Dienstag, Juni 17, 2025

Ochs und Eule

Goru ra Ullu. Guru ist der Lehrer, Goru der Ochse. Goru werfen die Gurus in Nepal ihren Schülern als Schimpfwort an den Kopf. Du dummer Ochse, du! Du fauler Ochse und so weiter. Auch die Eule wird in diesem Zusammenhang gerne quer durch das Klassenzimmer bis in die hinterste Ecke geschleudert. Als Wort, versteht sich: ullu. Eulen - Ullus gelten hier als hinterlistig, träge und verschlafen. Auf dem Hill kommt das Anfangs-U von ullu am frühen Morgen als einer der dreizehn Vokale in mein Schreibheft. Mitten hinein. Mein Guru lässt mich noch einmal alle Vokale von hinten aufsagen und aufschreiben. Das Ullu-U steht unverändert mittendrin.  

Das würde nicht vielen gelingen, sagt er, diese volte rückwärts. Ich nehme es als seine Freundlichkeit. Ich kann auch rückwärts laufen und trainiere regelmäßig rückwärts zählen. Mittlerweile auch in nepali. In Europa, sage ich, tragen wir Eulen nach Athen oder schuften wie ein Ochse. Ochsen mögen einfältig sein, aber sie sind stark. Eulen sind klug und weise, gehören natürlich auf den Olymp, als Attribut der Göttin Athene. Mittlerweile zieren sie jeden zweiten Buchladen in jeder Kleinstadt, jeden Buchverlag und sozusagen jedes Lesezeichen. Eulen sind nachtaktiv wie Leseratten. So weit komme ich aber nicht mit meinem Latein. Weder in nepali noch in english. Denn jetzt gerade, wenn wir unsere Stunde anfangen, verstecken sich die Ullus in den dicht belaubten Bodhibäumen rund um die Tempel und schließen die gelben Eulenaugen. Sie schlafen den Schlaf der Gerechten, bis es wieder dunkel wird. 

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