Dienstag, Dezember 31, 2024

black moon

Neumond - bei uns heute, am letzten Tag des Jahres 2024 AD. Bei Euch gestern, kurz vor Mitternacht. Black moon - ein zweiter Neumond im Dezember. Mein persönlich zweiter auf dem Hügel. Wir haben uns gut eingelebt und wollen nicht mehr weg. Zur Feier des Tages leisten wir uns eine Flasche Sekt, hergestellt in Indien, was sich erst nach intensivem Studium des Etiketts offenbart. Kostet so viel wie zwei heater, von denen wir uns einen zu Weihnachten geschenkt haben. Preise sind ein Karussell wie die Temperaturen. W. träumt von einem altmodischen CD-player, weil er viele Lieblings-CDs mitgenommen hat. Niemand hört mehr CDs wie wir Altvordern. In Dithmarschen und Hamburg haben wir mehrere dieser Geräte zurückgelassen, verschenkt oder - weil sie wirklich niemand mehr haben wollte - im Elektromüll entsorgt. Er fand nun eine CD Soundmachine bei einem nepalesischen online-Händler, der soll das Anderthalbfache meines Designerschreibtisches kosten. Der Schreibtisch kostete ungefähr 25 heaters, der anachronistische CD-player würde ganze 36 kosten! Damit könnten wir noch einige Jahrhundertwinter durchheizen. Ich protestiere. Dann lieber bei einem Schrotthändler fragen. Oder einen zweiten Schreibtisch kaufen und CDs über laptop hören! Eine Packung mit 200 gr entsteinten arabischen Datteln kostet soviel wie eine Packung mit 200 gr nicht entsteinten arabischen Datteln. Zusammen mit einer Großpackung (400 gr) Cashewnüssen ungesalzen pure nature soviel wie der neue Wasserkocher. Ein Pfund Kaffeebohnen der Sorte KatmanDU (100% Arabic Coffee, shade grown at an altitude of 1150 - 1300 meters in the foothills of Ganesh Himal, each harvest hand-picked, timely fermented, wet processed and sund-dried) ebenso, Der Wasserkocher selbst ist soviel wert wie ein Dreiviertelheater. Der Halbliterhenkelmann zusammen mit einer Steel Luxury Wasserkaraffe ergibt nochmals einen ganzen heater. Ein Kuchen, ein ganzer Orangenkuchen aus der GATE-Bäckerei, kostet hingegen weniger als ein Zehntelheater. 

Vielleicht ist der heater die Währung unserer Zukunft, nachdem die Post abgeschafft und DHL endgültig aus der Mode gekommen ist. Ein wahrlich ereignisreiches Jahr geht zu Ende! Wünsche alles erdenklich Gute in alle erdenklichen Ecken dieser erdenklichen Welt mit allen, wirklich allen erdenklichen Zeichen und Wundern! 

Montag, Dezember 30, 2024

Tamu Lhosar

Die Gurung in Nepal feiern heute Neujahr. Tamu Lhosar. Nach ihrem Kalender ist heute der 15. Poush. Sie folgen, wie die Chinesen, einen 12-Jahrestierkreiszeichenzyklus - haben aber andere Tiere. So verabschiedeten sie gestern Garuda, den wunderbaren und mächtig mythenbeladenen Vogel oder das Reittier in Adlergestalt, und begrüßen die Schlange. Auch in China beginnt beim nächsten Frühlingsfest das Jahr der Schlange. In diesem Jahr verhältnismäßig früh, Ende Januar.

Lhosar ist das Wort für Neujahr aus tibetisch "Lho" (Jahr) und "sar" (neu, Wechsel). Tamu gehört der Volksgruppe Gurung. Auch andere Volksgruppen haben ihre Lhosars, die Tamangs, Sherpas, Hyolmos usw. Nur leider nicht am selben Tag. Die Gurungs starten heute in ein neues Jahr, die Tamangs beim Januar- oder Februarneumond, die Sherpas während Gyalpo Lhosar, also beim Februar oder Märzvollmond. Das heißt, wir können ab sofort jeden Monat feiern. Unser bisheriges Silvester-/Neujahrstreiben erscheint dagegen ziemlich erbärmlich.    

