Samstag, November 15, 2025

Das Schwert

Der See war aber nicht unbewohnt, nicht unbeseelt, nicht unbeherrscht. Im Wasser lebten bereits "göttliche", "mythologische" Kreaturen: die Nagarajas, die Schlangenkönige und ihre Schlangenvölker. Der oberste Schlangenherrscher hieß Karkotaka Nagaraja - कक्र्कोदक नागराज und sein See - es war ja seiner! - folglich Nagarasahrada - नागरसरह्रद, der Königreich-Naga-See. Das Wasser war heilig. Hier trafen sich göttliche Wesen zur spirituellen Einkehr lange vor den Adis, Tathagatas und Buddhas. 

Man besetzt nicht ungestraft fremdes Gebiet und schon gar nicht heilige Stätten! Eine buddhistische Legende bedarf aber keiner feindlichen Übernahmen. Unter dem zweiten Tathagata, Sikhi trafen alle göttlichen Wesen aus allen Sphären des Universums am Gestade des Sees ein, um dem Lotuslicht zu huldigen. Auch Sesa Naga kam, der alleroberste Schlangenkönig, die Stütze des Schlangen-Weltalls. Die vereinten göttlichen Energien führten prompt zu einem heftigen Erdbeben - aber nicht einmal das reichte für die heimlichen Absichten der Buddhisten, den See trockenzulegen! 

Es gelang erst unter dem dritten Tathagata, Vishwabhu, als Treta Yuga auf dem Wege der fortschreitenden Degeneration das Goldene Zeitalter der vollkommenen Harmonie abgelöst hatte. Aus MahaChin (heute: China) kam der Bodhisattva Manjushri - मन्जुश्री बोधिसत्त्व mit seinem Schwert! Während einer Meditation auf Wutaishan, dem Berg der fünf Gipfel - im Sanskrit पञ्चशिर्ष पर्वत (Panchasirsa Parvata) hatte ihn angeblich das Valley mit dem Nagavasahrada, dem heiligen See der Schlangenkönige, und dem heiligen Licht der Swayambhu Dharmadhatu gerufen. Und zur Tat aufgefordert. Er pilgerte nach Nepal, fand im Süden des Valley den tiefsten Punkt am Kacchapal Parvata (Turtle Mountain) und zerhieb diesen Berg kurzerhand mit seinem Chandra Hasa - चन्द्रहास, dem Schwert mit der Symbolkraft eines Mantras. Das Wasser floss ab, in Richtung Ganges. Also in das heutige Indien. Nach dem Handstreich war das Valley trocken und fruchtbares Ackerland, aus dem der Swayambhu-Hügel "wie von selbst" als nun höchster Punkt herausragte.

Freitag, November 14, 2025

zurückkehren

W bringt mir ein langärmeliges Oberteil meiner Lieblingsmodemarke aus Barcelona mit. In warmen, dunklen Herbstfarben. Ich habe dem Konsum (der Gier!) noch nicht ganz abgeschworen und freue mich! Obwohl es hier keinen Herbst gibt. Tagsüber haben wir Sommer bis Hochsommer, nachts Frühsommer.

Vipashwi brachte dem Valley Licht. Sein Lotos entfachte das Dharma Licht, das erleuchtete Licht. Alle Adis, die nach dem ersten folgten, ließen sich von den leuchtenden Blüten blenden. An der Stelle, wo Vipashwi den Lotos gepflanzt hatte, erstand (nicht ganz von selbst) Swayambhu Dharmadhatu Chaitya. 

Die Purana erklärt das folgendermaßen: "The term Dharma signifies Buddhist law and doctrine, while Dhatu represents the elemental form. Together, Dharmadhatu embodies the ultimate essence of the Dharma. The term Chaitya refers to a Buddhist stupa and is the dwelling place of all Enlightened Beings, including Buddhas, Bodhisattvas and Tathagatas." 

So - mit der Pflanze, die fehlte (warum fehlte sie eigentlich in der absoluten Idylle, im Naturheiligtum?) - kamen also das Wesen und die Wesen des Buddhismus in die Legende.

