Samstag, November 22, 2025

Thimi

Eigentlich wollten wir heute nach Thimi fahren. Eigentlich heißt die Stadt Madhyapur. Offiziell heißt sie मध्यपुर थिमि - Madhyapur Thimi. Eigentlich war ich da kürzlich zu Fuß. Aber wir peacewalker hatten die falsche Ausfahrt aus der metropolitan city genommen und liefen unendlich lange auf einer Umgehungsstraße nach Bhaktapur. Wir, W und ich wollten uns umsehen an einem sonnigen Samstag in der Umgebung. Nach einer neuen Bleibe. Aber das Deutsche Auswärtige Amt warnte rechtzeitig, nämlich gestern nachmittag um 16:17 Uhr Ortszeit seine lieben Landsleute vor heutigen Unruhen.  

Ex-PM Oli mobilisiert seine Marxisten und Leninisten, stellt eine NVF (National Volunteers Force) auf und ernennt zu deren Chef einen Mann, der mehrere Verfahren am Hals hat wegen Mordes, versuchten Mordes, Anstiftung zu Morden, Entführung, Erpressung und dergleichen mehr. So, so Oli, soll die öffentliche Ordnung gesichert, Gewalt und Anarchie entgegen gewirkt werden. Natürlich gibt niemand den greisen Marxisten und Leninisten freies Geleit!  

So bleiben wir also auf dem Hill und harren der Dinge, die da kommen werden. Geteert wird heute nicht. Und da die Arbeiten gestern nicht fertig wurden, bleiben die Verbindungsstraßen zu den Häusern im Norden der Siedlung weiterhin abgesperrt. Ich kaufe vorsorglich um die Ecke auf der Golfutar ein, Nudeln und Katzenfutter. Hustensaft und tiefgefrorene Yomaris. Bananen, natürlich nepalesische vom Strunk, und Orangen. Die kleinen süßen mit unglaublich vielen Kernen.

Freitag, November 21, 2025

Margasirsa

Zwei Beispiel zum Zeitverständnis: ich frage guruba, warum auf meinem Wandkalender auf dem aktuellen Blatt oben मार्गशीर्ष = Margasirsa steht, wo doch der Monat मंसिर = Mangsir heißt. Wie ich nachgeguckt habe, in der alten und neuen Schreib- und Sprechweise. Er weiß es nicht und fragt einen alten Nachbarn. Der sagt, früher habe der Monat saysb geheissen. Aber welcher?   

Unser Community Manager postete gestern abend um 08:24 pm (= 20:24 Uhr) eine message in nepali im communityinternen Viberchat. Ich verstand nur das Datum: 2082/08/05 - also der 5. des 8. Monats des Jahres 2082. Der fünfte Mangsir oder Margasirsa. Heute! Die anderen Zahlen deuteten wir als Hausnummern, unsere war nicht dabei. Trotzdem ließ ich den Text von einem Vibergestützten Programm ins Englische übersetzen und verstand kein Wort. Auch google präsentierte mir nur reinen nonsense. Wir vertrauten also auf den Augenschein. Als wir nämlich vom Abendessen zurückkamen, stand vor dem Eingangstor schweres Gerät. Das eine erkannte ich als die Teermaschine, die ich in Panipokhari gesehen hatte. Außerdem war ein riesiger Berg Kies abgeladen worden, während wir bei dragon saßen. Sowie mehrere dicke Baumstämme aufgestapelt, alle in identische Längen von etwa einem Meter zerhackt. 

Heute früh auf dem Weg zum Tempel sehe ich, dass vor dem Tor Betriebsamkeit herrscht. Wie immer, wenn gearbeitet werden soll, versammeln sich Menschen wie Ameisen. Es werden offenbar Vorbereitungen getroffen, die Straßen zwischen unseren Häusern neu zu teeren. Erstmal nur die Nordseite. Die Bewohner der Häuser, die es heute betrifft und die zB ihre Autos, Mopeds und Kinderwagen wegstellen sollten, da sie damit rechnen müssen, den ganzen Tag ihr Haus weder verlassen noch betreten zu können, haben das gestern abend zur Schlafenszeit erfahren.

Donnerstag, November 20, 2025

Neumond

Der Mond wird am Mittag neu auf dem Hill. Und das Internet verabschiedet sich. Der Strom ist da, auch das Wasser, die Sonne und der blaue Himmel. 

Was gibt es schöneres als internetfrei - ich setze mich aufs Dach mit Thjom,as Bells Buch über Kathmandu. Und stolpere sofort über das Zitat, das er Sylvain Lévi entlehnt und dem 6. Kapitel voranstellt:

"To be sure Hindus are far too little concerned with chronology to be in a position to claim that they introduce plausibility or logic into it, even when they invent it". 

Ich verstehe wohl, wovon die Rede ist - von der schwierigen Beziehung der Hindus zur Zeit (das gilt in nach-monarchistischen Zeiten in diesem Land auch für die Maoisten, Marxisten, Leninisten usw.). Ich verstehe aber die syntaktische Logik des Satzes nicht. Weil es eine Übersetzung aus dem Französischen ist, kehre ich an meinen Schreibtisch zurück und suche das Original. Dazu brauche ich das Internet und es ist wie durch ein Wunder wieder da. Der französische Orientalist Sylvain Lévi war 1898 auf Forschungsreise im Kathmandu Valley. Wieder zu Hause am Schreibtisch, schrieb er seine Ergebnisse nieder. Der von Bell englisch zitierte Satz lautet im Original so: "Sans doute les Hindous sont trop peu soucieux de la chronologie pour se piquer d'y introduire, même quand ils l'inventent, la vraisemblance et la logique" (Sylvain Lévi, Le Népal. Etude historique d'un royaume hindou. Paris Ed. Leroux 1905, S. 93)   

Google übersetzt mir das mit meiner minimalen Hilfe folgendermaßen: "Zweifellos kümmern sich Hindus zu wenig um die Chronologie, als dass sie sich die Mühe machen würden, Plausibilität und Logik hineinzubringen, selbst wenn sie sie erfinden."

