Donnerstag, Juli 31, 2025

Die Göttin Bhumi

Die Straße, von der schon das eine oder andere Mal die Rede war, wird immer noch gebaut. Nachdem wochenlang nichts geschah und alle Schulkinder über sorgfältigst ausgelegte Steinbrocken und quadratisch darüber gespannte Eisenstäbe (= Armierung oder Bewehrung, Vorbereitung für die Asphaltierung) klettern mussten, kamen heute wahre Heerscharen von Arbeiterinnen und Arbeitern, die sich zuerst umständlich an- oder umkleideten. Dann wurde geschippt und gekarrt, unten von Hand Beton gemischt und auf dem Rücken die Steigung über die holperige unfertige Straße hochgeschleppt, ausgekippt, verteilt und flach gewalzt. Mindestens so viele Menschen und Hunde guckten zu, wie die anderen emsig wie Ameisen ihr Tagewerk verrichteten.  

Ich habe gelesen, dass vor Beginn von Bauarbeiten die Erde um ihren Segen gebeten werden soll, indem eine Bhumi Puja abgehalten wird. Die hinduistische Zeremonie zum Zeichen des Respekts und der Dankbarkeit allen guten und bösen Geistern des Landes gegenüber. Nur so wird das Bauvorhaben von Erfolg gekrönt sein, die neue Straße unter dem Shivatempel keine Rissen bekommen und der Hang nicht weiter abrutschen. 

भूमि - Bhumi ist die Göttin der Erde, die Mutter von Sita - सीता, der Göttin der Ackerfrucht.

भुइँ - bhuim - lerne ich heute, ist die Erdoberfläche, Grund und Boden. भुइँ तला das Erdgeschoss eines Hauses, भुइमा - bhuima - jeder weitere Boden, also jedes weitere Stockwerk mit entsprechendem Zählzusatz. Alles hoffentlich im Sinne Bhumis erdbebensicher aufeinandergestapelt. 

Mittwoch, Juli 30, 2025

Mittwochsbeben

Vor der russischen Halbinsel Kamtschatka bebt die Erde. Und wie! 8.8! Tsunamiwarnungen laufen sofort rund um den Pazifik, Millionen Menschen evakuiert, alle Flüge von und nach Maui sicherheitshalber gestrichen. Und so weiter und so fort. Zahlreiche Nachbeben, ebenso zahlreiche Vorbeben. Der Vulkan Kljutschewskaja Sopka bricht aus, der höchste aktive Vulkan Eurasiens. Fachleute nennen es ein "Subduktionszonen-Megathrust-Erdbeben". Dabei kracht eine Erdkrustenplatte an eine andere und taucht nach der Kollision zur Schadensbegrenzung unter dieser ab. Könnte hier jederzeit auch passieren. Die Schäden halten sich dort in Grenzen und die Warnungen erweisen sich wunderbarerweise als überflüssig. 

Dienstag, Juli 29, 2025

मेरो मुटुमा

Manche Dinge sind sehr einfach. Gurubaa sagt, alles sei einfach. It's very easy! Sein geflügeltes Wort. 

Zum Beispiel: मेरो मुटुमा - mero mutuma. In meinem Herzen [bist / sitzt / bleibst Du für immer und ewig].Mero mutuma  Reicht vollkommen aus für jede Liebeserklärung. Dass kann sogar jeder foreigner problemlos aussprechen. Mero mutuma. मेरो मुटुमा. Wie mans schreibt. Diese Erklärung kann und darf natürlich blumig und elegisch nach allen Richtungen zerdehnt und ausgeschmückt werden. Je nach Wortschatz und anderen Schätzen. Muss aber nicht. 

Montag, Juli 28, 2025

Mittagshitze

Am Abend fängt es endlich an zu regnen. Ich hätte nie gedacht, dass ich während der Regenzeit ständig sehnsüchtig auf Regen warte. Nun sind auch die Affen in unsere gut geschützte Siedlung eingedrungen. Eine ganze Affenbande. Der Alte zuvorderst, die Jungen hinterher. Behende. Vor dem Regen. Am heißen Mittag. 

