Freitag, Januar 31, 2025

Aplomb

Zum Ende des Monats Januar nach unserem Kalender Anno Domini 2025 ein neues Wort: Der Aplomb. Hört sich ein bisschen an wie A-bombe (Hiroshima) oder A-Plombe (Zahnarzt) und passt aber wie angegossen auf den deutschen März (oder schreibt der Monat sich jetzt Merz?). 

Der Aplomp ist natürlich männlich, beweist Rückgrat (eine kerzengerade, aufrechte und aufrichtige Haltung), hat ein selbstsicheres Auftreten, ist beratungsresistent und immun gegen jede Kritik wie eine Teflonpfanne. Beherrscht obendrein perfekt die perfide Rede. Er beweist Dreistigkeit und Rücksichtslosigkeit und wenn es um das Durchsetzen eigener Ziele geht, sind ihm auch Ellbogen recht!

Im Ballett meint der Aplomp Standfestigkeit von weiblichen und männlichen Tanzenden (so schreibt man heute korrekterweise) - also die Stabilität in einer vertikalen Bewegung oder Pose. Oder vulgo Balance. Die Wirbelsäule, lese ich, sei der Ursprung des tänzerischen Aplombs, ein durchtrainierter Rücken verschafft Haltung. Womit wir wieder bei Merz angekommen wären. Oder sind.

Le plomb ist französisch (aus dem lateinischen plumbum für Blei) für Lot, auch Senkblei, Bleischrot, Klemmblei, Bleikugel und tatsächlich auch die Füllung im Zahn! Meine jahrzehntealte Amalgamfüllung im rechten hinteren Backenzahn wackelt, weil ich mir kürzlich dort wohl an einer harten Nuss ein Stück Zahn abgebissen habe. Ende Januar AD 2025!

Donnerstag, Januar 30, 2025

Sonam Lhosar

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Public Holiday. Heute feiern die Tamang und Hyolmo Neujahr. Sonam Lhosar oder Tamang Lhosar fällt nach dem zweiten Neumond nach der Wintersonnenwende auf den ersten Tag des zunehmenden Mondes, Shukla Pratipada (= Name für den ersten Tithi, den ersten Mondtag des folgenden Mondmonats). Paksha ist die Mondwoche. Lhosar, wir wissen es schon ist ein Wort aus dem Tibetischen: Lho für Jahr und sar für Wechsel oder neu. Der Jahreswechsel beginnt traditionell mit Hausputz und Hausschmuck. Frische bunt leuchtende buddhistische Gebetsfahnen werden aufgehängt. Alle sind gut gelaunt und beten für Frieden und Harmonie! Die Tamang sind sehr naturverbunden und folgen auch den 12 Tierkreiszeichen. Ich nehme an, auch für sie beginnt jetzt das Jahr der Schlange.


P.S. Die Nachrichten aus Europa schlängeln sich bis in den Himalaya hoch. Leider! Aber ich habe einst gebetsmühlenartig wiederholt, dass Herr Merz der Erste sein wird, der der AfD die Hand reicht - um seine Macht zu festigen! Ihr kennt ihn doch auch, was wundert Ihr Euch also? Und ich weiß, dass einige meiner ehemaligen Nachbarn in Dithmarschen darüber gar nicht unglücklich sind und dass andere jetzt anfangen zu beten.

Mittwoch, Januar 29, 2025

Das Jahr der Holz-Schlange

Frühlingsfest in China und andernorts. In Bhaktapur wurde schon vor zehn Tagen gefeiert, gerade als wir Guangzhou verließen. Die Japaner beginnen das Jahr traditionell am 1. Januar und ich bekomme von der japanischen Illustratorin meiner Hooger Nüsse immer rechtzeitig einen Neujahrsgruß, auch in diesem Jahr hatte ich bereits am 1.1. eine minimalistisch animierte hölzerne Schlange in meinem elektronischen Postfach. Das Jahr der Holz-Schlange beginnt aber eigentlich erst heute mit dem Neumond. Es ist mein dritter Neumond auf dem Hill. Und auch heute - ob Zufall oder Shivas Fügung lassen wir dahingestellt - läuft unser erstes, einmal verlängertes Visum in Nepal aus. Entgegen aller freundlichen Aussagen aller freundlichen neuen Freunde kann ein neues Visum erst beantragt werden, wenn das alte nicht mehr gültig ist. Also Morgen. Das ist so wie mit den riesigen AquaHundred-Pfandbottichen - ich bekomme einen vollen nur gegen einen leeren.

Auf dem nepalesischen Kalender BS ist heute der 16 Magh 2081. Public holiday im Dreierpack: Shahid Diwas, Madhav Narayan Mela (the end), Tribeni Mela. Bleiben wir beim ersten, wichtigsten: Shahid Diwas ist der Märtyrertag und PM Oli hat am Shahid Gate seinen Kranz niedergelegt, im Gedenken an die vier bekanntesten und die unzählig unbekannten Männer und Frauen, die erfolgreich oder erfolglos gegen das 105-jährige tyrannische (iron-fisted) Rana-Regime gekämpft, ihr Leben für die Nation hingegeben und dem Land den Weg in eine bessere Zukunft gewiesen hatten. Die 4 Hauptmärtyrer wurden 1941 von den Schlächtern der Ranas hingerichtet: Dharma Bhakta Mathema und Shukra Raj Shastri gehängt, Ganga Lal Shrestha und Dashrath Chand erschossen. 20 Jahre nach der Exekution wurde in Kathmandu das Shahid Gate mit den vier Statuen der Märtyrer, zwei zu beiden Seiten des Tores, so dass von beiden Richtungen jeweils einer zu sehen ist, von König Mahendra, dem Sohn und Nachfolger Tribhuvans auf dem Thron, eingeweiht. Oben auf dem Gate sitzt ab und an noch eine fünfte Statue, die von König Tribhuvan höchstselbst. Die wird je nach politischer Wetterlage immer mal wieder ins Palastmuseum umgesiedelt und dann wieder den Gaffern und dem Smog der Hauptstadt ausgesetzt. König Tribhuvan wurde als Fünfjähriger 1911 auf den Thron gehievt und war offiziell bis zu seinem frühen Tod am 13. März 1955 (in einer Klinik Zürich, an einem Herzinfarkt?) im Amt. Faktisch stand er als Kind unter der Fuchtel seiner Mutter und als Erwachsener unter der Fuchtel des Rana-Clans. Im Winter 1950/51 brach die Revolution aus, Tribhuvan floh kurzzeitig nach Indien, kehrte als konstitutioneller Monarch zurück und hatte nach der Absetzung oder Abdankung des letzten Rana-PMs nichts gegen eine demokratische Regierung. Er ist im kollektiven Gedächtnis offenbar ein Guter, vielleicht ist diese Einordnung auch der Gnade seines frühen Todes geschuldet. Jedenfalls ist nach ihm ist der internationale Flughafen in Kathmandu benannt, sowie die größte Universität und der erste Highway des Landes, das zweitälteste Fußballtournier - und die Stadt Tribhuvannagar, heute Teil der größten Submetropole Ghorahi in der Provinz Lumbini. 

Die Shahids, die Märtyrer sind - wie manche behaupten, allgemein viel zu wenig bekannt. Deshalb soll man heute Kränze zu ihren kalten Füßen niederlegen und Reden halten und Gutes tun. Einer ist aber verewigt in the Metropolitan City of Kathmandu: Das Fußballstadion oder Nationalstadion - in dem seit unserer Ankunft schon denkwürdige Spiele stattfanden - trägt den Namen von Shahid Dashrath Chand.

Die Chinesischen Astrologen übrigens sagen, uns stehe ein Jahr voller Weisheit, Klugheit und Charme bevor.