Ich verstehe in allen drei Sprachen nicht, was die Hindus erfinden: die Chronologie, die Plausibilität oder die Logik? Wie auch immer. Kausalitäten verfälschen und Zeitläufte zurechtbiegen tun auch Menschen anderer Religionen oder Nationalitäten nicht ungerne. Lèvi bezieht sich auf  Stammesfürsten und Herrscher diverser Splitterkönigreiche im 13 Jahrhundert (AD - oder in ganz anderen Weltzeitaltern!). Er weist nach, dass "les Hindous" - wie er sie nennt - nicht nur ein Problem mit der Zeit und der historischen Einordnung ihrer vorsintflutlichen Oberhäupter haben, sondern auch mit den Zahlen. Dass sie etwa - dies nur beispielhaft, ohne historische Bedeutung - aus den Jahreszahlen 1234 und 1389 so etwas kreieren wie 3124 und 3189. Nur weil in beiden ursprünglichen Jahreszahlen die Zahlen 3 und 1 vorkommen.

Das ist das, was ich täglich in den shutters auf der Golfutar erlebe. Die Gemüse- und Obstverkäufer können nicht rechnen. Sie addieren alles auf ihren Taschenrechnern. Weil ich die Preise eh nicht verstehe, ist das praktisch. Denn ich kann lesen. Auch das Wechselgeld wird über die kleine Maschine, manchmal ist es auch das Smartphone, errechnet. Und die Noten in der Hand werden dreimal nachgezählt. Auch im Supermarkt mit elektronischer Kasse.

Vielleicht geht die Unfähigkeit der heutigen Nepali, die Welt oder das Leben in einer (auch) zeitlichen Dimension wahrzunehmen und zum Beispiel einen Kalender im Kopf zu haben, zu wissen, was heute ist und was sie morgen. übermorgen, oder nächste Woche tun werden, auf die Unfähigkeit zurück, Zahlen zu (er)kennen?

Mittwoch, November 19, 2025

Die Papierblume

Es ist eine Bougainvillea - eine Drillingsblume. Sie gehört zur Familie der Wunderblumengewächse. Ich lag mit meinen Vermutungen nicht verkehrt. Die roten Blätter sind Blätter und die Blüten weiß versteckt darin, jedenfalls bei mir, winzig und immer zu dritt angeordnet. Deswegen zu deutsch die Drillingsblume. Den wissenschaftlichen Namen verdanken wir Monsieur Louis Antoine de Bougainville, Seefahrer und Entdecker, wie ich lese. Er soll die Pflanze von Südamerika nach Europa gebracht haben. Aber ich lebe in Südasien und warum der Name des Abenteurers für die Pflanze leicht latinisiert (oder was bedeutet die Endung -ea?) wurde, weiß ich nicht. Die Insel Bougainville trägt seinen Namen stolz französisch.

Hier heißt sie कागजो फूल - kagaji ful - oder कागजको फूल - kagajko ful. "ful" für Blume (hatten wir schon des öftern) und "kagaji" oder "kagajko" zu कागज - das Papier mit (falls diese Sprache so etwas wie Grammatik kennt) Genitivpartikel. Die Papierblume! Die Blume des Papiers. Oder die Blume aus Papier. Diese leuchtend crimsonroten Blätter, die nicht die Blüten sind, aber die Pflanze, wenn sie blüht, vollkommen dominieren, fühlen sich tatsächlich zart wie japanisches Seidenpapier an, wenn ich sie berühre - was ich allerdings nicht zu oft tun sollte. Denn sie fallen leicht ab.

Dienstag, November 18, 2025

Das Idyll

Eier sind mehr als ein Viertel teurer geworden, seit ich das letzte Karat kaufte. Heute früh balancierte ich 5x6=30 frische Eier bruchsicher über die zu der Zeit immer chaotische Golfutar. Das machen alle so, also ist es nicht weiter schwierig.

Das Idyll hingegen ist statisch. Stillstand. Letztlich langweilig. Es taugt nicht zur Legendenbildung, ihm fehlt der Nervenkitzel. Mit der reinen Harmonie im Valley unter den Nagarajas musste etwas geschehen, sonst wäre sie nicht der Rede wert. Irgendwie mussten die Menschen angelockt werden, die heute die Straßen der Stadt füllen und die Luft zum Atmen verpesten. Schwimmen können die meisten Nepali nicht, Luft- oder Wasserschlösser bauen auch nicht, nicht einmal im Traum. Wasser ist nicht ihr Element! Wäre der See ein See geblieben, hätte man den Nagarajas, die sich darin pudelwohl fühlten, nicht den Garaus machen brauchen, und alles wäre in schönster kosmischer Ordnung geblieben. So aber, munkelt man, hocken die Nagas, die Schlangen, immer noch verschnupft und stinkesauer in unterirdischen Wasserläufen und lauern nur darauf, den Intrudern eins auszuwischen. Wehe, einer baut an der falschen Stelle und hört nicht auf den Rat der Weisen, Weissager, Wünschelrutengänger, Astrologen, Lamas, Gurus oder Geobiologen!

Montag, November 17, 2025

bleiben

Heute ist der 17. November 2025. Und der 1. Mangsir 2082. मंसिर oder मार्गशीर्ष ist der achte Monate im nepalesischen Kalender. In diesem Jahr hat er 29 Tage. In manchen auch 30.  

Wir sind am 17. vor einem Jahr und zwei Monaten in Kathmandu angekommen. Auch damals begann gerade ein neuer Monat im nepalesischen Kalender, es war der erste Tag des sechsten Monats असोज - Ashoj oder आश्विन - Ashwin des Jahres 2081. Wir sind also nach BS - Bikram Sambat exact 14 Monate im Lande. Das ist auch hier ein Jahr und zwei Monate.  