Tamu Lhosar wird außerdem eine Woche lang gefeiert, aber nur heute ist public holiday - was ich daran merkte, dass heute früh der Müll stehen geblieben ist (er wurde aber am Nachmittag eingesammelt). Vor allen Häusern auf dem Hill. Und dass die Kinder auf der Straße Fußball spielen statt in der Schule zu sitzen. Die Kathmandu Gurungs feiern in Tundikhel mit einem cultural rally. Tänze, Fanfaren, schön gekleidete fröhliche Menschen, Geschnatter und Gefutter, aber auch sportliche Wettkämpfe und Blutspenden.

Sonntag, Dezember 29, 2024

Electrician

Heute also Sonntag. Normaler Arbeitstag. Der Elektriker kommt bei schönstem Sonnenschein auf dem Moped angefahren. Er überprüft nicht funktionierende Steckdosen. Da er nicht ein einziges Wort Englisch spricht, sitzt hinten auf dem Moped ein staff member der landlady, der das Haus in- und auswendig kennt. Er brachte schon gereinigte Vorhänge und verteilte sie auf alle Fenster, strich Wände, entfernte überflüssige Bettstatten usw. Nun also Strom. Auch der alte Elektriker scheint das Haus und seine innersten Geheimnisse und Verknüpfungen gut zu kennen. Auf alle meine Fragen weiß er eine Antwort. Warum das Licht über der Waschmaschine nicht von innen (wo sich zwei Lichtschalter befinden) angeknipst werden kann. Sondern ich die Tür, die gestern der carpenter behaute und beschlug wie ein Hufeisen, öffnen, auf die Dachterrasse treten und dort den richtigen von mindesten 5 Schaltern auswählen muss. Geht nicht anders, erklärt er in einem Wortschwall, den ich ihm nie zugetraut hätte. Von dem ich eine kompakte Übersetzung bekomme: no way! Ich gestehe, dass ich das Licht eigentlich gar nicht brauche, da ich nie nachts wasche. Daraufhin bedankte sich der übersetzende Helfer höflich! Weiter wollte ich wissen, warum ich eine Lampe im Schlafzimmer nicht anmachen kann, auch wenn ich alle Möglichkeiten ausschöpfe, sprich Dutzende von Schaltern betätige. Ohne Erfolg. Ohne Licht. Der electrician bittet um einen Stuhl, steigt hoch und dreht an der Glühbirne. Sie war nicht richtig eingeschraubt. Nun muss noch der richtige Schalter dazu gefunden werden. Er findet ihn zwischen Tür und Schrank am Boden. Ok. Es gibt Schalter zu denen man sich hinabbeugen muss und es gibt Schalter, die man bloß auf Zehenspitzen erreicht. Oder nur auf der Leiter. Es gibt eine unglaubliche Menge an Schaltern in jedem Zimmer, im Treppenhaus über drei Stockwerke hinauf und wieder hinunter, im ganzen Haus innen und außen herum. Weil, um nur eine schmallippige Erklärung zu suchen, zu finden, anzubieten, auch jede Steckdose ein- und ausgeschaltet werden kann und muss - daneben aber Dutzende von Schaltern überflüssig scheinen, da sie ins elektrische Nichts, Nirgendwo oder ins Nirwana führen.

Samstag, Dezember 28, 2024

Carpenter

Ein trüber Tag wie noch nie. Ich sitze den ganzen Tag in meiner neuen Winterjacke am Schreibtisch - bis der carpenter - Tischler kommt, um knirschende, klemmende Türen wieder gängig zu machen. Heute, am nepalesischen Ruhetag. Der passe ihm am besten, hatte die landlady mitgeteilt. Er selbst spricht, wie fast alle Handwerker hier, so gut wie kein Englisch, jedenfalls kein für mich Verständliches. Er braust mit dem Fahrrad in die Siedlung und wird sofort von der Security angehalten, es nicht auf einem Autoparkplatz abzustellen, sondern in meinem Vorgarten. Er trägt einen Helm und hängt ihn an den Lenker. Ansonsten hat er nur eine Plastiktüte voller Kleinwerkzeug dabei. Einen Tischlerhammer, eine Zange, mehrere Schraubendreher und so etwas wie einen Spalter. Holzspalter. Damit haut er immer wieder kleinste Splitter von der Tür oder deren Rahmen. Veranstaltet einen Lärm, dass Gott - oder Shiva erbarm.