Sonntag, Juli 27, 2025

Nochmals ra-cluster

Noch ein bisschen Biologie. Haustierkunde. Wildtierkunde. Nagetierkunde. Rund um meinen Shivatempel tummeln sich Streifenhörnchen (Tamias) oder Burunduks (Tamias sibiricus), gestreifte Backenhörnchen, Baumstreifenhörnchen (Tamiops), asiatische Streifenhörnchen, Himalaya-Streifenhörnchen (Tamiops mcclellandii oder Tamiops macclellandi). Vielleicht auch Orangebauch-Himalayahörnchen (Dremomys lokriah). Chipmunks. Wie auch immer sie heißen, sie führen hier ein gutes Leben und verputzen täglich munter all die Opfergaben, frische Früchte je nach Saison, immer geschält und mundgerecht zerkleinert, ungekochte Reis-, Weizen- oder Maiskörner, Erdnüsse, Walnüsse usw., usf.

Der Mönch sagte mir einst ganz am Anfang, das seien mouse. Mir war sofort klar, dass das weder Spitz- noch Wühlmäuse sind. Mittlerweile weiß ich, dass der Volksmund sie liebt und  चरी मुसी (chari muso) nennt. Wörtlich Vogelmaus. Ein Unding. Die Streifenhörnchen sind die kleinsten aus der Familie der squirrels, und die flinksten. Oder aber धरे मुसी (dhare muso), gestreifte Maus. Das passt eher. Erst Guruba liefert mir den Fachbegriff, den ins Nepali phonetisierten lateinischen Namen: लोखर्के (lokharkeh). Zufällig und nebenher. Er weiß nichts von meinen Nagetiervorlieben. Als Beispiel für "ra-cluster"!

Samstag, Juli 26, 2025

ताङतिङ

Das neue Zauberwort heißt ताङतिङ

Ein schönes Wort, die Konsonanten wiederholen sich symmetrisch, aber nicht langweilig, sondern in gebührender Abwandlung. Mal ein Knüppel (police-stick - wie gurubaa es nennt) rechts, mal links, mal mit tent, dem Zeltdach obendrüber, sodass aus dem Knüppel ein ungesalzener Hering wird - oder zu gut deutsch ein Verankerungsstift - mal ohne. Tangting. Unter der Annapurna. Hier zur Ansicht mit Schnee, zum Kühlen aller offenen Poren. Wir warten immer noch auf Regen.   

Freitag, Juli 25, 2025

Neumond

Es ist der neunte auf dem Hill. Vielleicht schlägt nun das Wetter endlich um. Regenzeit habe ich mir tatsächlich anders vorgestellt. In der Provinz Madesh, im Terai, südlich von uns, also Bagmati, gibt es bereits eine gravierende (Trink-)Wasserkrise. Die lokalen Behörden erklärten vor zwei Tagen die ganze Provinz zum Katastrophenanfälligen Gebiet. Für die nächsten drei Monate. Because of lack of rainfall. Weil kein Regen fällt. Der Grundwasserspiegel sinkt dramatisch. Quellen versiegen. Reisfelder können nicht bestellt werden, sind drought-stricken - von Dürre heimgesucht. Trinkwasser wird der Bevölkerung über Tanks angeliefert. Auch wir schwitzen nonstop, die Haut fühlt sich großporig und rein an.

Donnerstag, Juli 24, 2025

बाघ चाल

बाघ चाल -  Bagh-chal. Das Tigerspiel. Eigentlich das Tiger-Ziegenspiel. Vier Tiger gegen 20 Ziegen. Ein Strategiespiel für zwei Spieler. Also für uns. Die intellektuelle Anforderung ist ungleich verteilt. Also wie bei uns. Die sprachliche auch. Dito. Bagh lernte ich schon in Thamel. Für Ziege kenne ich mittlerweile mehrere Wörter. Vom kastrierten Ziegenbock bis hin zum Unschuldslamm. Als ich Gurubaa fragte, wie ich erkenne, ob der Bock kastriert ist oder nicht, antwortete er: you have to ask the owner! Natürlich! So eine Frage stellt nur die Großstadtoma. Auf dem Dorf weiß jeder Bescheid und ich käme mir so dämlich vor, wie die Koreanerin, die den Heimatfilm über Wacken drehte, wenn ich einen nepalesischen Bergbauern nach der Fortpflanzungsfähigkeit seiner Tiere befragen müsste.