Zur Feier des Tages Bilder einer Pflanze, deren Name ich nicht kenne. Sie wächst an unserer Hauswand, obwohl die Besitzer vor unserem Einzug versucht haben, sie zu vertreiben. Der Strunk sah brutal und unprofessionell zerhackt aus. 
Anfang Februar gab sie mir deutlich zu verstehen, dass sie trotz Verunstaltung bleiben wollte, also schützte ich sie mit ein paar Steinen und versorgte sie regelmäßig mit Wasser. Alles andere bekam sie vom Himmel, von der Sonne. Die Handwerker, die bald darauf für Wochen, Monate unseren Vorgarten besetzten - zuerst die Maurer mit ihren Sand- und Zementsäcken, und den Schuttsäcken, die sie vom Dach herunterholten, dann die Maler und ihr rund um das Haus wanderndes massives Bambusgerüst - respektierten seltsamerweise mein Stein-Arrangement. Kein einziger der ersten zarten Triebe wurde gebrochen oder zertrampelt. 
Seither drängt die Pflanze mit aller Macht nach oben. Unsere Landlady versuchte mir einst zu verstehen zu geben, dass Pflanzen während der Regenzeit außer Kontrolle geraten. Ich verstand natürlich nicht, was sie mir damit sagen wollte.
Seit ein paar Tagen nun blüht unser Wunderkind feuerrot. Wunderkind, weil sie, die Pflanze eine unheimliche Kraft besitzt und bereits faustdicke Äste hat. Auch Dornen, übrigens. Aber Wunderkind vor allem, weil ich nicht verstehe, wie sie ihre Blüten produziert. Woher sie das crimson, das Purpur nimmt. Knospen sehe ich keine. Es ist so, als ob einfach unvermutet, quasi über Nacht Büschelweise rote Blätter hervorkommen. In den Novembermorgen, die Novembersonne, den Novemberhimmel. 

Ja, das ist unser November. Der nepalesische Mangsir. Und unsere Hauswand. 

Sonntag, November 16, 2025

Der Zwist

Ich verstehe nicht, warum Manjushri als Bodhisattva der Weisheit und eine der wichtigsten Figuren des Mahayana Buddhismus gilt. Für mich ist er ein Schlitzohr. Ein Waffenträger. Ein Draufgänger. Einer, der zuerst zuschlägt und erst dann die Folgen seines Tuns bedenkt. Einer, der Zerwürfnisse in Kauf nimmt, um seine Ideen durchzusetzen. Auch ein heiliges Schwert, ein Flammenschwert - vajra sword of discriminating light - rechtfertigt nicht den Frevel! 

Im Valley, in der Legende nach Swayambhu Purana war zuerst Kacchapal Parvata, der Schildkrötenberg erzürnt, verwundet und zutiefst verletzt. Manjushri hatte ihn ohne Vorwarnung entzweigehauen. Dann die Schlangen, denen mit dem abfließenden Wasser jede Lebensgrundlage entzogen wurde. Der Berg besänftigte Manjushri mit dem Versprechen, auf seinem lädierten Gipfel einen Schrein für Karunamaya, den Allbarmherzigsten zu errichten. Damit werde ein heiliger Ort installiert, der Pilger aus der ganzen Welt zur spirituellen Einkehr einlade. Der Schildkrötenberg nickte. Was blieb ihm anderes übrig? 

Die Schlangencommunity hingegen war unrettbar entzweit. Die Nagarajas hatten im Gegensatz zum Kacchapal Parvata den Vorteil, mobil zu sein. Nichts hielt sie nicht mehr in ihrem gelobten Lande. König Taksaka Nagaraja verließ mit seiner Familie hoch erhobenen Hauptes das Valley. Auf die Bücklinge des Bodhisattvas erwiderte er unmissverständlich: "Du hast meine Heimat - den See - zerstört. Ich gehe zur Konkurrenz - zum Meer!" Kulika Nagaraja, der zweite Schlangenkönig war nicht auf den Kopf gefallen und ließ sich auf einen Handel mit dem falschen Gönner ein. Manjushri versprach ihm ein ruhiges Gewässer als neue Heimat und Kulika rechnete damit, dass der Bodhisattva nicht ewig im Valley bleiben würde. Sobald er wieder verschwunden wäre, würden seine Schlangen Mittel und Wege finden, das Loch zuzustopfen und den See wieder mit Wasser zu füllen. Er zog guter Dinge mit seiner Familie nach Tokha an die Vishnumati Quelle. Nur Karkotaka, der König der Könige der Nagarajas, Besitzer des Nagarasahrada, des Königreichnagasees, akzeptierte das Angebot Manjushris ohne Hintergedanken und zog in eine neuerschaffene Residenz innerhalb des Valleys, an den Taudaha See.

Manjushri hatte Schmerz, Vertreibung, Unfrieden und böse Gedanken ins Valley gebracht - unter dem Vorwand, den Boden urbar zu machen, damit sich Menschen ansiedeln konnten, die Swayambhu verehren würden. Die Geschichtsbücher des Abendlandes kennen für so eine Konstellation den Begriff "Religionskrieg".

Samstag, November 15, 2025

Das Schwert

Der See war aber nicht unbewohnt, nicht unbeseelt, nicht unbeherrscht. Im Wasser lebten bereits "göttliche", "mythologische" Kreaturen: die Nagarajas, die Schlangenkönige und ihre Schlangenvölker. Der oberste Schlangenherrscher hieß Karkotaka Nagaraja - कक्र्कोदक नागराज und sein See - es war ja seiner! - folglich Nagarasahrada - नागरसरह्रद, der Königreich-Naga-See. Das Wasser war heilig. Hier trafen sich göttliche Wesen zur spirituellen Einkehr lange vor den Adis, Tathagatas und Buddhas. 

Man besetzt nicht ungestraft fremdes Gebiet und schon gar nicht heilige Stätten! Eine buddhistische Legende bedarf aber keiner feindlichen Übernahmen. Unter dem zweiten Tathagata, Sikhi trafen alle göttlichen Wesen aus allen Sphären des Universums am Gestade des Sees ein, um dem Lotuslicht zu huldigen. Auch Sesa Naga kam, der alleroberste Schlangenkönig, die Stütze des Schlangen-Weltalls. Die vereinten göttlichen Energien führten prompt zu einem heftigen Erdbeben - aber nicht einmal das reichte für die heimlichen Absichten der Buddhisten, den See trockenzulegen! 

