaftsmitarbeitern, allesamt mit Klarnamen schwarz auf weiß, Lesley alias Louisa hat auch überhaupt keine Scheu - und kein Lektor ist offenbar mit einem Machtwort eingeschritten - , ein verkürztes Cézanne-Zitat zum Titel ihres Erstlings ("first in an empowering series") zu machen!

Während ich dies schreibe, ist dreimal mein Computer abgestürzt. Ganz ohne Stromausfall auf dem Hill. Morgen früh tue ich Abbitte unter dem Laxmibaum.

Januar 11, 2025

seismic threat

Ein kalter Morgen beginnt. Die Energiebotschaft für Januar empfiehlt mir, mich zu zentrieren. Das tue ich, denn anders geht es nicht. Auf dem Trampolin. Beim Morgenqigong. In den letzten Tagen fiel es mir schwerer als sonst, da der linke Fuß schmerzte und ich leicht aus dem Gleichgewicht kam, keinen festen Stand hatte und mich einseitig bewegte, um dem Schmerz auszuweichen. Gleichzeitig fällt es mir vor dem Laxmibaum momentan viel leichter, meine Balance zu halten, denn der Boden rund um den Shivatempel wurde planiert und gepflastert, nun sind noch kosmetische Verschönerungsarbeiten im Gange. Also: zuentrieren, aufrichten, den Wirbelsäulenkanal stabilisieren, mit den Füßen fest "auf der Erde" verankert bleiben. Mein vietnamesischer Thay nennt das "connecting to Mother Earth".

Und wenn diese Erde selbst wankt und bebt? Wenn das Fundament bröckelt, der Boden unter meinen Füßen instabil ist und möglicherweise Risse bekommt? Obwohl die um den Tempel herum gerade alle neu verfugt und gekittet worden sind. Wenn wir, wie ich lese, in Kathmandu und Umgebung aufgrund "sich kumulierender Energien" unter ständiger seismischer Bedrohung leben? Über einer der seismisch aktivsten Zone dieser Erde? Unter uns, irgendwo in der Tiefe schrammt die Indisch an die Eurasische Platte - oder umgekehrt, was weder einen qualitativen noch quantitativen Unterschied macht. Es vibriert und ruckelt quasi nonstop und es ist nur eine Frage der Zeit, wann wir hier oben tüchtig durchgeschüttelt werden.   

Gleichzeitig empfiehlt die Energiebotschaft für Janur Gelassenheit. Hingabe. Vorfreude (auf mein eigentliches und wahres ICH), mit einem Wort: Vertrauen auf die "lichte Führung". Dankbar annehmen, was kommt. Auch das tue ich. Jeden Morgen. Wenn die Sonne kommt, wird es sofort warm.

Januar 10, 2025

Die Außenspüle

Whaity kommt und geht. See-Gee wohnt unter der Außenspüle, wenn er sich nicht sonst wo herumtreibt. Ihre Kräfte messen die beiden in meinem bescheidenen Hinterhof auf dem Mäuerchen zum Nachbarhaus. Dort drüben bekommen sie auch Futter. Es ist eine magische Grenze. Über meinem weiß-roten Mülleimer. Manchmal wissen sie nicht, auf welche Seite sie ausweichen wollen. Whaity ist sehr mager, aber eine vornehme Dame. Sie lässt sich nicht mehr einschüchtern. Wenn sie Hunger vermeldet, bekommt sie Futter und ich schiebe Wache, bis sie fertig gefressen hat. Verjage derweil See-Gee mit angedeuteten Fußtritten oder brülle ihn an, falls es ihm einfallen will, sich mit Drohlauten und Drohgebärden einzumischen. Am besten versteht er mich, wenn ich ihn polnisch und laut anspreche: Wynoś się stąd! Uspokój się! Cicho bądź! 

See-Gee hat einen leeren Karton bekommen, ausgepolstert mit kleineren, auseinandergefalteten Verpackungen von Wasserkocher, Wasserkaraffe, Thermoskanne usw. Der äußere Karton hat einen Klappdeckel, unter dem sich der Kater für seine Attacken verstecken kann. Das perfekte Katzenhaus außer Haus: regen- und windgeschützt unter der Außenspüle auf dem gepflasterten Platz hinter der Küche.  

Ich aber bewege mich nun tagsüber nicht mehr von meinem Karmaholzschreibtisch unter dem Dach weg. Futter gibt es nur bei Sonnenaufgang (06:55 am Frühstück) und Sonnenuntergang (05:27 pm Abendbrot). Dazwischen mögen die Katzen draußen ihrer Wege gehen oder open-air-Konzerte veranstalten. Drinnen wird gearbeitet und kein Mensch reagiert auf herzzerreißende, Mark und Bein erschütternde Kampf- und Bettellaute.

Januar 09, 2025

रुख कटहर

Ich muss nur die richtigen Leute fragen, dann bekomme ich die richtigen Antworten und gelang auf den richtigen Weg. In den richtigen Wald. Unter den  richtigen Baum! Das Holz, aus dem mein Schreibtisch gezimmert ist, heißt hier रुख कटहर - Katahar. Jackfruit, Jackfruchtbaum, Jakobsfruchtbaum oder Jakobsbaumfrucht - Artocarpus heterophyllus aus der Familie der Moraceae (Maulbeergwächse). Jackfrüchte sind essbar und vielleicht bedeuten diese Zeichen रुख कटहर auch Rukh Katahar (denn es sind zwei Wörter, soviel sehe ich an den waagerechten Strichen obendrüber), bereits geschälte, ev auch schon in scharfes nepalesisches Pickle eingelegte, zum Export als veganer Fleischersatz angebotene Früchte. Ich weiß es nicht, weil ich die Zeichen nur kopiert habe und sie weder entziffern noch deuten kann.

Auch die Samen sind essbar, gekocht oder geröstet im Curry, getrocknet zu Mehl gemahlen, als Backzutat, sollen sie tatsächlich wie meine Meldorfer Maronen schmecken! Und das Holz ist termitenresistent, was mich natürlich zusätzlich freut! Ein geschätztes, gut polierbares Möbel- und Musikinstrumenten-, in Südostasien ein begehrtes Trommelholz (Fasstrommeln, Zylindertrommeln, Sanduhrtrommeln werden daraus gebaut). In Kerala gilt der Jackfruchtbaum als heilig, denn in ihm wohnt die Göttin Kali, die den Hindus Wünsche erfüllt! Also Kaliholz in meiner Schreibstube! Und ein Laxmibaum um die Ecke. Kali ist angeblich aus der Stirn von Durga (siehe hier) entsprungen, verkörpert deren Zorn und erfüllt das Weltall mit entsprechend furchtbarem Gebrüll! Dampfablassen ist immer gut für das Karma, und den Schreibtisch! Wird das Holz hingegen gekocht - statt zu einem Schreibtisch zerhauen oder zu einer Zupflaute zersägt - gewinnt man den gelben Farbstoff, mit dem die Gewänder der buddhistischen Mönche gefärbt werden. रुख कटहर - Katahar - das interreligiöse Karmaholz!