Mittwoch, Juli 23, 2025

Nanglo

Heute feiern die Newari Ganthemangal oder Ghantakarna Chaturdashi. Ghantakarna soll ein brutaler Dämon gewesen sein, der Jagd auf Menschen machte. Wie immer, ist es mit den bösen Geistern so eine Sache. Sie sind zwiespältige Kreaturen in der hinduistischen Gedankenwelt. Oder die hinduistische Gedankenwelt ist zwiespältig. Einerseits soll heute Ghantakarna vertrieben werden, andererseits wird Gathamuga in Bhaktapur aufs Schönste gehuldigt. Die Uneinheitlichkeit der Namen tut nichts zur Sache.

Ghanta ist die Glocke, die Tempelglocke. Oder die Stunde. Wem das letzte Stündlein schlägt ... und karna oder kaan(a) (कान) das Ohr. Mit dem "r" ist es auch so eine Sache. Es kommt in fünferlei verschiedenen graphischen Zeichen verkürzt in common and not common consonant clusters vor, und wird ausgesprochen oder auch nicht. Gurubaa hat mir heut früh die schönsten Blumensträuße an die Wand gemalt.

Aber zurück zum Teufel. Um ihn loszuwerden, stellen die Newaris Sinnbilder, aus Stroh und Bambusblättern geflochtene Attrappen Ganthakarnas an allen Straßenecken auf oder fahren sie auf Wagen durch die Stadt. Wie Vogelscheuchen. Mit Glocken statt Ohren. Wer nicht hören will ... Als Gesicht dient ihnen ein Nanglo. Nanglos verschiedenen Durchmessers sind unverzichtbare Teller, Schalen, Gefäße in der Küche. Warum ausgerechnet sie die Dämonsfratze repräsentieren, verstehe ich nicht.

Im übrigen beginnt heute der Herbst. So der Volksglaube. Denn nun soll die Zahl der Moskitos nicht mehr zunehmen.

Dienstag, Juli 22, 2025

Gecko

Irgendwann wunderte sich W., warum es keine Geckos rund um unser Haus gibt. Kurz darauf sichtete ich ein winziges Exemplar unter dem roten, zusammengerollten Elektrokabel, das, wie mir die landlady erst nach Abschluss der Renovierungsarbeiten erklärte, für alle Fälle und möglichst immer mehr oder weniger ordentlich zusammengerollt an der Hausecke liegen bleiben soll. Falls jemand Strom braucht. Ich nicke, wie immer, wenn ich nicht nachfragen will. Es gibt mehrere ordentliche (an- und ausschaltbare) Außensteckdosen, die von den Handwerkern rege genutzt wurden. Vor allem zum Aufladen ihrer mobiles. Der Mann hingegen, der tagelang nonstop den Presslufthammer über meinem Kopf betätigte, holte sich den Strom unten vom Lichtschalter des Bedienstetenklos. Sein Kabel war lang und hing immer wieder von einer anderen Ecke über die Fassade. Nun also ist das Kabelgewühl vor dem Wohnzimmerfenster so etwas wie Geckos Nest. 

In einem unbedachten Moment wischte die winzige Echse (das Reptil?) aber durch das offene Fenster oder die offene Tür ins Hausinnere. W war happy. Ich besorgt. Er sagte, Geckos gehören ins Haus und bringen Glück. Sie tun uns Menschen nur Gutes, jagen Insekten wie Moskitos, Spinnen, Fliegen. Seither leben wir also mit Hausgeckos. Einen zweiten, noch winzigeren habe ich eines Nachts in der Küche entdeckt und der erstre versteckt sich gekonnt. Hat aber sichtlich zugenommen. 

Pranai antwortete auf meine Frage, was alle antworten, die zu faul sind, nachzudenken. Gecko heißt auch in Nepali Gecko, also नेकाे. Gurubaa hingegen holt am Morgen aus. In Dhangadhi, wo er geboren wurde, we call them भित्ती (vhitti), but officially you should use the word माउसुली (mausuli).

Montag, Juli 21, 2025

Naspati

Zurück in Kathmandu, zurück unter meinem Laxmibaum, zurück beim kopflosen Shiva. Rundum lauter Naspatis. Die Obstshutters sind vollbeladen mit Mangos und नाशापात - pyrus pyrifolia. Das sind die kugelrunden, derzeit noch steinharten Nashibirnen, die ich einst in meinem Dithmarscher Garten zuhauf erntete. Aber deutlich später im Jahr. Das Angebot auf den Straßen der Hauptstadt ändert sich immer von einem Tag auf den anderen. Ich habe gelernt, zuzugreifen. Wer weiß, was morgen kommt.