Es gelang erst unter dem dritten Tathagata, Vishwabhu, als Treta Yuga auf dem Wege der fortschreitenden Degeneration das Goldene Zeitalter der vollkommenen Harmonie abgelöst hatte. Aus MahaChin (heute: China) kam der Bodhisattva Manjushri - मन्जुश्री बोधिसत्त्व mit seinem Schwert! Während einer Meditation auf Wutaishan, dem Berg der fünf Gipfel - im Sanskrit पञ्चशिर्ष पर्वत (Panchasirsa Parvata) hatte ihn angeblich das Valley mit dem Nagavasahrada, dem heiligen See der Schlangenkönige, und dem heiligen Licht der Swayambhu Dharmadhatu gerufen. Und zur Tat aufgefordert. Er pilgerte nach Nepal, fand im Süden des Valley den tiefsten Punkt am Kacchapal Parvata (Turtle Mountain) und zerhieb diesen Berg kurzerhand mit seinem Chandra Hasa - चन्द्रहास, dem Schwert mit der Symbolkraft eines Mantras. Das Wasser floss ab, in Richtung Ganges. Also in das heutige Indien. Nach dem Handstreich war das Valley trocken und fruchtbares Ackerland, aus dem der Swayambhu-Hügel "wie von selbst" als nun höchster Punkt herausragte.

Freitag, November 14, 2025

zurückkehren

W bringt mir ein langärmeliges Oberteil meiner Lieblingsmodemarke aus Barcelona mit. In warmen, dunklen Herbstfarben. Ich habe dem Konsum (der Gier!) noch nicht ganz abgeschworen und freue mich! Obwohl es hier keinen Herbst gibt. Tagsüber haben wir Sommer bis Hochsommer, nachts Frühsommer.

Vipashwi brachte dem Valley Licht. Sein Lotos entfachte das Dharma Licht, das erleuchtete Licht. Alle Adis, die nach dem ersten folgten, ließen sich von den leuchtenden Blüten blenden. An der Stelle, wo Vipashwi den Lotos gepflanzt hatte, erstand (nicht ganz von selbst) Swayambhu Dharmadhatu Chaitya. 

Die Purana erklärt das folgendermaßen: "The term Dharma signifies Buddhist law and doctrine, while Dhatu represents the elemental form. Together, Dharmadhatu embodies the ultimate essence of the Dharma. The term Chaitya refers to a Buddhist stupa and is the dwelling place of all Enlightened Beings, including Buddhas, Bodhisattvas and Tathagatas." 

So - mit der Pflanze, die fehlte (warum fehlte sie eigentlich in der absoluten Idylle, im Naturheiligtum?) - kamen also das Wesen und die Wesen des Buddhismus in die Legende.

Donnerstag, November 13, 2025

vorauseilen

Der City-Strom geht und der CG Hills-Generierte Strom kommt. Die Waschmaschine kann zu Ende laufen. Nach drei Stunden meldet der Community Manager "Generator is off for rest ..." Was das bedeutet, verstehe ich natürlich nicht, obwohl ich jedes einzelne Wort verstehe und auch die Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen richtig (wie mir scheint) deute. So lange hatten wir aber in der Tat schon lange keinen line-cut mehr. Noch ist heller Tag, die Sonne scheint und der Wind ist kalt.  

Zurück zu den Mythen. Mein alter laptop mit seiner ausgeleierten Batterie hängt an der Router-Steckdose und die hat immer Strom. Warum, verstehe ich auch nicht. Ich habe mir aber kürzlich (während dreier Tage walking-meditation auf dem Asphalt des Kathmandu-Valleys) vorgenommen, nichts mehr zu hinterfragen und alles hinzunehmen. Das Valley - das historische Nepal Valley, bzw.  unser heutiges zugebaute Kathmandu Valley - war einst ein See. Das ist, glaube ich, erdgeschichtlich und geologisch unbestritten. Wasser ist mythologisch ein dankbares Element, viel dankbarer als Feuer, Wind oder Erde. Dieser herrliche, heilige See hat - immer nach Swayambhu Purana - alle Adis, die 7 Buddhas aus verschiedenen Himmelsrichtungen mit unterschiedlichsten Beweggründen in ihren jeweiligen Weltzeitaltern magisch angezogen. Der erste Tathagata, Vipashwi umrundete den See und betrachtete ihn von allen Seiten sehr aufmerksam. Er zählte alle ihm bekannten Wasserpflanzen und fand heraus, dass eine fehlte: die Lotosblüte. Also pflanzte er mitten in den See einen Lotos. 

Irgendwie müssen die Geschichten anfangen. Es ist kein Zufall, dass eine buddhistische Legende den Lotos bemüht für ihre Initiation, gilt die Pflanze doch als Symbol für spirituelles Erwachen, Reinheit und Erleuchtung - sowie als Buddhas Geburtsort schlechthin. Der Lotos wächst in trübem, schlammigem Wasser, ohne dass ihm selbst irgendetwas von dem Schmutz anhaftet. Dafür gibt es eine physikalische Erklärung: die Oberflächenstruktur - eine komplexe mikro- und nanoskopische Architektur - der Blätter lässt Wasser, Dreck, Bakterien, Umweltgifte und andere Schädlinge, einfach abperlen und die Pflanze bleibt vital und gesund. Die Wissenschaft nennt das heute Lotoseffekt.

Mittwoch, November 12, 2025

Kali Yuga

Es ist kalt und bewölkt. Wenn die Sonne nicht aufgeht, wird die Welt nicht warm. Ich werde demnächst auch mit Mütze zu meiner Morgengymnastik laufen müssen. Und nicht mehr barfuß herumhüpfen können.   

Wir befinden uns - nach der hinduistischen und buddhistischen Kosmologie - im Kali Yuga. Im finsteren Zeitalter. Im Zeitalter des Verfalls und Verderbens. Im Zeitalter des Niedergangs. Am Ende einer über die drei vorausgegangenen Weltzeitalter stufenweisen Degeneration, dominiert, dämonisiert, angetrieben von den drei "Wurzel-Geistesgiften" Hass, Gier und Verwirrung.