Dienstag, Januar 28, 2025

Das Kopfüber

Das ist unsere Trinkwasser-Anlage. Unten ein dispenser mit ein paar Notlitern, oben kopfüber der 19-Liter-Bottich der Firma AquaHundred. Dieser speist den dispenser, bis er seinen Inhalt, die ganzen neunzehn Liter Wasser, nach unten abgegeben hat. Dann muss wieder ein voller 19-L-Container aufgesetzt werden, sonst trocknet der dispenser alsbald aus. 

Die Herausforderung unseres neuen Lebens ist das Kopfüber von 19 Litern Wasser. Die aus hygienischen Gründen verschweißte Hartplastikkapsel entfernen, die offene bottle vom Boden hochheben und kopfüber auf den dispenser auf der Anrichte hieven, ohne einen Tropfen Trinkwasser zu verschütten. 

Immer dienstags, also heute, wird nachgeliefert. Pro leere AquaHundred-bottle kann ich eine volle kaufen. Manchmal werden pro Woche zwei leer, manchmal nur eine, das hängt einerseits davon ab, wie der Wasserstand am vorausgegangenen Dienstag war, andererseits davon, wieviel Trinkwasser wir in 7 Tagen verbrauchen. Nicht nur zum (Tee- oder Kaffee-) Trinken, sondern auch zum (Mo:Mo-)Kochen, Waschen von grünem Gemüse (leafy greens with high pesticide level), Tomaten, Trauben uam, zum Einweichen von Red Chana, roten oder grünen Linsen. Und last but not least: ob ich alleine bin oder ob wir zu zweit saufen. 

Wir haben immer mindestens einen vollen Bottich in Reserve. Es ist also keine Frage der Versorgung, die Notlage - wenn es denn zu einer kommt - besteht im wahrsten Sinne des Wortes in der Lage des Wassers. Trinkwasser haben wir immer ausreichend. Aber es befindet sich nicht immer an der richtigen Stelle und dann kann es nicht fließen. 

W. hat zwei linke Hände, immer schon gehabt und daran wird sich auch nichts mehr ändern. Einmal ist ihm ein voller, aber bereits offener AquaHundred-Bottich aus der Hand gerutscht. Das reicht für ein lebenslängliches Trauma. Und ich bin ein schwaches Weib. Wenn ich Glück habe, ist die bottle am Dienstag leer und der Wasserschef so freundlich, mir gegen ein Trinkgeld eine volle nicht nur in die Küche zu rollen, sondern sie auch aufzusetzen. Wenn ich kein Glück habe, wird die bottle an jedem anderen Tag leer, nur nicht am Dienstag. Wenn ich noch mehr Glück habe, kommt zufällig jemand des Weges. Gescheiter Besuch von W. Kräftige Nepali, die alle zu Hause, seit sie denken können, kopfüber Wasserbottles aufsetzen. Ob auf einen simplen dispenser wie unseren, oder auf eine raffinierte Maschine, die das Wasser auch kühlen oder wärmen kann, macht keinen Unterschied. Die Handhabe ist leider immer dieselbe: das Oben muss offen und kopfüber auf das Unten kommen, sonst läuft gar nichts. Wenn ich überhaupt kein Glück habe, bitte ich unseren community manager. Der versichert mir jedes Mal strahlend, das sei überhaupt kein Problem und er sei jederzeit, an 7 Tagen der Woche, rund um die Uhr für mich da ...  

Trotzdem. Trotz all der hilfreichen Männerhände, sagt mir meine gestandene helvetische Seele, dass ich, wenn ich mit dem Trinkwassermanagement nicht klar komme, in diesem Land nichts zu suchen habe. Im 10. Stock hatten wir einen Filter. Der war auch nicht optimal. Ich traute ihm nicht, denn für einen Liter gefiltertes Wasser vergoss er mindestens drei- bis viermal so viel Dreckwasser in den Abfluss. Tränenreiche Sache! Außerdem funktionierte er nur mit Strom. Wenn der Strom nicht floss, floss auch kein Trinkwasser.

Heute also, gestärkt nach der Meditation unter dem Laxmibaum und bei Shiva und dem Morgenqigong mit Wanderschuhen und dem Besuch beim jungen Gemüsehändler mit den rot gefärbten Haaren und bevor die Wassermänner angefahren kamen, machte ich mich frisch ans Werk. Das Resultat seht Ihr oben! Und hier unten die stumme Herausforderung bis zum nächsten Dienstag: 2x19L.

Montag, Januar 27, 2025

Beben

Die Erde bebt. Heute kurz nach 3 pm local time mit 4,9. Ich sitze, wie immer um diese Zeit, am hellen Nachmittag, mit einem nepalesischen Espresso auf dem Dach. Hinunterspringen könnte ich nicht mit meinem auf dem zweiten Stuhl hochgelagerten, einbandagierten Fuß. Das Epizentrum liegt 29 km südwestlich von Shigatse oder Xigaze, der zweitgrößten Stadt Tibets. Also dort, wo sie, die Erde bereits am 7. Januar mit Stärke 7,1 bebte. Jetzt nicht ganz so heftig, dafür aber etwas näher an der Grenze zu uns. Auch am 21. Januar bebte sie in der selben Gegend mit 4,8. Am 22. Januar mit 4,1 und am 24. Januar mit 4,6. Die Stärke nimmt also tendenziell eher zu als ab und die zeitlichen Intervalle werden enger. 

Sonntag, Januar 26, 2025

Wolken

Wolken am Himmel! Ich habe bereits vergessen, dass es so etwas gibt und laufe zu meiner Apothekerin. Sie verkauft mir eine Fußbandage und ich liege den ganzen grauen Sonntag lang mit einbandagiertem und hochgelagertem Fuß im Bett. Zweimal muss ich aufstehen, weil Daraz-Kuriere liefern. Einmal long handle microfiber feather ceiling duster. Gegen zukünftige Spinnennetze. With extendable pole 30-100 Inch. Das müsste bis an die Decke reichen. Und einmal für den Boden Flat Mop Bucket Set with 2 Reusable and Washable Microfiber Mop Pads. Mit der Verpackung werde ich mein Katzenhaus auspolstern. Mit diesem zuversichtlichen Gedanken lege ich mich mit Herodot aufs Sofa im ersten Stock. 

Samstag, Januar 25, 2025

Gefühle

Ich bewege mich so ungeschickt barfuß auf den Steinen vor dem Laxmibaum, dass mir der Schmerz das Bein hochschießt. Die ganze Umsicht, Sorgfalt und Vorsicht der letzten Tage und Wochen ist dahin. Ich kann kaum auftreten und humple heulend nach Hause.

"Jump a little bit", sagt mein vietnamesischer Thay immer wieder am anderen Ende der Welt. Im Bluecliff Monastery. Spannungen lösen, Hände und Arme ausschütteln, und eben: jump a little bit. Nach dem Aufwärmen Beine lockern, Füße lockern. Ich habe vergessen, dass ich nicht in meinem Zimmer auf der federnden Sprungmatte meines Trampolins stehe. Sondern auf dem frisch gepflasterten harten Boden der Wirklichkeit vor dem Shivatempel!

Freitag, Januar 24, 2025

Namen

Namen sind Schall und Rauch. Wer sagte das? Ich wollte nicht mehr zitieren - aber gewisse Wörter ziehen ungefragt durch meinen Kopf, mit anderen im Schlepptau.

Ich bin für alle Ma'm, mit variantenreich in die Länge gezogenen a, oder gar einem angedeuteten d im hiatus. Ma'am. Oder militärisch kurz und knapp: Mam!

Nur meine nepalesische Bank spricht mich höflich mit "Dear Judith, greetings ..." an, wenn sie mir blitzschnell bestätigt, was ich eh weiß: dass ich gerade ein paar Tausend aus dem ATM gezogen oder ein paar Hundert an NCell überwiesen habe.