Donnerstag, November 13, 2025

vorauseilen

Der City-Strom geht und der CG Hills-Generierte Strom kommt. Die Waschmaschine kann zu Ende laufen. Nach drei Stunden meldet der Community Manager "Generator is off for rest ..." Was das bedeutet, verstehe ich natürlich nicht, obwohl ich jedes einzelne Wort verstehe und auch die Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen richtig (wie mir scheint) deute. So lange hatten wir aber in der Tat schon lange keinen line-cut mehr. Noch ist heller Tag, die Sonne scheint und der Wind ist kalt.  

Zurück zu den Mythen. Mein alter laptop mit seiner ausgeleierten Batterie hängt an der Router-Steckdose und die hat immer Strom. Warum, verstehe ich auch nicht. Ich habe mir aber kürzlich (während dreier Tage walking-meditation auf dem Asphalt des Kathmandu-Valleys) vorgenommen, nichts mehr zu hinterfragen und alles hinzunehmen. Das Valley - das historische Nepal Valley, bzw.  unser heutiges zugebaute Kathmandu Valley - war einst ein See. Das ist, glaube ich, erdgeschichtlich und geologisch unbestritten. Wasser ist mythologisch ein dankbares Element, viel dankbarer als Feuer, Wind oder Erde. Dieser herrliche, heilige See hat - immer nach Swayambhu Purana - alle Adis, die 7 Buddhas aus verschiedenen Himmelsrichtungen mit unterschiedlichsten Beweggründen in ihren jeweiligen Weltzeitaltern magisch angezogen. Der erste Tathagata, Vipashwi umrundete den See und betrachtete ihn von allen Seiten sehr aufmerksam. Er zählte alle ihm bekannten Wasserpflanzen und fand heraus, dass eine fehlte: die Lotosblüte. Also pflanzte er mitten in den See einen Lotos. 

Irgendwie müssen die Geschichten anfangen. Es ist kein Zufall, dass eine buddhistische Legende den Lotos bemüht für ihre Initiation, gilt die Pflanze doch als Symbol für spirituelles Erwachen, Reinheit und Erleuchtung - sowie als Buddhas Geburtsort schlechthin. Der Lotos wächst in trübem, schlammigem Wasser, ohne dass ihm selbst irgendetwas von dem Schmutz anhaftet. Dafür gibt es eine physikalische Erklärung: die Oberflächenstruktur - eine komplexe mikro- und nanoskopische Architektur - der Blätter lässt Wasser, Dreck, Bakterien, Umweltgifte und andere Schädlinge, einfach abperlen und die Pflanze bleibt vital und gesund. Die Wissenschaft nennt das heute Lotoseffekt.

Mittwoch, November 12, 2025

Kali Yuga

Es ist kalt und bewölkt. Wenn die Sonne nicht aufgeht, wird die Welt nicht warm. Ich werde demnächst auch mit Mütze zu meiner Morgengymnastik laufen müssen. Und nicht mehr barfuß herumhüpfen können.   

Wir befinden uns - nach der hinduistischen und buddhistischen Kosmologie - im Kali Yuga. Im finsteren Zeitalter. Im Zeitalter des Verfalls und Verderbens. Im Zeitalter des Niedergangs. Am Ende einer über die drei vorausgegangenen Weltzeitalter stufenweisen Degeneration, dominiert, dämonisiert, angetrieben von den drei "Wurzel-Geistesgiften" Hass, Gier und Verwirrung.

Dienstag, November 11, 2025

entgegenlaufen

In den Träumen laufe ich immer noch. Wenn ich aufwache, weiß ich weder, wohin ich gelaufen bin noch wo ich gerade stehengeblieben bin. Das liegt wahrscheinlich an der Bettlektüre.

Nach Swayambhu Purana (reine Legende, wäre wunderbar zu lesen zur guten Nacht, wenn nur die Namen nicht so unaussprechlich daherkämen!) waren die Vorgänger des "historischen" (sic!) Shakyamuni Gautama Buddha (शाक्यमुनी गौतम बुद्ध) sogenannte Adi Buddhas.  

Der erste lebte im goldenen Zeitalter Satya Yuga, als die Menschen um die 80 000 Jahre alt wurden und hieß Vipaswi Tathagata - विपस्वी तथागत. Tathagata ist ein Ehrentitel für einen Buddha und meint "as they come in the same way they go". Also einer, der den Zyklus der Reinkarnation bereits verlassen hat, nicht wiedergeboren werden muss und entsprechend frei ist (zB von Begierde, Hass, Verblendung oder Leid). Vipaswi verließ diese Welt, nachdem er seine achtzig Tausend Jahre gelebt hatte.  