Dienstag, November 11, 2025

entgegenlaufen

In den Träumen laufe ich immer noch. Wenn ich aufwache, weiß ich weder, wohin ich gelaufen bin noch wo ich gerade stehengeblieben bin. Das liegt wahrscheinlich an der Bettlektüre.

Nach Swayambhu Purana (reine Legende, wäre wunderbar zu lesen zur guten Nacht, wenn nur die Namen nicht so unaussprechlich daherkämen!) waren die Vorgänger des "historischen" (sic!) Shakyamuni Gautama Buddha (शाक्यमुनी गौतम बुद्ध) sogenannte Adi Buddhas.  

Der erste lebte im goldenen Zeitalter Satya Yuga, als die Menschen um die 80 000 Jahre alt wurden und hieß Vipaswi Tathagata - विपस्वी तथागत. Tathagata ist ein Ehrentitel für einen Buddha und meint "as they come in the same way they go". Also einer, der den Zyklus der Reinkarnation bereits verlassen hat, nicht wiedergeboren werden muss und entsprechend frei ist (zB von Begierde, Hass, Verblendung oder Leid). Vipaswi verließ diese Welt, nachdem er seine achtzig Tausend Jahre gelebt hatte.  

Der zweite Buddha war Sikhi Tathagata - सिखी तथागत. Zu seiner Zeit lebten die Menschen nur noch 70 000 Jahre. Die Legende kündet, dass zu Sikhis Lebzeiten Shakyamuni Buddha (also unser Gautama) als Bodhisattva unter dem Namen Ksemakara - क्षेमाकर geboren wurde. Ein Bodhisattva ist einer, der zwar Erleuchtung anstrebt, aber auf den Eintritt ins Nirvana verzichtet, solange es noch leidende Wesen auf der Welt gibt. Als Sikhi einging in das Swayambhu Dharmadhatu (in die Sphäre oder Leere, die reine Essenz von Swayambhu) folgte ein langes Interregnum.

Der dritte Buddha erschien erst im zweiten Weltzeitalter, im Treta Yuga - त्रेता युग, und hieß Vishwabhu Tathagata - विश्वभू तथागत. Die Menschen wurden höchstens noch 60 000 Jahre alt. 

Auch der vierte Buddha, Krakucchanda Tathagata - क्रकुच्छन्द तथागत kam erst nach einem längeren Intervall, aber noch im Treta Yuga. Die Menschen lebten nur noch 40 000 Jahre.  

Der fünfte Buddha, Kanakamuni Tathagata folgte unverzüglich auf das Ableben des Krakucchanda, trotzdem lebten zu seiner Zeit die Menschen gerade noch 30 000 Jahre.

Der sechste Buddha erschien im dritten der vier Weltzeitalter, im Dvapara Yuga -द्वापर युग und hieß Kashyapa Tathagata - कश्यप तथागत. Die Menschen hatten eine Lebenserwartung von 20 000 Jahren.

Als Kashyapa die Welt verließ, ging auch Dvapara Yuga zu Ende und der siebte Buddha, Shakyamuni Gautama Buddha erschien, geboren im Königreich Kapilvastu (heute Lumbini) und das Weltzeitalter Kali Yuga begann.

Das sind nur die Namen. Die Legenden und Mythen hinter den Namen. deren Bedeutung für Nepal, das Kathmandu Valley und Swayambhu, kann ich vielleicht ein andermal referieren. Oder auch nicht. Denn es ist alles - wie könnte es anders sein - höchst verwirrlich und anstrengend! Die vier Yuga-Weltzeitalter, von denen in der Purana die Rede ist, folgen in absteigendem Zyklus aufeinander von spiritueller Reinheit (Satya Yuga) bis zur schwärzesten Verderbtheit (Kali Yuga). Darin befinden wir uns gegenwärtig. Wenn es zu Ende geht, fängt alles wieder von vorne an mit Satya. Das ist doch tröstlich!

Und: nach allem, was historisch zu Prinz Siddharta Gautama erforscht ist, war er nach seiner Erleuchtung als Buddha nie mehr im heutigen Nepal, weder im Valley noch im Wald. Weder in Swayambhu, noch in Panauti. Weder im Hiranyagiri Gandhamadan Parbat noch sonstwo. Er hat nie das Grab von Prinz Mahasattva besucht, noch den Namo Buddha Tempel, noch den Ort, wo der prächtige Panchal Palast einst stand. Das ist anderswo nicht anders. Winkelried und Tell sind auch Geschöpfe der Phantasie. Letzterer wäre ohne Schiller nie über die Schweizer Grenzen gekommen, ersterer ohne Słowacki.

Montag, November 10, 2025

Der Wärmehaushalt

Die Nachttemperatur nähert sich der +10°-Marke. Entsprechend frisch ist der Morgen in einem Haus ohne Heizung. Meine Nachbarn joggen mit Wollmützen um die Häuser. Sie drehen ihre Runden nur innerhalb des vom CCTV überwachten Bereichs. Ich verlasse das Tor jeden Morgen. Die Guards salutieren. Heute reiben sie sich die Hände: it's cold! Ich nicke und gehe außen am Stacheldrahtzaun entlang zu meinem Tempel. Umrunde als erstes den Laxmibaum, der kürzlich von einem herabgestürzten rostigen Teil (mit Betonfuß) eines ganz anderen Zauns fast erschlagen wurde. Dann lasse ich neben dem Bodhibaum an der Morgensonne mein Morgenqi hochkochen. Diese Wärme versorgt mich für den Rest des Tages.  

Am Mittag trinke ich meinen Kar.ma-Espresso auf dem Dach und ziehe alles aus, was ich ausziehen kann. So heiß ist es. Noch wärmt sich das Haus ohne Heizung tagsüber von selber auf, wenn ich rechtzeitig alle Fenster wieder schließe. In W's Zimmer tropft es immer noch an mehreren Stellen von der Decke, obwohl es seit Tagen, Wochen nicht mehr regnet. Das Wasser verdunstet in den bunten Eimern und zurückbleibt so etwas wie heller Sand. Ein feingeriebenes Gemisch der Materialien, die im Frühjahr über eine Seilwinde säckeweise aufs Dach gehievt und oben sorgsam verteilt wurden. Jedenfalls ist unten nichts davon übrig geblieben. Ich frage mich nicht, was das bedeutet, wenn es durch die Decke nicht nur tropft, sondern auch rieselt.