Freitag, Dezember 27, 2024

Pasikot

Ich suche Landwege. Weiche in den Westen der Magistrale aus und laufe nach Norden. Befinde mich sofort in rural area: hier wir gepflanzt, geerntet, gewässert, gehütet. Ich sehe seit Monaten zum ersten Mal wieder Schafe. Und natürlich wie überall an den Straßenecken angebundene Ziegen und Kühe. Manche werden auch spazieren geführt. Freilaufende Hühner. Viele an der Sonne dösende Hunde. Sehr entspannt. Sehr warm. Ich laufe weiter nach Pasikot und weiter nach Norden. Bis ich den Tempel erreiche und das valley fast verlassen habe, und die Sonne bereits am Untergehen ist.

Donnerstag, Dezember 26, 2024

si:ʤi:

Die getigerte Katze hat zu Weihnachten einen Namen bekommen, auf den sie hört, als hätte sie nie einen anderen gehabt: SEE-GEE [si:ʤi:]! Das GEE [ʤi:] zischt heimtückisch nach dem stimmlos und scharf die Luft wie ein Schwert durchschneidenden SEE [si:] durch die Siedlung und holt sie zu mir vor das Küchenfenster. Wenn die Sonne untergeht. Wenn die Zeit gekommen ist. Wenn ich sie zum Essen rufe wie ein draußen herumtrödelndes Kind. Dann kommt sie angetrabt, oder wartet schon in sicherer Entfernung, versteckt unter dem Busch aus Angst (vor mir) und voller Gier (auf mein Futter). Sie ist scheu, aber raffiniert. Ein taktisches Weib (nehme ich mal an) mit eiskalten türkisblauen Augen. Sie hat den Revierkampf schnell und unblutig für sich entschieden. Die schwarzgepunktete weiße, auch magere, auch ausgehungerte vielleicht auch weibliche Katze schleicht nur noch in großem Bogen um unser Haus herum. Obwohl sie zuerst da war und mich als erste willkommen hieß.

SEE-GEE. Das Biest! Zweisilbig, Betonung auf der letzten. Von see wie sehen und gee wie flapsig wow, Wahnsinn oder zu gut deutsch: Mannomann! Katzokatz! Frauofrau. Mit Kindern spricht man anders: gee-gee: Huhu! Hu! Hüh! Hühü! Hott! Hottehüh! Hüttehoh! Passt doch! Unter Erwachsenen aber, lerne ich, bedeutet to gee up sb: jemandem [tüchtig, richtig] einheizen (uns unter dem Abendbrottisch) oder jemanden auf Trab bringen. Für Katze am besten in der Endlosschleife si:ʤi:, si:ʤi: ... si:ʤi:, si:ʤi: ... si:ʤi:, si:ʤi:!

Mittwoch, Dezember 25, 2024

heater

Zu Weihnachten kaufen wir uns einen Hallogen-heater ohne Garantie. Wenn er ein paar Wochen durchhält, ist alles gut. Ich musste auch schon einen zweiten Wasserkocher kaufen, weil der mit der Beule unfest auf seinem Elektrofuß stand und immer häufiger aufgrund wohl von Wackelkontakt das Wasser nicht mehr kochte. 

Der heater füllt andere Wärmelücken. Als Nebenwirkung verbreitet er grelles Licht. Wirkt von weitem vielleicht wie Weihnachtsbaumleuchten. Oder Kaminknistern. Wie in Japan ist es hier unmöglich, ein ganzes Haus zu heizen. Also hält man sich partiell warm. Angeblich schlafen alle Nepalis unter elektrischen Wärmedecken. Ich glaube das nicht. Mario in Tokyo schlief, wie er erzählte, im Winter immer auf einer Wärmdecke. Das hingegen glaubte ich wohl. Jedem wie es beliebt. Aufsteigende oder absteigende Wärme. Abends hocken hier an den Straßenecken Gemüsefrauen in der Dunkelheit zusammen und verbrennen Pappe. Oder was auch immer. Kochen Tee und verteilen oder verkaufen ihn an Passanten. Laden zum Fingerwärmen ein. Am Rand des Ranibariforests zündete mein Gitarre spielender Gemüsehändler jeden Morgen ein Feuerchen für seine Kunden an.

