Heute ist noch mehr Feiertag. Der allerwichtigste Tag von Tihar. Sagen die einen. Und die anderen sagen, Tihar sei gestern zu Ende gegangen und Bhaitika - der Geschwistertag, eigentlich der Tag, an dem der (jüngere = भाइ bhai) Bruder von der (älteren = दिदी didi) Schwester Tika empfängt - gehöre gar nicht mehr zu Tihar. Wie auch immer. Legenden gibt es ohne Ende. Bis auf eine, verehren, bewundern, verherrlichen alle Schwestern ihre Brüder, indem sie ihnen eine mehrfarbige Tika auf die Stirn malen, dabei Segenswünsche aussprechen und dem sunnyboy Süßigkeiten schenken. Traditionell soll die bhaitika von sechs bis zu zehn Farben appliziert werden. Wie eine doppelte oder dreifache Ampel: weiß, gelb, violett, rosa, grün, mehrere Blautöne von himmel- über hell- und dunkelblau bis Indigo und Lapislazuli), orange, rost- oder feuerrot. Siehe hier. Die unglücklichste Schwester im ganzen Lande ist Pushpa Joshi. Ihr Bruder Bipin wurde vorgestern am Ufer des Mahakali kremiert.
Alle glücklichen Geschwister sollen sich heute so gegenüber setzen, dass die tikaspendende Schwester nach Osten guckt, der tikaempfangende Bruder nach Westen. Diese Sitzordnung folgt der derzeitigen Position des Mond in der Waage. Ich weiß nicht, ob sie die Plätze tauschen, wenn der Bruder Segenswünsche, Geschenke und Tika erwidert.
Die beste Zeit ist 11:39 am, das hat das ZK festgelegt. Präsident Paudel empfängt pünktlich zu dieser auspicous time Blumengirlanden und Tikas von seinen Schwestern. Alle andern dürfen vorher und nachher, den lieben langen Tag dranbleiben. Ohne Schaden! Um meinen bescheidenen Shivatempel versammeln sich seit Sonnenaufgang Brüder und Schwestern, die wie Verliebte auf den Bänken unter dem Laxmibaum und rund um den Bodhibaum sitzen und tuscheln. Vielleicht sind es tatsächlich Verliebte, die sich als Geschwister ausgeben und so öffentlich ohne Schelte turteln dürfen. Denn: wer keine Schwester oder keinen Bruder hat, der oder die soll das Ritual mit jeder beliebiggeliebten Person vollziehen. Hauptsache niemand geht leer aus. Irgendwann springt das Girl unter meinem Fenster auf, holt von Shivas Lingam ein bisschen Zinnoberrot - andere Farben bietet Shiva hier nicht an - auf die Zeigefingerspitze und tupft es dem Boy lachend mitten auf die Stirn. Sie umarmen und küssen sich und ziehen zufrieden ab. So geht das nun schon seit Stunden.
Mich hingegen beehrt, während ich auf dem Dach mein erstes Frühstück löffle, big brother aus gebührender Distanz. Ein kräftiger Affenbulle inspiziert die Dächer der gegenüberliegenden Häuser. Wahrscheinlich die Vorhut einer ganzen Bande. Er springt vom Laxmibaum auf das erste Haus an der Ecke, klettert behende die Fassade hoch und setzt über. Massig. Perfekt. Ohne sein Ziel je zu verfehlen. Von einer Terrasse auf die nächste. Steigt zwischendurch ganz hoch, auf die Dächer, die mehrstöckig sind, und kommt schnell wieder herunter. Dort oben gibt es gar nichts zu stibitzen. Am Eckhaus am anderen Ende denkt er lange darüber nach, ob und wie er wieder auf die Straße hinunter kommt. Die Gegenüber-Nachbars-Ehemänner sind alarmiert und treten mit Stöcken bewaffnet verschlafen auf die Dächer aus Türen, die sonst nur den maids mit ihren Wäschekörben und कुचो - kuco, dem nepalesischen Allerweltsbesen - vorbehalten sind.

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