Am Abend esse ich bei Dragon thailändischen roten Curry. Die Schärfe heizt mir die ganze Nacht ein.  

Sonntag, November 09, 2025

Abugida

Sonntagabend. W. ist unterwegs nach Marbella. Ich habe keine Ahnung, wo das ist. Ich denke nicht mehr in Koordinaten und Flugdestinationen. Bevor es ganz dunkel ist, sammle ich Kadaver im Vorgarten ein. Mindestens 2 Tauben haben die Katzen während meiner Abwesenheit hier geschlachtet. Es sieht wüst aus. Tom ist seit Wochen verschwunden, dafür ist jetzt der weiße Kater wieder da und Sigi, die Katzenmutter scheint ihre Mutterpflichten beendet zu haben. Jedenfalls ist sie frech, verspielt und aufmüpfig. Besetzt den ganzen Tag Kater Toms Hütte. Ich räume meinen Schreibtisch auf und überlege, was ich mit meinen armseligen Nepali-Sprachkenntnissen anfangen kann. Ob ich die Whiteboards mit dem duster wieder weiß machen -  oder Gurubas Zeichen, Wörter, Halb- und Ganzsätze sowie die letzte Hausaufgabe besser noch ein bisschen stehen lassen soll. Falls wir aus der Stadt ziehen wollen würden, nach Osten, dorthin wo ich gerade herkomme, wohin ich zu Fuß gelaufen bin, müsste ich Newari lernen. Das ist eine eigene, tibeto-burmanesische Sprache und die hat selbstverständlich ihr eigenes Alphabet. Das haben mir alle Peacewalker bestätigt. Die meisten waren Newari und sprechen von Haus aus ihre Sprache. Der Staat nennt sie "Nepal Bhasa", die locals "Newa Bha". Newari ist eigentlich falsch und eher die Bezeichnung für die Menschen, nicht unbedingt für ihre Rede. Nepali hingegen ist eine indoarische Sprache. Die alleinige Amtssprache Nepals und gerade nicht zu verwechseln mit "Nepal Bhasa", obwohl die Wörter mehr als irreführend sind - bedeutet doch भाषा - bhasa in Nepali Sprache. Also ist "Nepal Bhasa" wörtlich die Sprache Nepals. Meine Mitläufer lernten Nepali erst in der Schule. Ich ginge den umgekehrten Weg. Vom Nepali ins Newari. Vom Nichts ins Nirwana. Eine höchst komplizierte Angelegenheit.    

Das einzige, was die beiden Sprachen verbindet, ist die Systematik ihrer Schrift. Beide sind Abugida. Alphasyllabar. Diese Buchstabenschrift (im Nepali Devanagari देवनागरी) ordnet ihre Buchstaben nicht nach der gesprochenen Reihenfolge an, sondern gruppiert sie "segmental nach Silben". Schön gesagt! Die Hälfte der 7 Nepali-Linien habe ich bereits wieder vergessen.

Samstag, November 08, 2025

Avayadan

Ich muss nun mein Hirn wieder etwas anstrengen und Wörter einsammeln, nachdem der Körper vollkommen unversehrt eine dreitägige Wanderung über Asphalt überstanden hat. Im nächsten Jahr sollen wir 5 Tage laufen. Auf derselben Strecke. Immer auf den Spuren des sich aufopfernden Prinzen Mahasattva - oder erleuchteten Vor-Buddhas. Die selbstlose Tat des Prinzen - dass er sein eigen Fleisch einer vor Hunger sterbenden Tigermutter und ihren fünf Tigerwelpen darbot - wird "Avayadan" genannt und ins Englische übersetzt mit "selfless giving", "enlightened compassion", "the ultimate act of compassion", "selfless sacrifice", "an extraordinary compassion" usw. Der Avayadan Day, in den wir in Namo Buddha mittenhineinplatzten, findet einmal jährlich statt, immer an Kartik Purnima (Vollmond im Nepali Monat Kartik), bzw beginnend in der Nacht davor, an Chaturdashi, am 14. Tag des Shukla Paksha (der hellen Mondphase) und endend am Tag danach. Es werden Kerzen und Öllampen angezündet am Grab Mahasattvas, am Namo Buddha Tempel im heutigen Kusume Community Forest, dem einstigen Hiranyagiri Gandhamadan Parbat oder Golden Fragranced Mountain.

Ich werde mir nun die Legenden und Mythen einverleiben, die Swayambhu Purana lesen, soweit mir das sprachlich möglich ist: The Sacred Buddhist Text of Nepal Valley, sozusagen die Heilige Schrift des Nepal Valley, heute Kathmandu Valley. Darin geht es natürlich vor allem die Entstehung des Swayambhu-Tempels auf einem der höchsten Hügel der heutigen Metropole. Swayambhu meint so viel wie self-born, self-manifested, self-arisen. Swayambhu soll von selbst dem Wasser, dem einstigen See, der das Valley in Urzeiten füllte, entstiegen sein. 

Jetzt ist mir auch klar (im Nachhinein löst sich so mancher Dunst auf), warum der peace walk in Swayambhu, dem von Affen bevölkerten Tempel, an der Swayambhu Stupa ganz im Westen der Stadt beginnt. Warum wir den ersten Tag immer vorwiegend nur damit zubringen, die Stadt zu verlassen. Dazu müssen wir sie einmal von West nach Ost durchqueren. In diesem Jahr nahmen wir leider die falsche Ausfahrt nach Bhaktapur, weil niemand den Weg kannte und es keine Wanderwege aus einer Metropole gibt, nur Autostraßen. Im letzten Jahr wurden wir am Stadtrand in einen Bus gebeten, weil (wie ich erst dieses Jahr erfuhr), 7 Ausländer mitliefen, denen man die ganze Strecke zu Fuß nicht zumuten wollte (schöne Logik! Als ob man anderswo nie zu Fuß ginge!). Diesen beschwerlichen Anfang könnten wir uns in Zukunft sparen, wenn der peace walk an der Bouddha Nath Stupa im Osten der Stadt begänne ... aber damit ginge die ganze Pilgerschar des mythologischen Fundaments verlustig, des legendären Ursprungs allen und jedens.