Die täglichen Temperaturkarusselle sind eine Herausforderung. Kürzlich lackierte ich meine Zehennägel in der Mittagssonne auf dem Dach neu. Mitten im Dezember! Bunt mit nepalesischen Farben. Tagsüber kann auch ich durchaus ohne Strümpfe und im T-Shirt herumlaufen. Die meisten Nepali tragen den ganzen Tag und das ganze Jahr hindurch nichts als Slippers an den Füßen. Morgens ist es frostig und nach Sonnenuntergang wird es so schlagartig kalt, dass sich die Nackenhaare aufstellen. Seit der Erfahrung im Lavie Garden lassen wir das Essen von foodmandu nach Hause liefern. Stellen den heater unter den Tisch und genießen nun zu Weihnachten aufsteigende Wärme.

Dienstag, Dezember 24, 2024

Halbliterhenkelmann

Nach meinem Morgen Qigong laufe ich auf die Golfutar zu meinem Lieblingshaushaltwarenshuttershop und sage der Frau, die kaum ein Wort englisch spricht, mich aber seit drei Wochen kennt, dass ich etwas für dahi oder milk brauche. Sie versteht mich sofort und holt aus dem Regal einen Halbliterhenkelmann. Genau, was ich mir hier zu Weihnachten wünsche! Vor Sonnenuntergang lasse ich ihn zur Bescherung vom "Konditor" (ihrem Nachbarn btw) mit meiner täglichen Portion dahi füllen und er strahlt.

Montag, Dezember 23, 2024

open dahi

Joghurt ist etwas, das wir regelmäßig brauchen. Konsumieren. In Panipokhari habe ich gelernt, dass es plain Joghurt (nepalesisch dahi - mein erstes Wort außer namaste, oder english curd) überall dort gibt, wo ein Kühlschrank im shutter steht, Wer sich Strom leisten kann, verkauft gekühlte Getränke und Molkereiwaren. Hier in Hattigauda funktioniert vieles anders und die meisten meiner angelernten Überlebensstrategien versagen, eingeübte Spuren führen ins Leere. Da der Supermarkt - kein Blue Moon! - seit Tagen kein Joghurt hat, frage ich also einen Shutterstorebesitzer mit Kühlschrank, ob er so was habe. Er verneint, zeigt aber freundlich auf die andere Straßenseite. Dort, dort ... ich folge seinem ausgestreckten Arm und Zeigefinge, traue meinen Augen nicht, überquere aber tapfer mitten im Feierabendverkehr die Straße. Gegenüber - da bin ich schon tausendmal vorbeigelaufen und dachte immer, es sei so etwas wie eine "Konditorei", dnn ich sah Berge von abgepacktem Kleingebäck, haltbare Kekse, trockene Teilchen. Ich frage nach Joghurt und sage sofort "no sugar", und der shutterkeeper dreht sich um zu seiner riesigen Kühltruhe. Open, only open sagt er und wiederholt, weil ich wohl äußerst begriffsstutzig wirke. Nimmt einen Messbecher zur Hand und greift in die Tiefe. Open, ok, Hauptsache no sugar, nicht süß. Aber ... ehe ich meine Frage im Kopf zu Ende vorformuliere, wie ich "open dahi" nach Hause trage, kippt der den Inhalt des Messbechers in eine Plastiktüte, fragt flink noch der Form halber half kilo? und ich nicke ebenso flink, ehe das Ganze ausläuft und durch die Finger tropft ... er verschnürt das Tütchen geschickt mit einem Gummibändchen und drückt es mir in die Hand.