Der zweite Buddha war Sikhi Tathagata - सिखी तथागत. Zu seiner Zeit lebten die Menschen nur noch 70 000 Jahre. Die Legende kündet, dass zu Sikhis Lebzeiten Shakyamuni Buddha (also unser Gautama) als Bodhisattva unter dem Namen Ksemakara - क्षेमाकर geboren wurde. Ein Bodhisattva ist einer, der zwar Erleuchtung anstrebt, aber auf den Eintritt ins Nirvana verzichtet, solange es noch leidende Wesen auf der Welt gibt. Als Sikhi einging in das Swayambhu Dharmadhatu (in die Sphäre oder Leere, die reine Essenz von Swayambhu) folgte ein langes Interregnum.

Der dritte Buddha erschien erst im zweiten Weltzeitalter, im Treta Yuga - त्रेता युग, und hieß Vishwabhu Tathagata - विश्वभू तथागत. Die Menschen wurden höchstens noch 60 000 Jahre alt. 

Auch der vierte Buddha, Krakucchanda Tathagata - क्रकुच्छन्द तथागत kam erst nach einem längeren Intervall, aber noch im Treta Yuga. Die Menschen lebten nur noch 40 000 Jahre.  

Der fünfte Buddha, Kanakamuni Tathagata folgte unverzüglich auf das Ableben des Krakucchanda, trotzdem lebten zu seiner Zeit die Menschen gerade noch 30 000 Jahre.

Der sechste Buddha erschien im dritten der vier Weltzeitalter, im Dvapara Yuga -द्वापर युग und hieß Kashyapa Tathagata - कश्यप तथागत. Die Menschen hatten eine Lebenserwartung von 20 000 Jahren.

Als Kashyapa die Welt verließ, ging auch Dvapara Yuga zu Ende und der siebte Buddha, Shakyamuni Gautama Buddha erschien, geboren im Königreich Kapilvastu (heute Lumbini) und das Weltzeitalter Kali Yuga begann.

Das sind nur die Namen. Die Legenden und Mythen hinter den Namen. deren Bedeutung für Nepal, das Kathmandu Valley und Swayambhu, kann ich vielleicht ein andermal referieren. Oder auch nicht. Denn es ist alles - wie könnte es anders sein - höchst verwirrlich und anstrengend! Die vier Yuga-Weltzeitalter, von denen in der Purana die Rede ist, folgen in absteigendem Zyklus aufeinander von spiritueller Reinheit (Satya Yuga) bis zur schwärzesten Verderbtheit (Kali Yuga). Darin befinden wir uns gegenwärtig. Wenn es zu Ende geht, fängt alles wieder von vorne an mit Satya. Das ist doch tröstlich!

Und: nach allem, was historisch zu Prinz Siddharta Gautama erforscht ist, war er nach seiner Erleuchtung als Buddha nie mehr im heutigen Nepal, weder im Valley noch im Wald. Weder in Swayambhu, noch in Panauti. Weder im Hiranyagiri Gandhamadan Parbat noch sonstwo. Er hat nie das Grab von Prinz Mahasattva besucht, noch den Namo Buddha Tempel, noch den Ort, wo der prächtige Panchal Palast einst stand. Das ist anderswo nicht anders. Winkelried und Tell sind auch Geschöpfe der Phantasie. Letzterer wäre ohne Schiller nie über die Schweizer Grenzen gekommen, ersterer ohne Słowacki.

Montag, November 10, 2025

Der Wärmehaushalt

Die Nachttemperatur nähert sich der +10°-Marke. Entsprechend frisch ist der Morgen in einem Haus ohne Heizung. Meine Nachbarn joggen mit Wollmützen um die Häuser. Sie drehen ihre Runden nur innerhalb des vom CCTV überwachten Bereichs. Ich verlasse das Tor jeden Morgen. Die Guards salutieren. Heute reiben sie sich die Hände: it's cold! Ich nicke und gehe außen am Stacheldrahtzaun entlang zu meinem Tempel. Umrunde als erstes den Laxmibaum, der kürzlich von einem herabgestürzten rostigen Teil (mit Betonfuß) eines ganz anderen Zauns fast erschlagen wurde. Dann lasse ich neben dem Bodhibaum an der Morgensonne mein Morgenqi hochkochen. Diese Wärme versorgt mich für den Rest des Tages.  