Freitag, November 07, 2025

Eine Blase

Beim Kaffee in der Sonne auf dem Dach entdecke ich eine respektable Blase am rechten kleinen Zeh, an der linken Innenseite. Sie duckt sich in den Schatten des Nachbarzehs (wie heißt der? An der Hand wäre es der Ringfinger) und ich sichte sie trotzdem. Wundere mich, woher sie kommt. Seit wann sie da ist. Die aufgespannte Haut glänzt, sonst hätte ich sie gar nicht bemerkt. Weh tut sie nicht.

Mit den Buddhas ist es fast wie mit den Blasen an den Füßen in zu engen Schuhen (meine Wanderschuhe  sind keineswegs zu eng!). Mal verstecken sie sich, mal tun sie weh, mal nicht. Meine buddhistischen Mitläuferinnen der letzten Tage behaupteten, nicht nur Buddha (Siddharta Gautama) sei in Nepal geboren, sondern auch alle 8 Inkarnationen vor ihm. Er wäre also der 9. Und der 10. ist Vishnu - sagen die Hindus. Die Buddhavamsa berichtet von 24 Buddhas, die Gautama vorausgingen. Er selbst wäre demnach der 25. und immer noch aktuelle. Der nächste, für die Zukunft erwartete, soll Maitreya sein. Wann er kommt, darüber sind sich die Experten nicht einig. 

Donnerstag, November 06, 2025

Kein Muskelkater

Keine Blasen, kein Wehwehchen, kein Bedauern. Ich kann laufen und habe wieder etwas für die Wand, collecting certificates. Suchbild: wo ist mein Name?


Mittwoch, November 05, 2025

Auf dem Gipfel

Heute abend wird der Mond voll. Der Novembervollmond nach AD, Kartik Shukla Purnima nach BS und NS. Einer der wichtigsten Tage für die Buddhisten, die aller Vorfahren gedenken. So auch der Vorfahren Siddharta Gautamas. In einer Vor-Lumbini Inkarnation soll Buddha nämlich vor ungefähr zweieinhalbtausend (oder sind es doch sechstausend?) Jahren Prinz Mahasattva gewesen sein, der dort, wo wir heute hinlaufen, wo der Namo Buddha Tempel steht, im Gandhaman Wald, sein Leben in einem ultimativen Akt der Barmherzigkeit und Selbstaufopferung aushauchte. Er bot seinen Körper freiwillig einer Tigermutter zum Fraße dar, damit sie ihre fünf Jungen säugen konnte. Prinz Mahasattva war damals in seinem irdischen Leben gerade als Jäger in besagtem Wald unterwegs. Zusammen mit seinen zwei älteren Brüdern und den Eltern, König Maharath und Königin Satyawati von Panchaladesh, dem einstigen Königreich Panuti. 

Schon gestern Abend begann hier das Deep Prajwalan (lamp lighting) und Scharen von Pilgern - nicht nur wir peacewalker - tragen heute brennende Kerzen zum Andenken an ihre Vorfahren. Die Kerzen sollen die ganze nächste Nacht - die Vollmondnacht - brennen und Frieden bringen - nicht nur den Seelen der Verstorbenen.

Wir zwängen uns zuerst durch den Stau auf der Zufahrtsstraße, durch Autos, Busse, Bikes, bis wir in den kühlen Wald abbiegen und auf steilem Wege den Gipfel direkt erreichen. Oben ist ein Volksfest, wir drehen unsere Runden um den buried place - die Grabstätte des sagenhaften Prinzen, bringen unsere Dankesopfer dar, waten durch ein Meer von Blumen und Reis und Rauch. Und steigen euphorisiert wieder ab. Wir haben noch einen langen Heimweg vor uns.

In Panauti sehen wir die Schäden der letztjährigen Überschwemmungen, laufen tapfer, wieder angetrieben von ekstatisch Trommelnden, alle Gassen der Stadt ab, kreuz und quer und deponieren endlich unsere peace lamps im Bhagawan Danda. An dieser Stelle stand angeblich einst der Königspalast, der Panchal Palace, in dem Prinz Mahasattva geboren wurde und aufgewachsen ist. 

Dienstag, November 04, 2025

Ekanta Kumari

Me in Muni Vihar, Bhaktapur an einem frischen Morgen. Bhiksu Bhante - the venerable monk, ein ausgesprochen freundlicher Zeitgenosse - führt uns persönlich zu den 15 Bahas - den heiligen Stätten der Newari in der Stadt. Er erzählt viel, ist gutgelaunt und ich verstehe wenig, sehe umso mehr. 