Heute ist wieder der plumber an der Reihe. Ein anderer als bisher, der bestätigt, was ich seit längerem vermute: die Verstopfung liegt außerhalb des Hauses. Heute früh war nämlich der Küchenboden ein See! Der plumber wollte von mir Gummihandschuhe haben, die er selbstverständlich bekam. Damit griff er in die Tiefe unter der (Innen-)Spüle. Was er herauszog, war keineswegs appetitlich! Dann versuchte er mit einem Schlauch einen Durchgang freizukriegen. Fürs erste fließt das Abwasser wieder ab und nicht mehr zurück in die Küche. Aber es ist wie so oft nur eine Frage der Zeit, bis zum nächsten Malheur.

Die landlady, die ich in solchen Momenten kontaktiere, trägt nach ihrem Gatten den Nachnamen früherer Könige, einer ganzen Dynastie. Tempi passati, würde man andernorts sagen. Aber hier herrschen hinduistische Göttinnen und Geister der Vergangenheit. Faust lässt grüßen. Gefühl ist alles!

Donnerstag, Januar 23, 2025

putzig

Kürzlich reiste ich mit einem fast leeren Koffer nach Guangzhou. Er wurde bis auf den letzten Krümel durchsucht. Zufall, sagt W. AI, Pech. Algorithmus. Jedes soundsovielte Gepäckstück muss auf den Kopf gestellt werden. Ich glaube ihm nicht und fürchte, auf eine Liste gekommen zu sein. Das letzte Mal, als ich dieses Land verließ, reiste ich nämlich ohne Koffer. 

Diesmal war ein Koffer dabei. Den wollte ich in China mit Putztüchern füllen. Wer sich darüber wundert, soll mal in seinem Putzschrank nachschauen, woher all das Zeug kommt. Genauer gesagt: mit Microfaserputztüchern. Und das ist auch gelungen! Leider hat sich auf der Rückreise niemand für den Inhalt dieses Koffers interessiert. 

Nachdem ich im B-Tower nämlich zweieinhalb Monate Anschauungsunterricht genossen hatte, wie und womit nepalesische Reinigungskräfte arbeiten, habe ich beschlossen, die Sache auf dem Hill selbst in die Hand zu nehmen. Als erstes schickte ich die mir unbekannte Frau am Morgen nach meinem einsamen Einzug (W. weilte auf Geschäftsreise im Ausland) in ein angeblich blitzblank geputztes Haus weg, die vor der Tür stand und "kitchen and bathroom" reinigen wollte. Ich hatte gerade mal eine Nacht hier verbracht und weder geduscht noch gekocht. Unsere landlady hatte mich schon bei der Vertragsunterzeichnung gedrängt, zu sagen, wie oft ich eine maid brauche, ob einmal wöchentlich oder zweimal oder vielleicht am besten täglich because it's a big house. Ich schüttelte ständig den Kopf und widerstand tapfer all ihren Versuchungen, mir hier ein Heer von Hausangestellten zuzuführen - von der maid über den boy, den cook, den staff bis hin zum driver, für die es hinter der Außenspüle ein abschließbares Außenklo mit Warmwasser-Duschmöglichkeit gibt (das, in Klammern sei's bemerkt, schlimmer aussah als alles, was die wilden Katzen in der Siedlung zur Verfügung haben und das ich selbstredend eigenhändig sauber schrubbte, denn besagte Dame ist nie wieder vor meiner Tür aufgetaucht), mit denen ich erstens nicht in der Lage wäre, zu kommunizieren, vor denen ich aber zweitens - wie sie mir mit erhobenem Zeigefinger ans Herz legte - alle Wertsachen ein- und vor allem den Kühlschrank abschließen solle. 

Ich kaufte lieber einen Staubsauger und fing mit den Microfasertüchern an, die ich in Dithmarschen in die Leerräume der DHL-Bookboxes gestopft hatte. Statt Zeitungspapier. Wie weise und ungeahnt vorausschauend! So erledige ich das, was die maids der Nachbarn in mühseliger Fronarbeit Tag für Tag von früh bis spät machen, in durchschnittlich zwei Stunden pro Woche und habe jederzeit freien Zugang zu gekühlten Getränken und meinem Goldschmuck. Plus einmal im Vierteljahr zwei Stunden extra für die Fenster. Für die habe ich mir nun einen Microfaserautoputzhandschuh bestellt. Putzig, nicht? Die Driver der Nachbarn stehen nämlich den lieben langen Tag auf dem Parkplatz vor meinem Küchenfenster um ihre Dienstwagen herum, langweilen sich, telefonieren oder spielen mit dem Smartphone. Oder wedeln mit bunt gefiederten Handschuhen am in der Sonne glänzenden Blech herum.

Mittwoch, Januar 22, 2025

Küchenschaber

Aus meiner Meldorfer Küche habe ich - warum weiß ich nicht mehr - einen Teigschaber mitgenommen. Vielleicht, weil ich den einst von woanders mitgenommen hatte. Wie auch immer. In der Küche im 10. Stock der Twintowers hatten wir nachtaktive Mitbewohner, harmlose, wie W. sagte, Küchenschaben in allen Größen. Die nagten besonders gerne - nachdem ich, lernfähig! - alle anderen potentiellen Naschwerke jeweils am Abend wegräumte und kein schmutziges Geschirr mehr stehen ließ - besonders gerne am Schabeteil meines WMF-Teigschabers. Hier auf dem Hill haben wir keine Mitbewohner und der Teigschaber ist aber leider rundum angeknabbert. Rückgängig machen lässt sich das Drama nicht, auch wenn derzeit nichts und niemand wuselt auf der Anrichte und am Boden in der Küche, wenn ich morgens komme und Licht anknipse. Das Haus auf dem Hill war - verglichen mit dem Apartment im B-Tower - auf Hochglanz geputzt, als wir einzogen. Ich wunderte mich aber von Anfang an, warum ein einziger Lampenschirm der vielen Wandlampen, die alle im Duo angebracht sind, in Form eines zur Decke offenen, in der Machart eines kunstvoll geschwungenen Kristall-, in Wirklichkeit aber billigen Plastikkelches, den Anschein machte, halbvoll mit Dreck zu sein. Da mir das immer nur abends auffiel, wenn die Lampe an war, mochte ich nie auf den Stuhl steigen und von oben reingucken. 

Heute tue ich das am Mittag bei schönstem Sonnenschein. Schraube die Birne heraus und greife mutig (im Nachhinein angeekelt) mit der Hand hinein. Was ich heraushole ist eine Sammlung von staubtrockenen Käfern, Motten, Faltern, Fliegen, Schaben usw., die jedem Naturkundemuseum Ehre machen würde. Ich frage mich natürlich, wie diese bis zu 5 Zentimeter langen Viecher in diese Wandlampe hineinkommen und woher sie anfliegen oder -kriechen? Statt auf eine Antwort zu warten, hole den Staubsauger und sauge das Zeug weg. Museumsreif hin oder her. Am Abend strahlt die Lampe so hell wie ihre Partnerin zur Linken.

Dienstag, Januar 21, 2025

barfuß laufen

Das Haus wird tagsüber so aufgeheizt, dass es die Wärme auch über Nacht behält. Wie wird das werden, wenn der wahre Sommer da ist? Die Nepali tragen unverdrossen den ganzen Tag ihre Wollmützen. Ich hüpfe barfuß um den Shivatempel herum. Den Gang nach Panipokhari spare ich mir für morgen auf. Auf dem Nachbarhaus wird weiterhin gehämmert und geklopft. Steine werden hoch und runter getragen, Schuttberge verschoben und bis spät in die Nacht geschweißt. Der Kater ist halbtot, putzt sein blutiges Fell, hinkt, weicht kaum aus seiner Hütte unter der Außenspüle, hat keine die Kraft zu betteln. Frisst aber, was ich ihm hinstelle. Trinkt. Von den stahläugigen Streithähninnen und anderen Kontrahentinnen lässt sich keine blicken.

