Am Mittag ist es hochsommerlich. Gestern soll der wärmste 19. Januar in Kathmandu gewesen sein. Die Temperatur ist über Nacht nicht unter 10° gefallen. Der Winter ist zu Ende und ich sitze mit Herodot auf dem Dach! Lese Kapuścińskis Spätwerk über seine Jugendreisen. Allein diese Konstruktion ist halsbrecherisch. Und wieder seitenweise Zitate! Herodot, Mao Zedong, Zhuangzi uvam. Ich lese deutsch. In memoriam des Übersetzers (der btw leichtes Spiel hatte und die Zitate aus bestehenden Übersetzungen aus dem Griechischen und Chinesischen seitenweise abschreiben durfte, denn für diese Sprachen war er nicht zuständig!). Und weil meine polnischen Bücher - the second half of my life - letzten Sommer allesamt nach Konin gefahren sind. Ein bisschen mutet die Lektüre an wie die Gemälde Gierowskis kürzlich in Guangzhou. Zeitreisen. Zerrbilder. Abgeblättertes. Stumpfes. Verblasstes. Befinde mich gleichzeitig im düsteren Sozialismus (Polens und anderswo) und auf dem Sonnendach der Welt, am Perlflussufer mit moderner Kulisse und im Schatten einer lauten Geschäftsstraße in the metropolitan city of Kathmandu. Mein Arbeitszimmer ist erfreulich leer. Weiße Wände, viele Fenster und Türen, Ausgang auf die Dachterrasse, ein eingebauter Kleiderschrank (geschlossen, umgewidmet, gefüllt mit meinem Archiv), ein Designer-Schreibtisch, ein Designer-Schreibtischstuhl (sehr bequem, natürlich ohne Rollen - das befördert das Sitzenbleiben!), ein Beistelltischmöbel als Ablageplatz für das Internetnotebook (wenn ich arbeite, bleibt auch das www außer Reichweite), unten gefüllt mit Heften, Stiften, Karten, Radiergummi, Bleistiftspitzer und zwei Aktenordnern. Kein einziges Buch weit und breit. Nur das Tintenmeer an der Wand. Ich übe mich in geistiger Askese und schwöre, dass ich nie wieder zitieren werde!
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