Im Prashansheel Bihar auf dem Bhaltapur Durbar Square empfängt uns Ekanta Kumari, die lebendige Kindergöttin von Bhaktapur. Wir sind früh zum sightseeing auf den Beinen, weil wir noch einen weiten Weg vor uns haben. Offenbar ist unser Besuch nicht angemeldet. Jedenfalls ist die 8-Jährige noch nicht angezogen und nicht fertig geschminkt. Das dritte Auge fehlt auf ihrer Stirn, nur die schwarzen Linien führen geschwungen von beiden Augen zu den Schläfen. Sie wirkt wie ein normales Kind im Schlafanzug. Niedlich, etwas pummelig, wenn sie auf einem normalen Stuhl säße und mit den Beinen schlenkern könnte - sie sitzt selbstverständlich im Schneidersitz auf ihrem Thron - , wäre die Entzauberung perfekt. Sie ist still konzentriert und spendet denen, die sich vor ihr verbeugen, Segen und Tika. Ich betrachte sie aus der Distanz, sie mich auch. Mit einer vielleicht ähnlich gearteten Neugier. Ihre Regentschaft begann vor 4 Jahren, also ist sie bereits ihr halbes junges Leben Göttin! Wir treten zurück in den Hof, wo Bhiksu Bhante mit seinen Erklärungen fortfährt. Derweil huscht Ekanta Kumari an der Hand ihrer Mutter oder dyapala (caretaker) an mir, an uns vorbei - nach Hause zum Frühstück und zur Morgentoilette. Ich bin elektrisiert: sie läuft auf ihren eigenen nackten Füßen in normalen slippers. So wie alle hier! Vielleicht ist sie schon zu groß und zu schwer und die dyapala mag sie nicht mehr tragen. Oder es steht gerade keine Sänfte bereit. Ich dachte, ihre Heiligkeit die Kumari dürfte, solange sie das Amt der lebenden Göttin auf Erden ausübt, ebendiese Erde mit ihren Füßen nicht berühren ...  
Bhiksu Bhante scheint nichts Ungewöhnliches gesehen zu haben. Weder den Schlafanzug noch das durch den Hof laufende Mädchen. Als ich später, in Nala beim Lunch, meine Tischnachbarn frage, sagen sie, in Bhaktapur nähme man die Dinge nicht so ernst wie in Kathmandu oder Patan. Als ich zu Hause an meinem Schreibtisch das Internet frage, serviert es mir eine Studie, die ich hier leider nicht verlinken kann, die besagt, dass Ekanta Kumari in Bhaktapur tatsächlich mehr Freiheiten genießt als alle ihre Kolleginnen im Land der lebenden Kindergöttinnen. Sie darf bei ihren Eltern wohnen und mit normalen Kindern spielen und bekommt vom Staat ein Taschengeld.

Ich bleibe bei der Sache und auf dem Weg. Noch laufen wir. Heute geht alles geschmeidiger als gestern. Wir vermeiden Umwege. Die Straßen sind immer noch Straßen - asphaltiert und staubig, voller Löcher. Die Mittagshitze brennt immer noch auf unsere Köpfe. Am späten Nachmittag erreichen wir Chandeswori - wo es sich meine nimmermüden MitläuferInnen nicht nehmen lassen, zu tanzen, und schließlich auch mich hineinzuziehen in ihren Reigen. Weiter nach Banepa. Übernachtung im Dhyanakuti Vihar. 

Montag, November 03, 2025

peace walk II

Ich mache einen zweiten Versuch, zu Fuß von Swayambhu zu Namo Buddha zu kommen. Letztes Jahr sind wir mehr gefahren als gelaufen. Wir versammeln uns zum Frühstück im Anandakuti Vivar. Swayambhu wird vulgo Affentempel genannt, der Affen wegen, die hier, in den Bäumen, auf den Dächern, in den Tempeln, zwischen Mönchen, Betenden, Meditierenden, Touristen, Flötenden und Trommelnden, Kitschanbietern, Kerzenfrauen, Weihrauchdampf und Wasserflaschen auf immer und ewig Wohnrecht haben. 

Dann laufen wir los, eskortiert von einer Trommelgruppe. Blutjunge Jungs und Mädels, die uns mit unglaublicher Schlagkraft quer durch Kathmandu bis zur Boudhanath Stupa führen. Aus der Stadt heraus laufen wir unbegleitet, immer weiter nach Osten. Geradewegs. Bis Bhaktapur. Ohne Regen, ohne Mitfahrgelegenheit. Nur die Rucksäcke werden uns nach dem Mittagessen abgenommen und in das Auto des medizinischen Begleiters geladen. Es ist trotzdem heiß und staubig. Wir laufen lange auf der falschen Ausfallstraße und machen einen Umweg von mindestens zwei Stunden (was uns erst übermorgen verraten werden wird). Die Sonne geht unter und als ich schon glaube, wir kämen nie an, sind wir angekommen! 




  

Sonntag, November 02, 2025

Allerseelen

Allerseelen ist anderswo. Hier Arbeitstag, Sonntag, kein Ruhetag. Leichte Wetterbesserung. Die Müllkippenblockade wird aufgehoben. Der Interimsinnenminister verspricht den Anwohnern, dass innerhalb von zwei Wochen alle Zusagen, die frühere Regierungen machten, erfüllt werden. Wenn nicht, darf wieder gestreikt werden. Müssen die Müllautos sich wieder irgendwo anstellen. Wenig Zuversicht. 

Ich packe. Etwas gegen Regen. Etwas gegen Kälte. Trotz Sonntag, soll ich mich ausruhen. Und gut essen. Essen ist etwas fundamental wichtiges in diesem Land.

Samstag, November 01, 2025

Haribodhani Ekadashi

Immer noch Regen. W ist sicher gelandet und schläft. Lord Vishnu hingegen wacht heute, an Haribodhani Ekadashi auf aus seinem kosmischen Schlaf, in den er vor ungefähr vier Monaten, an Harishayani Ekadashi gefallen ist. Ekadashi ist, wie wir wissen immer der elfte Tag einer Mondphase, der zunehmenden oder abnehmenden. Heute der hellen, also zunehmenden und in 4 Tagen wird Vollmond sein. Der Himmel zeigt sich gerade Tag und Nacht bedeckt, so dass es überhaupt keinen Unterschied macht, ob wir und in der hellen oder dunkeln Phase befinden. Trotzdem ist heute das allerallerwichtigste Ekadashi des Jahres, es ist das Große Ekadashi - die große 11? - oder das Thulsi- Ekadashi - das Basilikumekadashi. Oder Tulasi Bibaha. Das Basilikum, das gepflanzt wurde, als Lord Vishun schlafen ging, ist nun erntereif. Es wird heute rituell mit der ficus religiosa vermählt, dem Bodhibaum oder Peepaltree. Die Gebete zu Ehren des Basilikums wecken Lord Vishnu auf und natürlich ist, wie könnte es anders sein, mit der Pflanzenhochzeit der heilige Bund Lords Vishnus mit Mother Lakshmi gemeint. Wetter hin oder her, die Geschichten sind immer wieder herzerweichend schön.

देवी त्वं निर्मिता पूर्वमर्चितासि मुनीश्वरैः ।
नमो नमस्ते तुलसी पापं हर हरिप्रिये ।।