Montag, Januar 20, 2025

Herodot

Am Mittag ist es hochsommerlich. Gestern soll der wärmste 19. Januar in Kathmandu gewesen sein. Die Temperatur ist über Nacht nicht unter 10° gefallen. Der Winter ist zu Ende und ich sitze mit Herodot auf dem Dach! Lese Kapuścińskis Spätwerk über seine Jugendreisen. Allein diese Konstruktion ist halsbrecherisch. Und wieder seitenweise Zitate! Herodot, Mao Zedong, Zhuangzi uvam. Ich lese deutsch. In memoriam des Übersetzers (der btw leichtes Spiel hatte und die Zitate aus bestehenden Übersetzungen aus dem Griechischen und Chinesischen seitenweise abschreiben durfte, denn für diese Sprachen war er nicht zuständig!). Und weil meine polnischen Bücher - the second half of my life - letzten Sommer allesamt nach Konin gefahren sind. Ein bisschen mutet die Lektüre an wie die Gemälde Gierowskis kürzlich in Guangzhou. Zeitreisen. Zerrbilder. Abgeblättertes. Stumpfes. Verblasstes. Befinde mich gleichzeitig im düsteren Sozialismus (Polens und anderswo) und auf dem Sonnendach der Welt, am Perlflussufer mit moderner Kulisse und im Schatten einer lauten Geschäftsstraße in the metropolitan city of Kathmandu. Mein Arbeitszimmer ist erfreulich leer. Weiße Wände, viele Fenster und Türen, Ausgang auf die Dachterrasse, ein eingebauter Kleiderschrank (geschlossen, umgewidmet, gefüllt mit meinem Archiv), ein Designer-Schreibtisch, ein Designer-Schreibtischstuhl (sehr bequem, natürlich ohne Rollen - das befördert das Sitzenbleiben!), ein Beistelltischmöbel als Ablageplatz für das Internetnotebook (wenn ich arbeite, bleibt auch das www außer Reichweite), unten gefüllt mit Heften, Stiften, Karten, Radiergummi, Bleistiftspitzer und zwei Aktenordnern. Kein einziges Buch weit und breit. Nur das Tintenmeer an der Wand. Ich übe mich in geistiger Askese und schwöre, dass ich nie wieder zitieren werde!

Sonntag, Januar 19, 2025

da sein

Es ist alles wieder wunderbar laut und staubig. Ich huste und bin heiser. Die Nachbarn scheinen das halbe Haus abzureißen, umzuschichten und wieder aufzubauen. Ich bin sehr früh wach, habe immer noch chinese standard time im Blut. Es ist frostig. Ich warte auf die Sonne und laufe zum Tempel. Dort ist es so warm, dass ich ab morgen mein Qigong barfuß auf den neuen Steinplatten absolvieren werden. Dann bin ich die Sorge los, ob ich mit klobigen Schuhen heiligen Boden betrete oder nicht. Vorher füttere ich den Kater. Nachher seine scheue stahläugige Zwillingsschwester. Und gegen Mittag eine dritte, auch stahläugige, auch sehr scheue und hungrige, aber deutlich dunkler Gemusterte. Wer Augen hat ... Wenn sie so geordnet hintereinander vor meinem Küchenfenster erscheinen, ist alles gut. Auf dem Weg zu meinem Gemüsestand bin ich zum ersten Mal hier oben auf dem Hill unsicher, wie und ob ich auf die andere Seite der Golfutar komme. 

Wie schnell mein Hirn sich an eine übersichtliche Ordnung im öffentlichen Raum gewöhnt hat! Dass China, Canton oder Guangzhou das Prädikat "ordentlich" verdient, hätte ich mir nicht träumen lassen!

Ich fragte mich die letzten Tage immer und immer wieder, was es denn heißt, oder bedeutet, wenn Menschen in einer Stadt gedankenlos geradeauslaufen oder geradeausfahren können. Und was es heißt, oder bedeutet, wenn sie bei jedem Schritt aufpassen, wohin sie treten, und jede Sekunde gewahr bleiben, ob sie nach rechts oder nach links ausweichen. Achtsamkeit wäre das Modewort. Aber die Mode passt nicht in diesen Urstrom.

Am frühen Nachmittag wird mein Karmaholzsideboard geliefert. Ich bin etwas erschrocken, wie groß und schwer es ist. Die Männer tragen es aber klaglos in den zweiten Stock. Es riecht noch streng nach Werkstatt. Wenn es ausgelüftet ist, werde ich darin mein gesamtes Handwerkszeug unterbringen.  

Samstag, Januar 18, 2025

einreisen

Abflug Guangzhou Baiyun International Airport  07:50 am (Chinesische Standardzeit). Wir sind sehr früh auf den Beinen. Zwar werden wir abgeholt, ziehen aber unsere vollen Koffer zuerst durch nachtleere Straßen. Aufgrund des nahenden spring festivals - auch die Chinesen feiern ihre festivals - kamen die Absperrungen täglich näher und näher. Wir laufen auf verkehrsbefreiten Straßen. Es gibt keine Schlaglöcher und keine Stolperstellen. Der Müll der letzten Nacht wird gerade weggeputzt. So bequem laufen konnte ich schon lange nicht mehr. 

Noch einmal sehe ich die Achttausender von oben im Mittagslicht und dann sind wir auch schon wieder zu Hause auf dem Hill. Außer Spesen nichts gewesen! Ein noch nicht abgelaufenes Visum kann nicht auf Vorrat verlängert werden. Ich bin nach 3 Tagen wieder online und lese als erstes die Nachricht von Martin Pollacks Tod. Vor fast 20 Jahren haben wir zusammen unzählige Abende in der Küche des Laskihauses, der Stipendiatenhütte der Villa Decjus, in Krakau verbracht. Letzten Sommer sind mir beim Räumen in Meldorf alle seine Bücher wieder in die Hand gekommen, ich habe aber nur die Übersetzung von Kapuścińskis Herodot (Podróże z Herodotem) mitgenommen. Weil das Buch handschriftlich W. gewidmet ist und ich nicht wagte, es wegzugeben. RIP Marcinie!

Freitag, Januar 17, 2025

17., der Vierte

Wir fangen den Tag mit der vornehmen Gesellschaft an, die sich vormittags um 10 Uhr (local time) im Guangzhou Baietan Art Center zur Vernissage versammelt. Der Kurator, Philip Dodd persönlich hat uns eingeladen. Gierowski in Guangzhou. Wenn es nicht ein polnischer Künstler wäre, hätte ich den langen Weg nicht auf mich genommen. 

Remake der  Ausstellung im CAFA Art Museum Beijing vom letzten Sommer: „That’s How the Light Gets in. The Art of Stefan Gierowski (1925-2022)” 

“None of the versions of Stefan Gierowski – whether during his life or after – are definitive. This exhibition and catalogue are a modest attempt to set in motion a variety of ways of seeing his distinctive achievement. To quote Shakespeare: ‘Nothing of him that doth fade,/ But doth suffer a sea-change / Into something rich and strange.’ “ (Philip Dodd)

fot. Cathy Cui
Mein Lieblingsbild - das letzte und in der Werkchronologie jüngste - hängt entweder falsch an der Wand oder ist falsch im Katalog abgedruckt, blue in blue, aber ohne Titel.  

Den Rest - nach einem festlichen lunch (wie vor 25 Jahren vermisse ich Reis!) auf der anderen Seite des Flusses und coffee mit business talk - dieses denkwürdigen vierten Siebzehnten haben W. und ich zur freien Verfügung.

Donnerstag, Januar 16, 2025

Guangzhou

China revisited ... nach wie vielen Jahren, Jahrzehnten? Ich glaube, nach einem knappen Vierteljahrhundert! Das Gedächtnis ist schwach und vor dem Abflug blätterte ich gestern in Hattigauda noch alle alten Pässe durch. Als Deutsche sah mich das Reich der Mitte noch nie!