Sonntag, Juli 20, 2025

Lapsi Tree

Nagarkot, day 2. Wir schlafen in einem Urwald, umgeben von Lapsi- und anderen großblättrig und großzügig belaubten Bäumen. Der Sunrisewalk fällt ins Wasser. Es regnet, wie in der Regenzeit üblich. Auch vom Sonnenaufgang ist nichts zu sehen, dichter Nebel verhüllt die Täler und die Hügel, die wir gestern im Abendlicht noch bestaunen konnten. 

Die Lapsis - Choerospondias axillaris oder nepali hog plum - haben feingliedrige Blätter. Sie tanken Kraft während des Monsoons. Wir sehen weder Früchte noch Blüten. Befinden uns mittendrin in deren Wachsumsphase. Alles erneuert sich gerade rundum. Die weiblichen Bäume tragen mehr Früchte als die männlichen, sagen die Lapsibauern, ansonsten ist nicht viel Unterschied auszumachen. Ab September beginnt die Ernte. So lange müssen wir uns gedulden.

Samstag, Juli 19, 2025

Nagarkot

Wir sind zum Mittagessen eingeladen und fahren früh los, immer nach Osten. Ich trage meine Wanderschuhe und will zur Verdauung die Gegend erkunden.

Freitag, Juli 18, 2025

Schallmauer

Monsun in Kathmandu. Es ist sehr heiß und sehr trocken. Kein Regen. Pech in Porto Sant'Elpidio. Adriaküste. Sehr heiß und sehr windig. Felix Baumgartner kracht mit seinem Fluggerät, einem Motor-Paraglider an eine Holzhütte neben einem wahrscheinlich angenehm temperierten Swimmingpool im Feriendorf "Le Mimose del Club del Sole", und ist tot. Wiederbelebungsversuche scheitern. Ist das nicht unfassbar absurd? Er überlebte den Sprung aus der Stratosphäre und durchbrach als erster Mensch im freien Fall die Schallmauer. Er war einer, der nur auf Aufmerksamkeit und Quoten setzte. Nun hat er sich selbst ein allerletztes Mal getoppt.

Donnerstag, Juli 17, 2025

Saune Sankanti

Das ist der neue Monat. साउन - Saun. Auf meinem Wandkalender steht, nachdem ich das Blatt umgeblättert habe, etwas anderes, für mich vorerst unentzifferbar. श्रावण - Shrawan, erklärt Gurubaa und sagt, old calendar system, old writing system, old ... Ich habe aber erst vorgestern den popular calendar gekauft! Er lacht. 

Heute ist Saune Sankanti. Saun oder Shrawan ist Lord Shivas Monat, der wie berichtet, im samudra mantha (ocean of milk) schläft. Angeblich hat er durch seinen kosmischen Schlaf die Welt von der zerstörerischen Wirkung des halahal poison errettet, indem er, nachdem er es höchstselbst konsumiert hatte, sich schlafen legte. In Gosaikunda. In Nepal. Wo sonst?   

Saune Sankanti gilt auch als Tag der Hautunreinheiten - luto falne di. Die extreme Hitze und der Dauerregen im Monat Saun (bisher nichts davon zu merken) schädigen die Haut der Menschen, Ausschläge, Herpes, Krätze und dergleichen mehr treten auf. An Saune Sankanti widmen sich vor allem die Frauen der Pflege ihrer Haut, sie steigen in den nächstgelegenen Fluss, nehmen ein reinigendes Bad, schrubben sich mit Salzen und Kräutern: may this day deliver healthy skin and pure heart, may you smile and chant to Lord Shiva!

Wir sind heute 10 Monate in Nepal. Das ist länger als eine Schwangerschaft. Und auf dem Kalenderblatt entziffere ich die Anzeige eines Zementherstellers, der damit wirbt, dass sein Zement für immer und ewig hält!