Dass Milch in Plastiktüten verkauft wird, weiß ich schon lange. Es gibt Milchmänner auf Mopeds, vollbeladen mit den Tütchen, Kuhmilch und Yakmilch. Einmal habe ich nämlich einen gefragt auf dem Weg in den Ranibari Forest, was er da austrage und vor ausgewählte Hauseingänge lege. Warum also nicht auch dahi?

Sonntag, Dezember 22, 2024

Gebärdensprache

Ich sitze im Veranstaltungsraum "Glarus" des GATE-College in Mandikhatar, Kathmandu. Im Untergeschoß, leicht temperiert und trotzdem fröstelnd, mit einer Horde (sorry - aber das Gewusel ist beträchtlich) lebhaft gestikulierender junger Leute. Alle mit leuchtenden Augen, die meisten unter den Steppmänteln festlich angezogen, sogar der eine Seheingeschränkte, der wiegenden Schrittes cool mit Sonnenbrille sein Diplom entgegennimmt. Graduation Ceremony für PWO (Persons with Disabilities), konkret for hearing and listening impaired students. Für Hörbehinderte Studierende. Die künftig - bestens ausgebildet - in Hiltons und ähnlichen Häusern in der Küche, am Empfang oder im Service arbeiten werden. Wir sitzen im Saal "Glarus". Ich schaue gebannt den beiden Gebärdendolmetscherinnen zu, die sich immer wieder ablösen. Abwechseln. Ich verstehe weder von der Gebärdensprache etwas noch von der gesprochenen, die meisten Reden werden in Nepali gehalten. Die englischen Brocken ziehen an mir vorüber wie Schall und Rauch. Viel interessanter ist es zu sehen, was hier vor sich geht.

Der Raum heißt "Glarus", erklärt mir der Chef und Gründer des Ganzen, weil er sich dort in der Schweiz immer am wohlsten gefühlt habe. Mir juckt es in den Fingerspitzen und unter den Zehen, aber ich beherrsche mich. Er spricht tatsächlich schweizerdeutsch, grüezi usw. (so wie ich namaskar usw.), aber ohne kantonale Eindeutigkeit. Kein erkennbarer Glarner Singsang. Hochdeutsch, sagt er, spreche er mit Schweizer Akzent. Das würde ihm immer wieder gesagt. Wir reden englisch. Im Garten wachsen lauter Bäume, Blumen, Kräuter, Gemüse, die er aus der Schweiz mitgebracht hat. Mitten in Kathmandu! Er sagt "Baumnüsse" und zeigt mir das "Museum", ein Studentencafé mit einer uralten Schweizer Kaffeemaschine. Die noch funktioniere, aber zu viel Energie fresse, weshalb sie nur noch der Dekoration diene. Schön! Die Backstube voller Schweizer Öfen, Waagen, Becken, Knetmaschinen usw. Beim Mittagessen gibt es Salat mit Schweizer Dressing. Oh, oh! 

Wie gut, dass die heute Graduierten vom Lärm dieser Welt verschont bleiben. Ich habe gelernt zu applaudieren wie sie, geräuschlos! 

Samstag, Dezember 21, 2024

Wintersonnenwende

Am hellen Nachmittag erreicht die Sonne ihre geringste Mittagshöhe über dem Horizont. Wir haben auf dem Hügel immer noch fast zehneinhalb Stunden Tageslicht in Form von purem Sonnenschein! Der Wind bläst heute kalt, trotzdem bereite ich mich auf die Raunächte vor. Ich verbrenne alles, was ich vom zu Ende gehenden Jahr und aus meinem bisherigen Leben nicht mehr brauche. Symbolisch - oder auch nicht - in Form von Wörtern oder Halbsätzen, die ich auf Papierschnipsel kritzle. Fraglich - oder auch nicht - denn nur unser Jahr geht angeblich bald zu Ende. Als wir kürzlich nach Kalendern für 2025 fragten, ernteten wir in allen Shops blankes Staunen. Twenty five? No!

Entziffern braucht meine Aufzeichnungen niemand mehr, es reicht, wenn die geistige Welt meinen Müll aus der Asche auf meinem Dach zur Transformation entgegennimmt. Genauso. 

Unser Dach ist mehrstöckig, auch dies ein Segen der diesseitigen Welt. 