In Guangzhou mit sanftem jetlag zu spät eingeschlafen und zu früh wieder aufgewacht. Im sechsten Stock in einem runden Zimmer (wie kürzlich im Traum) und mit dem Vollmond vor dem Fenster (wie in Hattigauda). Zum Frühstück gibt es draußen auf der Straße Congee - Reissuppe mit Seafood. Oder kantonesisch Sampan Chuk. Wir befinden uns in Canton. Alle sprechen Mandarin. Die Hochsprache. Kein Kantonesisch. Sagt W. Auch die Kellnerinnen. Ich verstehe kein Wort. Hier spricht niemand Englisch (im Gegensatz zu Kathmandu, wo mich auf der Straße jeder Knirps fehlerfrei fragt "what's your name? what's your country? what's your age ..."). Dann Dafo Temple - Grand Buddha Tempel, frisch renoviert und herausgeputzt. Protzig! Mitten im Kommerz. Shopping. Ich bin entsetzt über einen raubtierhaften Konsum. Über gespenstisch leere shopping-malls, endlose Gänge, Treppen, überdimensionierte Glasaufzüge (die Krise!). Es gibt nur noch Food und Rosarotes, Angebote für den Magen und für kids oder solche die es bleiben wollen. Eine schrecklich infantilisierte Gesellschaft!  

China revisited ... im denkwürdigen Mai 1989 begann in einer anderen Ecke dieses denkwürdigen Landes - in Beijing auf dem Platz des Himmlischen Friedens - unsere denkwürdige Liebesgeschichte.  

Mittwoch, Januar 15, 2025

ausreisen

Im Morgengrauen hole ich fröstelnd den kleinen Remova-Koffer vom Einbauschrank herunter. Zu packen habe ich kaum etwas, aber ohne Gepäck zu reisen, ist unklug. Ich verlasse das Land für ein paar Tage.

Damit ist auch die Frage, ob ich den unverschämten Kater vor meinem Küchenfenster weiterhin mästen will, erstmal vom Tisch. Er hat mich aber gerade zu Tränen gerührt, weil er so anständig, ganz ohne zu betteln, auf sein Frühstück wartete in seiner Hütte! Und danach lief er nicht gleich um das Haus, um in meinem Vorgarten die Morgentoilette zu erledigen, sondern blieb bei mir. Brav und satt genoss er auf dem ehemaligen Badeteppich sichtlich die Morgensonne. Als ob er ahnte, dass jede Herrlichkeit irgendwann ihr Ende findet ...

Denn gleich werde ich abgeholt und zum KTM - Kathmandu Tribhuvan International Airport gebracht. In ein paar Stunden wartet am anderen Ende hoffentlich W.  

Dienstag, Januar 14, 2025

Vollmond, der 4.

Der vierte Vollmond in Folge. Bei mir erst heute in den frühen Morgenstunden, bei euch schon gestern kurz vor Mitternacht. Eine frostige Nacht geht zu Ende und im Nepali Calendar fängt ein neuer Monat an. Heute ist der 1 Magh und Maghe Sankranti. Public holiday, was ich erst im Laufe des Nachmittags realisiere (während ich vergeblich auf die Trinkwasserlieferung warte).  

Die Katze, von der ich in meiner seltsamen Vernarrtheit annahm, sie habe von einem Tag auf den anderen jede Scheu vor mir abgelegt, ist bei Lichte betrachtet natürlich ein anderer Kater! Der hat mich erfolgreich umgarnt mit seinen Liebesschwüren. Mittlerweile schleichen hier mindestens drei seiner weißgetigerten Geschwister in gebührendem Abstand herum. Seine stahläugige Zwillingsschwester habe ich eben unter einem Auto auf dem Parkplatz gesichtet, während der chief auf der weichen Matte vor meinem Küchenfenster ein so lautes Geheul veranstaltete, dass ich erschrocken vom Dach herunterrannte. Und da fiel es mir, wie man so schön sagt, wie Schuppen von den Augen. So bescheuert bin ich also in meinem immer noch nicht verwundenen Carusotrauma!

Denn: ständig - nicht nur bei Vollmond, sondern seit dem vorletzten Neumond, seit ausgehungerte Katzen mein Innerstes aufwühlen (sic! Schön pathetisch) - verfolgt mich ein Schatten. Ich blicke ständig von meinem Bildschirm auf und zur Rechten, weil mir scheint, ein schwarzer Kater warte dort stumm und geduldig vor der Dachterrassenglastür auf Einlass. Es ist vollkommen ausgeschlossen, dass eine der wilden Katzen des Hills bis aufs Dach klettert. Denn erstens gibt es keinen schwarzen Kater auf dem Hill, und zweitens kein Futter auf den Dächern! Also muss es Caruso sein, der freundlicherweise gucken kommt, wo ich abgeblieben bin. 

Montag, Januar 13, 2025

Begnadetes Gelände

Ich schone meinen Fuß, gehe seit Tagen nur noch um die Ecke zum Dragon und esse sehr scharfen Curry oder sehr scharfe katta noodles. Das sei gut für die Seele, sagt W. Auf dem Rückweg kaufe ich das Nötigste, open dahi, Bananen oder nepalesische Orangen, die die Größe von Mandarinen haben und sehr saftig sind. Mit sehr vielen Kernen. Wie die Zitronen, die auch klein und saftig sind. Neue Zeiten! Jenseits EU-begradigter Gurken.

Das abschüssige Gelände vor dem Shivatempelchen ist begnadet, begnadigt - begradigt. Ich kämpfe trotzdem mit den Gleichgewicht beim Morgenqigong. Ein Band am linken Fuß, innen unter dem Knöchelknochen ist, wie ich vermute, ungut zerdehnt. Einstens balancierte ich hier vor meinem Laxmibaum - mit oder ohne Hund. Und die ganze Anlage sah so aus:
Heute ist alles schier, wie man in Dithmarschen sagt, am Nachmittag soll noch der Zaun gesetzt werden, verspricht mein Mönch. Ich zentriere mich derweil am Schreibtisch, der im Hintergrund im ersten weißen Haus links hinter dem mittleren Fenster in der obersten Etage steht. Zügele meine wüsten Gedanken, zentriere stattdessen für Euch und die Welt zum Ende dieses Bilderreigens noch eine allerletzte Vorher/Nachher-Schau: 



Sonntag, Januar 12, 2025

the art of quotation

Über die Zitierweise - the art of quotation - ist schon viel gesagt und geschrieben worden. Wie diese Kunst ordentlich und guten Gewissens handwerklich auszuführen ist. Ich überarbeitete heute Vormittag, solange die Sonne schien und mir die Füße wohlig wärmte unter dem Schreibtisch, wohl zum tausendsten Mal mein Lieblingskapitel meines eigenen work in progress, wieder einmal, wie ich meine, zum allerletzten Mal, wieder einmal, wie mir scheint, endgültig. Ich stellte ungefähr jedes meiner eigenen Worte noch einmal prüfend auf den Kopf, bis ich das Chaos gebändigt und den Text in Fluss und Klang gebracht hatte. Zum Mittag zogen Wolken auf und es wurde schlagartig kalt wie in der Nacht. Ich legte mich mit meinem Dithmarscher Wintermantel und zwei Decken auf das Sofa im mittleren Stock, im mittleren Zimmer und las - to improve my poor english - das Buch, das W. mir kürzlich als Geschenk von der Autorin überbrachte. Sie war mit mir im September drei Tage lang von einem Tempel zum anderen gepilgert, beginnend am Affentempel in Kathmandu über Thimi, Bhaktapur, Banepa nach Panauti (das wenige Tage später durch die Regenmassen völlig verwüstet wurde) bis zum Na:ma Buddha Tempel. Dort, auf dem peace walk, nannten sie alle Lesley, auch ich. Nun heißt sie Louisa. Warum, kann hier nachgelesen werden. 