Mittwoch, Juli 16, 2025

Der längste Monat

Alles dauert hier länger, die Tage, die Nächte, die Wochen, auch manche Monate. Ashad geht heute, am 32. Tag zu Ende. Ich habe einen bunten Wandkalender (the popular one: सजिलो पात्रो २०८२ ganz ohne englische Buchstaben) gekauft und neben das zweite Whiteboard an die Wand genagelt. Mit der Zeit ist es, wie bereits mehrfach gesagt und betont, eine schwierige Sache. Aber neben der kalendarischen Ordnung hängen nun praktischerweise auch die Zahlen von 1 bis 30, 31 oder eben 32 vor meinen Augen. Um die Wochentage oder hinduistischen Anweisungen lesen zu können, muss ich allerdings aufstehen und näher hintreten. Lesen kann ich mittlerweile alles.

Dienstag, Juli 15, 2025

Mütter

In Kathmandu ist alles anders. Es hat seit zwei Tagen nicht mehr geregnet, kein einziger Tropfen fiel aus den Monsunwolken, und ich werde wohl oder übel meine kleine Baumschule nach dem Abendessen selber wässern müssen. Am Nebentisch sitzt ein gutes Dutzend gutgelaunter Frauen, alle geschminkt, festlich angezogen, mit smartphone, Kindern, kleineren oder größeren. Die eine stillt ihren Sprössling noch, obwohl der, nach meinem Augenschein, nicht mehr an die Brust der Mutter gehört. Aber so hält er still, während sie am Bierglas nippt und nach rechts und nach links lacht und schäkert. Kein Mann, kein Vater, kein Opa, kein Cousin, kein Bruder weit und breit. Hier funktioniert Chhaupadi schon lange nicht mehr. Es gibt keine verlassenen Schafställe weit und breit. Auch deshalb ziehen es die Töchter wohl vor, nach Kathmandu zu ziehen. Und hier müssen sie dann bleiben. Sie dürfen nicht ohne das Einverständnis des Gatten mal einfach so mal aufs Land zu den Eltern fahren. Und weglaufen schon gar nicht! Kathmandu ist nicht Nepal und Nepal ist nicht Kathmandu. Das sagen ausnahmslos alle. Ich mittlerweile auch.

Montag, Juli 14, 2025

Frieden

Tom verrichtet sein Tischgebet auf unserem chinesischen Türvorleger. Neben den Zeichen für Frieden. Da ist er vor dem Regen geschützt, der zuverlässig immer vor dem Abendessen einsetzt. Und er ist vor dem Hungertod sicher, der langsam und quälend sein kann. Der Kater braucht nicht einmal mehr zu betteln oder zu heulen. Einer von uns beiden serviert zuverlässig immer rechtzeitig das Futter.
Ich musste ihn durch den Türspion fotografieren, so adrett wie er da lag. Dazu sind Türspione da: für unbeobachtetes Beobachten. Er wäre sonst sofort freudig aufgesprungen. Ich hätte seine Ruhe gestört und die Ästhetik, den rotgoldenen Schnitt aufgehoben.

Sonntag, Juli 13, 2025

Der längste Fluss

Ich lese Karnali blues zu Ende. So viele heulende männliche Protagonisten sind mir noch nie in einem literarischen Text begegnet. Aber kein Wunder, wenn ein Sohn seinen sterbenden Vater begleitet. Lauter Abschiede, Adamsäpfel, trockene Lippen, rote Augen und blaue Gesichter. Der Karnali River ist der längste Fluss Nepals, erklärt mir Gurubaa am Morgen. Auch er ist dort aufgewachsen. Auch er hat im Karnali River schwimmen gelernt. Auch er wird nie untergehen. 

Samstag, Juli 12, 2025

Chhaupadi

Gestern ist eine junge Frau an einem Schlangenbiss gestorben. In Kanchanpur, im letzten Zipfel des Landes im Südwesten, noch hinter - von mir aus gesehen - Kailali und außerhalb des Einzugsgebiets des Karnali Rivers. Schlangen gibt es überall, giftig sind sie nicht alle. Pech gehabt, mag man denken. Das kommt vor. Die Tragik liegt hinter der Geschichte und vor der Schlange. Fast wie im Garten Eden. 