Am Mittag trinke ich meinen Kar.ma-Espresso auf dem Dach und ziehe alles aus, was ich ausziehen kann. So heiß ist es. Noch wärmt sich das Haus ohne Heizung tagsüber von selber auf, wenn ich rechtzeitig alle Fenster wieder schließe. In W's Zimmer tropft es immer noch an mehreren Stellen von der Decke, obwohl es seit Tagen, Wochen nicht mehr regnet. Das Wasser verdunstet in den bunten Eimern und zurückbleibt so etwas wie heller Sand. Ein feingeriebenes Gemisch der Materialien, die im Frühjahr über eine Seilwinde säckeweise aufs Dach gehievt und oben sorgsam verteilt wurden. Jedenfalls ist unten nichts davon übrig geblieben. Ich frage mich nicht, was das bedeutet, wenn es durch die Decke nicht nur tropft, sondern auch rieselt.

Am Abend esse ich bei Dragon thailändischen roten Curry. Die Schärfe heizt mir die ganze Nacht ein.  

Sonntag, November 09, 2025

Abugida

Sonntagabend. W. ist unterwegs nach Marbella. Ich habe keine Ahnung, wo das ist. Ich denke nicht mehr in Koordinaten und Flugdestinationen. Bevor es ganz dunkel ist, sammle ich Kadaver im Vorgarten ein. Mindestens 2 Tauben haben die Katzen während meiner Abwesenheit hier geschlachtet. Es sieht wüst aus. Tom ist seit Wochen verschwunden, dafür ist jetzt der weiße Kater wieder da und Sigi, die Katzenmutter scheint ihre Mutterpflichten beendet zu haben. Jedenfalls ist sie frech, verspielt und aufmüpfig. Besetzt den ganzen Tag Kater Toms Hütte. Ich räume meinen Schreibtisch auf und überlege, was ich mit meinen armseligen Nepali-Sprachkenntnissen anfangen kann. Ob ich die Whiteboards mit dem duster wieder weiß machen -  oder Gurubas Zeichen, Wörter, Halb- und Ganzsätze sowie die letzte Hausaufgabe besser noch ein bisschen stehen lassen soll. Falls wir aus der Stadt ziehen wollen würden, nach Osten, dorthin wo ich gerade herkomme, wohin ich zu Fuß gelaufen bin, müsste ich Newari lernen. Das ist eine eigene, tibeto-burmanesische Sprache und die hat selbstverständlich ihr eigenes Alphabet. Das haben mir alle Peacewalker bestätigt. Die meisten waren Newari und sprechen von Haus aus ihre Sprache. Der Staat nennt sie "Nepal Bhasa", die locals "Newa Bha". Newari ist eigentlich falsch und eher die Bezeichnung für die Menschen, nicht unbedingt für ihre Rede. Nepali hingegen ist eine indoarische Sprache. Die alleinige Amtssprache Nepals und gerade nicht zu verwechseln mit "Nepal Bhasa", obwohl die Wörter mehr als irreführend sind - bedeutet doch भाषा - bhasa in Nepali Sprache. Also ist "Nepal Bhasa" wörtlich die Sprache Nepals. Meine Mitläufer lernten Nepali erst in der Schule. Ich ginge den umgekehrten Weg. Vom Nepali ins Newari. Vom Nichts ins Nirwana. Eine höchst komplizierte Angelegenheit.    

Das einzige, was die beiden Sprachen verbindet, ist die Systematik ihrer Schrift. Beide sind Abugida. Alphasyllabar. Diese Buchstabenschrift (im Nepali Devanagari देवनागरी) ordnet ihre Buchstaben nicht nach der gesprochenen Reihenfolge an, sondern gruppiert sie "segmental nach Silben". Schön gesagt! Die Hälfte der 7 Nepali-Linien habe ich bereits wieder vergessen.