Und ich ärgere mich über meine ultraverlangsamte Arbeitsweise und die Chuzpe dieser Louisa. Nicht nur, dass sie ihr Buch von hinten bis vorne spickt ist mit Zitaten, klugen Worten berühmter Zeitgenossen, seitenweise Auszügen aus der englischsprachigen Tagespresse Nepals, aus Facebook-threads (oder wie heißt das heutzutage?) und Whatsappgruppen, aus höchstpersönlichen Korrespondenzen mit Regierungsvertretern und Botschaftsmitarbeitern, allesamt mit Klarnamen schwarz auf weiß, Lesley alias Louisa hat auch überhaupt keine Scheu - und kein Lektor ist offenbar mit einem Machtwort eingeschritten - , ein verkürztes Cézanne-Zitat zum Titel ihres Erstlings ("first in an empowering series") zu machen!

Während ich dies schreibe, ist dreimal mein Computer abgestürzt. Ganz ohne Stromausfall auf dem Hill. Morgen früh tue ich Abbitte unter dem Laxmibaum.

Samstag, Januar 11, 2025

seismic threat

Ein kalter Morgen beginnt. Die Energiebotschaft für Januar empfiehlt mir, mich zu zentrieren. Das tue ich, denn anders geht es nicht. Auf dem Trampolin. Beim Morgenqigong. In den letzten Tagen fiel es mir schwerer als sonst, da der linke Fuß schmerzte und ich leicht aus dem Gleichgewicht kam, keinen festen Stand hatte und mich einseitig bewegte, um dem Schmerz auszuweichen. Gleichzeitig fällt es mir vor dem Laxmibaum momentan viel leichter, meine Balance zu halten, denn der Boden rund um den Shivatempel wurde planiert und gepflastert, nun sind noch kosmetische Verschönerungsarbeiten im Gange. Also: zuentrieren, aufrichten, den Wirbelsäulenkanal stabilisieren, mit den Füßen fest "auf der Erde" verankert bleiben. Mein vietnamesischer Thay nennt das "connecting to Mother Earth".

Und wenn diese Erde selbst wankt und bebt? Wenn das Fundament bröckelt, der Boden unter meinen Füßen instabil ist und möglicherweise Risse bekommt? Obwohl die um den Tempel herum gerade alle neu verfugt und gekittet worden sind. Wenn wir, wie ich lese, in Kathmandu und Umgebung aufgrund "sich kumulierender Energien" unter ständiger seismischer Bedrohung leben? Über einer der seismisch aktivsten Zone dieser Erde? Unter uns, irgendwo in der Tiefe schrammt die Indisch an die Eurasische Platte - oder umgekehrt, was weder einen qualitativen noch quantitativen Unterschied macht. Es vibriert und ruckelt quasi nonstop und es ist nur eine Frage der Zeit, wann wir hier oben tüchtig durchgeschüttelt werden.   

Gleichzeitig empfiehlt die Energiebotschaft für Janur Gelassenheit. Hingabe. Vorfreude (auf mein eigentliches und wahres ICH), mit einem Wort: Vertrauen auf die "lichte Führung". Dankbar annehmen, was kommt. Auch das tue ich. Jeden Morgen. Wenn die Sonne kommt, wird es sofort warm.

Freitag, Januar 10, 2025

Die Außenspüle

Whaity kommt und geht. See-Gee wohnt unter der Außenspüle, wenn er sich nicht sonst wo herumtreibt. Ihre Kräfte messen die beiden in meinem bescheidenen Hinterhof auf dem Mäuerchen zum Nachbarhaus. Dort drüben bekommen sie auch Futter. Es ist eine magische Grenze. Über meinem weiß-roten Mülleimer. Manchmal wissen sie nicht, auf welche Seite sie ausweichen wollen. Whaity ist sehr mager, aber eine vornehme Dame. Sie lässt sich nicht mehr einschüchtern. Wenn sie Hunger vermeldet, bekommt sie Futter und ich schiebe Wache, bis sie fertig gefressen hat. Verjage derweil See-Gee mit angedeuteten Fußtritten oder brülle ihn an, falls es ihm einfallen will, sich mit Drohlauten und Drohgebärden einzumischen. Am besten versteht er mich, wenn ich ihn polnisch und laut anspreche: Wynoś się stąd! Uspokój się! Cicho bądź! 

See-Gee hat einen leeren Karton bekommen, ausgepolstert mit kleineren, auseinandergefalteten Verpackungen von Wasserkocher, Wasserkaraffe, Thermoskanne usw. Der äußere Karton hat einen Klappdeckel, unter dem sich der Kater für seine Attacken verstecken kann. Das perfekte Katzenhaus außer Haus: regen- und windgeschützt unter der Außenspüle auf dem gepflasterten Platz hinter der Küche.  

Ich aber bewege mich nun tagsüber nicht mehr von meinem Karmaholzschreibtisch unter dem Dach weg. Futter gibt es nur bei Sonnenaufgang (06:55 am Frühstück) und Sonnenuntergang (05:27 pm Abendbrot). Dazwischen mögen die Katzen draußen ihrer Wege gehen oder open-air-Konzerte veranstalten. Drinnen wird gearbeitet und kein Mensch reagiert auf herzzerreißende, Mark und Bein erschütternde Kampf- und Bettellaute.

Donnerstag, Januar 09, 2025

रुख कटहर

Ich muss nur die richtigen Leute fragen, dann bekomme ich die richtigen Antworten und gelang auf den richtigen Weg. In den richtigen Wald. Unter den  richtigen Baum! Das Holz, aus dem mein Schreibtisch gezimmert ist, heißt hier रुख कटहर - Katahar. Jackfruit, Jackfruchtbaum, Jakobsfruchtbaum oder Jakobsbaumfrucht - Artocarpus heterophyllus aus der Familie der Moraceae (Maulbeergwächse). Jackfrüchte sind essbar und vielleicht bedeuten diese Zeichen रुख कटहर auch Rukh Katahar (denn es sind zwei Wörter, soviel sehe ich an den waagerechten Strichen obendrüber), bereits geschälte, ev auch schon in scharfes nepalesisches Pickle eingelegte, zum Export als veganer Fleischersatz angebotene Früchte. Ich weiß es nicht, weil ich die Zeichen nur kopiert habe und sie weder entziffern noch deuten kann.

Auch die Samen sind essbar, gekocht oder geröstet im Curry, getrocknet zu Mehl gemahlen, als Backzutat, sollen sie tatsächlich wie meine Meldorfer Maronen schmecken! Und das Holz ist termitenresistent, was mich natürlich zusätzlich freut! Ein geschätztes, gut polierbares Möbel- und Musikinstrumenten-, in Südostasien ein begehrtes Trommelholz (Fasstrommeln, Zylindertrommeln, Sanduhrtrommeln werden daraus gebaut). In Kerala gilt der Jackfruchtbaum als heilig, denn in ihm wohnt die Göttin Kali, die den Hindus Wünsche erfüllt! Also Kaliholz in meiner Schreibstube! Und ein Laxmibaum um die Ecke. Kali ist angeblich aus der Stirn von Durga (siehe hier) entsprungen, verkörpert deren Zorn und erfüllt das Weltall mit entsprechend furchtbarem Gebrüll! Dampfablassen ist immer gut für das Karma, und den Schreibtisch! Wird das Holz hingegen gekocht - statt zu einem Schreibtisch zerhauen oder zu einer Zupflaute zersägt - gewinnt man den gelben Farbstoff, mit dem die Gewänder der buddhistischen Mönche gefärbt werden. रुख कटहर - Katahar - das interreligiöse Karmaholz!