Immer noch werden menstruierende Frauen und junge Mädchen in sogenannte chhau goths (menstrual sheds - Menstruationsschuppen) gesperrt, wie Vieh. Sie gelten als unrein und können abseits von der Familie, ohne jeden Schutz in aller Ruhe vergewaltigt oder von wilden Tieren angefallen werden. Ein junger Arzt rechtfertigte kürzlich Chaupadi - den rituellen Bann der Unsauberen. Menstruierende Frauen dürfen weder in die Küche noch in den Tempel. Sie seien während ihrer Tage geschwächt und bräuchten Ruhe. Die anstrengende Arbeit im Haus oder auf dem Feld verrichteten derweil andere weibliche Familienmitglieder.

Aber sie sterben einsam und verlassen an unbehandelten Schlangenbissen, an Entkräftung, Unterkühlung, Überspülung, Hunbger, Durst und psychischem Stress. Chhaupadi steht mittlerweile unter Strafe, aber der Staat und die Justiz kommtennicht gegen die Tradition an. Zerstörte chhau goths (um dem Ganzen ein Ende zu machen) werden im Nu neu errichtet. Besagter Schuppen wurde zwar gestern noch von den Angehörigen abgefackelt. Aber nicht aus Trauer um die Tote - Mutter, Tochter, Gattin, Schwester - sondern aus Angst vor der Schlange.

Freitag, Juli 11, 2025

samudra

Voll wurde der Mond über Kathmandu erst heute Nacht, als wir alle schliefen. Nach dem Aufwachen muss ich in der Früh als erstes meinen ersten Test schreiben. Gurubaa will sicher gehen, dass ich etwas gelernt habe in den letzten vier Wochen, und nicht nur viel geschrieben. In Thamel war das umgekehrt. Wir schrieben die ganze Zeit wie wild unsere Hefte voll, eines nach dem anderen. Und schwammen in einem Meer missverständlicher Wörter, versanken in nicht hinterfragbaren Konstruktionen, behelfsmäßigen Buchstaben, zerbröselnden Eselsbrücken über schwindelerregenden Abgründen. Zusammengefasst umgab uns im Chhaya Center ein ocean of words - शब्दको सागर.  Sagar - सागर ist der Ocean, das Meer, die See - the Sea. In den Songs, die uns Pranai jeweils freitags abspielte, versanken alle Liebhaber in einem Meer ungestillter Liebe, in einem Meer der Tränen, Träume und Sehnsüchte. Ich mag lieber das Wort samudra - समुद्र. Es klingt in meinen Ohren besser als sagar und schlägt in meiner Seele beruhigendere Wellen. 

So weit bin ich also gekommen in einem Monat: ich stoße unter Synonymen auf Lieblingswörter. Ich  entwickle Vorlieben und finde endlich ein Gespür für diese Sprache! Nein, die Nordsee vermisse ich immer noch nicht. Ich schwimme jeden Tag in unserem community-eigenen swimming-pool.

Donnerstag, Juli 10, 2025

Guru Purnima

Der heutige Tag ist allen spirituellen und akademischen Lehrern gewidmet. Am Vollmond im dritten Monat des nepalesischen Jahres, आषाद (Ashad) verehren wir alle unseren höchstselbst gewählten Guru, ich मेरो प्यारो गुरुबा ! Purnima Tithi beginnt mit dem vollen Mond am Nachthimmel (es regnet und ist bedeckt) um 01:36 am und endet morgen Nacht um 02:06 am, local time. Die Tage und Nächte sind hier meist länger als anderswo.

Auf dem Dach gegenüber wird mittendrin, am hellen Mittag und vor dem nächsten Monsunschauer, die kleine Goldfigur - vielleicht der Gorkha-Krieger-General Thapa oder ein hinduistischer Beschützergott? - mit viel Hingabe mit neuer Goldfarbe überpinselt. Es ist der krönende Abschluss aller Außenmalerarbeiten. An dieser einen Hausfassade. Die nächste wartet schon links davon!

Mittwoch, Juli 09, 2025

Miteri bridge

Andernorts wüten Fluten. Gestern wurde die chinesische-nepalesische Freundschaftsbrücke (Miteri bridge) am Grenzübergang Rasuwagadhi weggespült. Mit der Brücke rissen die Fluten auch mehrere geparkte oder fahrende LKWs, Autos, Menschen und vollgeladene Container mit.

Ausgelöst hat die Katastrophe wohl ein unterirdischer Gletschersee auf der tibetischen Seite der Grenze. Grenzüberschreitende Wetterwarnungen sind in der Gegend nicht üblich. Und so trafen die verheerenden Wassermassen Nepal mitten am Nachmittag vollkommen unvorbereitet und überraschend.