Mittwoch, Januar 08, 2025

Holzweg

Ich suche den Baum, der auf meinen Tisch passt und begebe mich auf den Holzweg: Champ - Michelia Champaca, eine Magnolienart, liebt feuchtes Klima und bevorzugt gemäßigtes Höhenklima, wächst zwischen 450 und 1500 m in Ost-Nepal, Assam und Burma. Das Holz eignet sich hervorragend für Möbel, aber auch für Fenster und Türen, die Farbe variiert von hellem Gelb bis Olivbraun, somewhat lustrous with smooth feel. Devdar -  Cedrus Deodara, eine Zedernart aus dem West-Himalaya, lebt in der Höhe bis 3000 m, liebt die Felsen und fürchtet keine steilen Abhänge, ist immer oder fast immer grün. Das Holz wird vorwiegend für den Bau von Häusern dort oben verwendet. Gamar - Gmelina Arborea, aus der Familie der Lippenblütler, wächst sehr schnell, kommt in Indien, Burma, Assam vor, in Nepal im Terai (feuchte Niederungen) bis auf 1200 m, kann unter günstigen Bedingungen 25 Meter hoch werden, trägt essbare Früchte und Blüten und liefert helles, cremefarbenes, hartes, hochwertiges Holz für Gartenmöbel und Musikinstrumente. Haldu - Adina Cordifolia, ein Enzianartiger Laubbaum, in Nepal im Terai bis höchstens 1000 m, hat feingemasertes Holz, blassgelb, das sich für Möbel nur im Innenbereich eignet. Saj - Terminalia Alat oder Terminalia Tomentosa, wächst in Nepal bis auf 1300 m, ist in Indien weiter verbreitet, ein prachtvoller Baum, der bis zu 30 m hoch wird und gutes, festes Holz für den Hausbau abliefert, lässt sich klaglos zu erstklassigem Schichtholz oder Blockbrettern verarbeiten. Sal oder Agrath - Shorea Robusta, der wichtigste Holzlieferant in Nepal und Indien, sehr festes, dauerhaftes, stabiles Holz, geeignet für Menschenhäuser und Göttertempel. Satisal - Dalbergia Latifolia, Handelsname Rosewood, Indisches Rosenholz oder Ostindischer Pallisander, immergrüner Laubbaum, wächst im Terai, Bhabar und Duns. Gutes Schnitzholz, eignet sich für dekorative Zwecke, wurde leider massiv ab- oder ausgeforstet und kommt nur noch selten vor. Sisau - Dalbergia Sissoo, Futter-, Schutz- und Schattenbaum, beliebt für Möbel und Inneneinrichtung, geeignet für Schnitzereien. Tuni - Toona Ciliata, aus der Familie der Mahagonigewächse, kommt im Himalayagebiet bis auf 1400 m vor, in Kathmandu ist er in Gärten und entlang der Straßen oft zu sehen. An schattigen Standorten verliert er die Blätter lange nicht und ist fast immergrün. Ein attraktiver Laubbaum mit einer ausladenden Krone. Das Holz eignet sich für Möbel und für Türen, Fenster, Böden. 

Fazit: keiner dieser Bäume passt auf meinen Tisch. Ich lasse die Bäume, wo sie sind und gehe weiter auf meinem Weg. 

Dienstag, Januar 07, 2025

subterranean energy

Um 6:50 Uhr meiner, also nepalesischer Zeit bebt die Erde! Und wie! Ich merke nichts davon, weil ich gerade auf dem Trampolin mein Guten-Morgen-work-out absolviere und in so etwas wie Schwerelosigkeit schwebe. Erfüllt von stressabbauenden Endorphinen! Ich sehe das Teeglas auf dem Fensterbrett und wundere mich darüber, dass sein Inhalt plötzlich bedenklich auf und ab schwabbt. Zum Glück ist es nicht randvoll, denke ich noch unsinnigerweise. Auch die Vorhänge bewegen sich plötzlich, als ob alle Fenster sperrangelweit offen stünden, zu dieser frischen Morgenstunde, und herrlichster Durchzug wäre. Ich steige von der elastischen Sprungmatte und befinde mich auf wieder festem Boden. Der Spuk ist vorbei. Die Nachbarn haben sich mit den Kindern auf dem Parkplatz versammelt, eine entnervte Mutter wirft ihrem Sohn unsinnigerweise noch Schuhe hinterher. Dann betrachten alle ehrfurchtsvoll das Schwanken der unzähligen Blumenampeln auf dem Dach des letzten Hauses in der Reihe, sowie die eleganten Verneigungen der heiligen Bäume rund um den Shivatempel. W. schläft noch, oder ist gerade aufgewacht, macht aber keine Anstalten, in Panik das Haus zu verlassen, sondern textet mir vom zweiten in den dritten Stock: 5.3. 

Das erweist sich im Nachhinein als weit untertrieben, die US-Erdbebenwarte ermittelt eine Stärke von 7.1. Das Beben ist also powerful, Epizentrum in Dinggye [Bezirk Dingri in der Stadt Xigaze], in Tibet, die Konvulsionen sind nach Süden bis Indien spürbar, auch in Bhutan und natürlich bei uns, in Kathmandu, im Valley und auf dem Hill! Es gibt über 150 (!) Nachbeben der Stärke 4 und mehr, nach vorläufigen Berichten an die hundert Tote, fast doppelt so viele Verletzte, Tausende beschädigte Häuser, update hier.

Wir leben in bewegten Zeiten und bewegten Zonen. Hier treffen höchst gegensätzliche Energien aufeinander. Nicht nur in meinem Hinterhof am Katzenbuffet. Die Erde bewegt sich immerfort und die Kontinentalplatten reiben sich. Nichts von friedlicher Koexistenz! Plattentektonik ist nicht beherrschbar, die Kontinentaldrift nicht aufhaltbar. Seit dem 22. Dezember gab es in Nepal mindestens 10 Erdbeben mit einer Stärke über 4. Was darunter liegt, geht nicht in die Statistik ein. Das heutige ist das stärkste in der Region seit 10 Jahren. 

Vor 10 Jahren starb in Warszawa mein Meister, rip!

Montag, Januar 06, 2025

Klimbim

Heute ist Dreikönig bei den Christen und Raunachtende bei den esoterisch Überzeugten. Ich habe das Raunächteprozedere durchgezogen, konsequent wie in den letzten Jahren auch, obwohl rund herum und in mir drin alles radikal anders ist. Ich verehre frühmorgens Shiva und den Laxmibaum und meditiere zum Sonnenuntergang eine halbe Stunde ohne Kerzenlicht. Seit dreizehn Tagen. Ich nehme an, die Himmelstore sind auch tagsüber offen. Aber Zeit - Tageszeit, Jahreszeit, Sonnenzeit, Mondzeit - ist ja mittlerweile mehr als relativ. Außerdem überzeugt mich der erste sonnige Winter in Nepal, dass Dunkelheit und Hellsichtigkeit nicht unbedingt kompatibel sind. Dunkelheit ist jetzt fest mit Kälte konnotiert. Und Kälte bringt alles andere als Offenheit. Ich hatte einen einzigen entscheidenden und tröstlichen Traum, in einer Nacht, in welcher der 13 ist unwichtig, saß aber ansonsten immer im letzten Sonnenlicht am späten Nachmittag im Schneidersitz in der richtigen Ecke meines Arbeitszimmers im dritten Stock unter dem Dach am Boden und zählte! Die Zehner hinauf und die Zehner wieder hinunter bis ungefähr 100 und dann nur noch vorwärts. So verbannte ich erfolgreich alle störenden und störrischen, halsstarrigen, eigensinnig unnützen Gedanken, entleerte mein Hirn und zog heute - richtig! - das richtige Los für das bereits laufende Jahr. 

Das wünsche ich allen auch, die an diesen selbstgemachten Klimbim glauben. 

Sonntag, Januar 05, 2025

Karmaholz

Ich bestelle im Furniture House ein Sideboard zu meinem Schreibtisch. Eine Extraanfertigung nur für mich, für mein Arbeitszimmer. 54 x 54 x 60. Mit zwei Schubladen oben, weil ich Schubladen liebe. Und darunter einem Fach mit nur einer Tür. Zum Hineinstellen. Von Aktenordnern, Stehordnern oder Schnapsflaschen. Zeug, das nicht jeder sehen soll. Kostet knapp 9 heater. Ist aber für einen guten Zweck. Die zusätzliche Ablagefläche neben dem eigentlichen Schreibtisch bietet Platz für das zweite laptop. So dass ich switchen kann. Sowie für meinen altmodischen Holzkarteikasten, den ich schweren Herzens mitgenommen. Und in dem ich ab und zu blättere. Um mich zu erinnern an Dinge, die ich irgendwann notiert und hineinsortiert habe. Erst jetzt erfahre ich zum Beispiel, dass mein Schreibtisch und der dazugehörende Stuhl aus Karmaholz gefertigt wurden. Denn: wenn ich das Sideboard aus demselben Material haben will und in derselben Machart (will ich natürlich), kostet es einen guten heater mehr, als wenn es aus Spannplatten zusammengezimmert würde. Ich bezahle sofort, es ist Sonntagnachmittag, per Knopfdruck übers Smartphone. Solche Dinge geschehen, wie bereits mehrfach betont, hier in Sekundenschnelle. Geliefert wird in einer Woche. Auch an einem Sonntag. Das ist vollkommen iO. 

Was aber Karmaholz wirklich ist, weiß ich nicht. Und alle, die ich frage, können mir keine klare Antwort geben. Vielleicht das oder jenes. Tibetisches Design. Der Name eine Menschen, nicht eines Baumes. Vielleicht Feigenholz. Mangoholz. Magnolienholz. Ein Karmabaum wächst meines Wissens nirgends. Aber unter deutschsprechenden Tischlern gibt es das geflügelte Wort "Karma regelt das schon." Mein neuer Schreibtisch ist aus hellem, dezent gemasertem Holz, das sich warm anfühlt. Ein Tisch, an dem ich gerne sitze und den ich noch lieber anfasse. Hoffentlich der letzte und einzige Schreibtisch für den Rest meines Lebens!

Samstag, Januar 04, 2025

Katzenkrieg

Es geht heftig zu und her vor meinem Küchenfenster. Die eine spritzt Urin und Kot, die andere blutet. Und sie schreien und keifen und brüllen und wüten! Wahrscheinlich ist See-Gee doch ein Kater. Die Weiße mit den schwarzen Punkten nenne ich jetzt Whaity - von white wie weiß, verschmolzen mit wait wie warten. Sie verschwindet, zieht aber nicht den kürzeren! Denn sie kommt wieder und See-Gee gibt Töne von sich, die ich noch nie gehört habe. Warnt und röhrt. Brummt. Verteidigt sich und den ganzen Platz rund um meine Küche. Es gibt einen Hinterausgang, eine Außenspüle und ein separates Klo mit Dusche für die Maid und die Handwerker. See-Gee belegt den ehemaligen Badeteppich. Whaity schleicht trotzdem an. Haarsträubend nah. Sie sieht krank und zerzaust aus. See-Gee hinkt. Dann liegen beide den ganzen Nachmittag in sicherer Entfernung voneinander an der Sonne. Ruhe kehrt ein. Ich darf mich bloß nicht mehr zeigen. Futter gibt es erst am Abend wieder. 

Freitag, Januar 03, 2025

Der neue Mond

Der neue Mond liegt (!) nach Sonnenuntergang im hellen Abendhimmel genau unter der Venus. Seit gestern ist er wieder zu sehen und seit gestern wird rund um den kleinen Shivatempel aufgeräumt. Mit Spitzhacke zerschlug als erstes ein kräftiger junger Mann mit Rastalocken und in Slippers die alten Betonteile. Während ich noch Himmel und Erde verband oder trennte. Ein zweiter schichtete ebenso barfuß die Brocken auf der Seite auf. Heute wird Sand verteilt. Und eine Ziegelsteinmauer gemauert. Die schiefe Ebene soll begradigt werden, erklärt mir mein Mönch am Morgen, und aller Müll entfernt. Sprich: verbrannt. Tagsüber wärmen sich alle an der Sonne auf. Auch mein Joghurtmann. Und die Katzen. See-Gee hat merklich zugenommen und von einem Tag auf den anderen jede Scheu verloren. Sie miaut mich vorwurfsvoll an, nachdem sie - entgegen meiner mütterlichen Ermahnungen - gierig zwei Portion verschlungen hat. Sicherlich würde sie durch das Fenster in die Küche einsteigen, wenn ich ihr das erlauben könnte. Ihre Zähne sehen gesund aus, die Augen etwas verkrustet und das Fell ist bestimmt verlaust. Ich wage nicht, sie anzufassen. Mein Carusotrauma. Sie putzt sich und ich bleibe stur. Ich war immer schon eine konsequente Futterrationiererin.   

Donnerstag, Januar 02, 2025

Mero naam [naam]

Mero naam [naam] ho - Mein Name [bitte hier den Namen einsetzten] ist. 

Bei der Begrüßung oder Vorstellung (Introduction) wird der Name, das Alter, der Wohnort und die Nationalität  abgefragt. Mero naam Judith ho. Ich heiße Judith oder wörtlich: Ich Name Judith habe. Mero naam Judith ho.  

Nach dem Alter wurde ich schon öfters gefragt. Im Supermarkt an der Kasse zum Beispiel, ganz ohne Alkohol im Korb! Das Land wollen alle wissen. Immer und überall. Ich flunkere auf Nepali: Ma Germany ha. Die wichtigen Wörter sind globalized

Um 13:02 bebt die Erde und ich merke nichts davon. Ich sitze eh auf dem Dach. Epizentrum in Majhitar in Sindhupalchok, Stärke 4.8 - die Erschütterungen sollen auch im Kathmandu Valley spürbar sein. Im Gate College verlassen die Studierenden die Räume, in denen sie sich gerade aufhalten und laufen ins Freie. Die unten in den Garten, die oben auf die Dachterrasse. 

Mittwoch, Januar 01, 2025

Ein ganz normaler Tag

Nach einer ganz normalen Nacht beginnt ein ganz normaler Tag. Ich absolviere mein Morgentraining auf dem Trampolin und überbeanspruche vielleicht einen der Großzehenstrecker am linken Fuß. Jedenfalls tut es weh beim Treppabsteigen. Ich laufe trotzdem zum Shivatempel und lasse mich von der Sonne aufwärmen in meiner Ausrichtung nach Osten. Absolviere unverdrossen, wie seit Jahren die 8 Übungen des Shaolin Qigong BaDuanJin. Kämpfe ein bisschen mit dem festen Stand auf sandigem Untergrund. Und mit dem Gleichgewicht, da ich den linken Fuß spontan schone. Laufe weiter auf die Golfutar und lasse vom Konditor den Henkelmann mit open Dahi auffüllen und mir zwei Packungen Erdnusskekse über die Theke reichen. Und kaufe endlich - mein neues Jahr beginnt mit guten Vorsätzen - zwei Zahnputzbecher. In Form von zwei Trinkbechern. Die Shuttershopkeeper haben meist die patenteste Lösung für meine mickrigen Nöte parat. Plastik will ich partout nicht, Glas oder Keramik hat er nicht. Also steel. Stainless steel. Unverwüstliche Becher, die stabiler stehen als ich, und aus denen man trinken kann. Oder in die man etwas hineinstellen kann, ohne dass sie gleich umkippen. Bleistifte oder Zahnbürsten. Happy New Year! 

Zurück am Schreibtisch räume ich auf. Dateien und Datenmüll, fülle Papierkörbe und leere sie kontinuierlich, verschiebe den mir heute unverzichtbar scheinenden Rest, ganze Jahrgänge, die schon morgen überflüssig sind, in eine externe Festplatte, die ich in der Schublade verwahre. Ich liebe Schubladen und mein neuer Schreibtisch hat zwei! Am Nachmittag trinken wir Kaffee auf dem Dach an der Sonne. W. zum ersten Mal in seiner neuen Brille mit aufsteckbarem Magnetsonnenschutz, und essen den Rest des Orangenkuchens auf. Lecker! Schmeckt nach dem Herzen Europas, aus dem ausgerechnet dieses eine Wort (lecker) für immer verbannt werden soll. Aber das gemeine Volk spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Ich lerne von Barsha (Nepali for beginners) bereits in der ersten Lektion, dass das Verb in ihrer Sprache immer an letzter Stelle steht.