Dienstag, Juli 08, 2025

zahlen

Tagsüber regnet es nicht und die Luft ist so rein wie an der Nordsee. Nachts schüttet es zuweilen sintflutartig, dann ist die Sicht am Morgen umso besser. Und die Farben umso frischer. Ich lerne nun Zahlen. Schreiben und lesen und zählen. 

Montag, Juli 07, 2025

regeln

Wieder Glück gehabt - dass ich nicht auf meiner früheren Rennstrecke unterwegs bin. Der pretender, former king Gyanendra Shah hat heute Geburtstag. Die Presse ist sich nicht einig über das Alter des Ex-Monarchen. Die einen schreiben 79, die anderen vom 74. Tatsächlich dürfte er nun 78 Jahre alt sein. Kein Alter für die heutige Zeit, aber hier ist alles relativ, was mit Zahlen zu tun hat. Am Nachmittag versammeln sich einige Hundert Gratulanten vor seinem derzeitigen Wohnsitz. Mit Blumen und Sprüchen. Das kann ihnen nicht verübelt und nicht verwehrt werden. Mindestens ebenso viele Polizisten bewachen das Ganze. Und regeln den Verkehr.

Einer der ersten Pranaisätze war राजाले पनि नियम पालना गर्नुपर्छ - Rajale pani niyam palan garnuparcha -even the King has to follow the rules.

Sonntag, Juli 06, 2025

ksheer sagar

Heute wird Tulsi geplanzt, oder Tulasi  - Ocimum tenuiflorum - das heilige Basilikum der Hindus. Auch ich habe in meinem bescheidenen Hinterhof zwei Töpfe mit Basilikum stehen! Allerdings schon zum Verzehr geeignet, es schmeckt - wie so vieles hier - viel intensiver, frischer und besser als irgendwo sonst.

Am Wegesrand, außerhalb unserer gated community, hat jemand sein unbescheidenes Opfer platziert. Denn heute - am 11. Mond-Tag des zunehmenden Mondes im Monat Ashad - Ashad Shukla Ekadashi oder Harishayani Ekadashi - wird Lord Vishnu gedacht. Das Tulsi gehört ihm, ist eines seiner Symbole. Es kann während der nächsten vier Monate gedeihen, bis zu Kartik Shukla Ekadashi. Oder Haribodhani Ekadashi. Lord Vishnu schlummert derweil seinen kosmischen Schlaf im ocean of milk - ksheer sagar!

Samstag, Juli 05, 2025

Feigenstängelbohrer

Kaum wächst ein junger Feigenbaum in unserem winzigen Garten heran, kommt auch schon der riesengroße Batocera rufomaculata angeflogen. Oder angekrabbelt. Er wollte heute früh über das Küchenfenster ins Haus einsteigen. Daran habe ich ihn erfolgreich gehindert und er suchte das Weite nach oben. Seine Hörner sind länger als der Körper und was er an der frisch gestrichenen Hauswand eigentlich will, verstehe ich nicht. Er ist ein böser Schädling der Mango- und Feigenbäume, auch Apfelbäume, Guavebäume und Walnussbäume verschmäht er nicht. Offiziell heißt er deutsch Mangostängelbohrer. Die Larven bohren sich in das Holz der Äste und Stämme und schädigen den Baum von innen heraus. Sie können so ganze Ernten vernichten. Erklärt mir KI.

Freitag, Juli 04, 2025

फुलको आँखामा

Freitag war in Thamel mit Pranai immer der Song-Tag. Ich übernehme diese Tradition und lerne nun in der Früh mit Gurubaa die alten Songs auswendig. Heute ist फुलको आँखामा an der Reihe, fulko ankama oder phoolko aankhama. Diese Beliebigkeit in der englischen Transliteration hatte damals für viel Verwirrung und argen Frust vor dem Wochenende gesorgt. Pranai wollte nicht verstehen, warum wir ein Wort wie phoolko nicht verstehen, das er uns doch schon tausendmal an die Tafel geschrieben hatte. Mein Anki hatte es als phul gespeichert, in anderen Heften stand ful. Das -ko hintangestellt bedeutet, wie gesagt, belonging, Zugehörigkeit, ist eine Art Partikel, zeigt den Genitiv an; -ma hintangestellt bedeutet in, on oder at. Wie also hätten wir von phoolko rückschließen sollen auf ful und das Wort als flower erkennen? Mittlerweile kann ich schreiben, wie es sich gehört und bin freitags happy wie es sich gehört. 

फुलको आँखामा - phoolko aankhama - in the eyes of the flower

फुलै संसार - phoolai sansaara - the world appears as a flower

Donnerstag, Juli 03, 2025

Nebraska

Jemand hat sich die Mühe gemacht, alle US-Staaten nach der most commonly spoken language - nach der gemeinhin am häufigsten gesprochenen Fremdsprache zu untersuchen. Englisch und Spanisch gingen nicht in die Statistiken ein, gelten sie doch als Landessprachen. Und siehe da: Nebraska ist Nepali-county! Es gibt mehrere german-dominierte Staaten, vietnamese, korean, usw. Erstaunlich! Wenn das Land MAGA (oder mega?) werden will, muss es sich sprachlich entvölkern. 

Mittwoch, Juli 02, 2025

Lamo pucchara tila

Tom, der Kater ist auf dem Weg zurück zur Natur. Selbstversorger. Trockenfutterverächter. See-Gee, seine stahläugige Schwester und Geliebte, wie ich vermute, neuerdings Katzenmutter, wagt sich derweil vorsichtig und scheu, wie eh und je, in meinen Hinterhof, an seinen Futterplatz. 

Er legt mir in der Nacht seine Beute auf die rote Fußmatte vor der Vordertür, wie zum Beweis, dass er weder hungert noch es nötig hat, das erlegte Tier aufzufressen. Er will nur, dass ich zur Kenntnis nehme, dass er ein Raubtier ist. Und dass alle, die hier ein und ausgehen, wenn der Tag anbricht, über sein Opfer stolpern müssen. Angefangen von meinem Gurubaa, der auf dieser Matte seine Schuhe auszuziehen pflegt. Ich bitte also Herrn Tom, das pelzige Bündel mit dem auffällig langen Schwanz woanders zu platzieren. Er tut es auch, aber erst, nachdem ich ihn ausgiebig gelobt habe. Er trägt es unter die frisch umgesetzte Passionsfrucht. Drapiert den Schwanz und die Hinterbeine mit den feingliedrigen Krallen aufs Schönste!

Vielleicht ist es ein Langschwanzmaulwurf. Lamo pucchara tila - लामो पुच्छर तिल. Ich mag ihn nicht anfassen und umdrehen. Mein Sprachunterricht beginnt gleich. Die beiden Wörter vorne und hinten kann ich schon schreiben. Das mittlere eigentlich auch. Das "la" kommt praktischerweise zweimal vor und umrahmt den Rest. Es soll aussehen wie ein Herz, wie Valentinstag, like love, sagt Gurubaa und rügt mich, wenn ich es oben in meinem Schulzimmer unter dem Dach an der Tafel nicht so ästhetisch vollkommen und in einem Schwung hinmale wie der Kater den Kadaver in meinem Garten abgelegt hat. You have to write nicely! Auch wenn es sich um ein totes Tier handelt.

Dienstag, Juli 01, 2025

simpel

So ein simples Wort wie "money" (Knete zu gut deutsch) habe ich in drei Monaten Sprachunterricht in der Touristenhochburg Thamel nicht gelernt. Und heute kann ich es bereits schreiben. Auch Thamel kann ich schreiben. Allerdings vorerst nur von Hand. Zwar ist es mir gelungen, das nepali language package auf meinem batterielosen Gerät zu installieren. Ganz ohne Stromunterbrechung. Nun fehlt mir nur noch der Weg zu den richtigen Buchstaben, Vokalen, Konsonanten, Halbkonsonanten, similarities usw.

Dieen Weg habe ich nun gefunden: मसँग पैसा छ / छैन: Ich habe Geld / kein Geld. It's quite easy or simple: सजिलो oder सरल. Ich kann schreiben: Wald (बन), Klamotten (कपडा oder लुगा), Stift (कलम), Haus (घर), Krug (जग), der zum Brunnen geht, bis ... काठमाडौं - Kathmandu! Sämtliche wichtigen Wörter der Welt in meiner Hand!