Freitag, Dezember 20, 2024

abbiegen

Ich biege auf meinem Spaziergang von der Magistrale ab und gerate bald in einen wahren Dschungel. Laufe durch Gemüsegärten und Behausungen, Waschküchen und Schlafzimmer, frage immer wieder, ob hier der Weg entlangführe und ernte regelmäßig Freude und die Frage nach meinem country (what's your country?). Mehr als Deutschland in der Nacht beschäftigt mich die Frage, wie ich zurück auf meinen Hügel komme. Durch tiefe Täler, über mehrere Flüsse, na ja Rinnsale zu dieser Jahreszeit, die aber immer noch zu breit sind für einen waghalsigen Sprung in Sommerschuhen. Fürsorglich liegen überall Trittsteine. Einmal bin ich so verzweifelt, dass ich umkehre - I'm lost! rufe ich dem Bauer mit seinen freilaufenden Kühen und Hühnern zu, und der lacht. Versichert ein zweites Mal, dass es nur diesen Weg zur Golfutar gebe. Er begleitet mich nun ein Stück durch das dickste Dickicht bis zum nächsten Wasserlauf. Dahinter öffnet sich eine grüne Lichtung, auf der ein junges Liebespaar unbeobachtet von der Welt eng zusammensitzt. Auch die beiden bestätigen, dass ich, natürlich, auf dem richtigen Weg sei. Auf der anderen Seite der Lichtung zeigt tatsächlich eine befestigte Straße steil nach oben. Und ich sehe unterwegs Mädchen, die sich die langen schwarzen Haare an einer Wasserstelle tief unter mir waschen und sie, über den steilen Abgrund gebeugt, auswringen. Mir schwindelt allein beim Zusehen. 

Zum Schluss umrunde ich unsere Siedlung von Norden kommend im Uhrzeigersinn und stelle fest, dass sie millimetergenau in ein Dreieck von Tempeln mit uralten heiligen Bäumen eingezwängt ist, umgeben von einer Steinmauer, einem Metallzaun und einer Stacheldrahtwelle obendrüber. Ich frage mich nicht mehr, was das bedeutet. Am Tor an der Treppe zum Jagannath-Haupttempel stoße ich mir ziemlich brutal und schmerzhaft den Kopf! Das ist der Preis und Lohn für gedankenloses Herumwandern, denke ich. Die Leute hier sind alle kleiner als wir. Bescheidener. Aufmerksamer. Freundlicher. 

An meinem kleinen Tagestempel wird seit dem Mittag rituell geschlachtet, mit Pauken und Trompeten, festlich angezogenen Frauen und Säckeweise Reis. Wieder zu Hause angekommen, lege ich mich sofort ins Bett. So erschöpft bin ich vom abbiegen.

Donnerstag, Dezember 19, 2024

no name

 nach dem Frühstück

zuerst noch wachsam ... 

... dann müde ... und schläft ein in der Diagonale. Passt farblich und geometrisch perfekt auf den alten Badeteppich!

Mittwoch, Dezember 18, 2024

katzenfüttern

Es laufen wilde Katzen durch die Siedlung. Eine weiße, mit schwarzen Punkten im Fell an der Flanke. Und eine grau getigerte. Beide scheu, mager, hungrig. Vielleicht noch jung. Ich habe eine alte Badematte an das Sonnenplätzchen vor meinem Küchenfenster gelegt, weil ich die im Haus nicht haben will. Ausgeschüttelt und abgesaugt, damit die wilden Katzen sauber und weich liegen. Die Dehael-Kartons mochten sie nicht. Verständlich. Wenn die weiße sehr laut miaut, gibt ihr die Nachbarin wahrscheinlich Essensreste, und drinnen tobt der Hund vor Eifersucht. Ich habe weder Essensreste noch einen Haushund (nur die sind erlaubt lt Hausordnung), deshalb mache ich mich auf die Suche nach Katzenfutter. In Panipokhari hatte ich einen edlen Tierfutterbedarfsladen um die Ecke, der immer als erster am Morgen geöffnet war. Dort wunderte ich mich  täglich auf dem Weg in den Ranibari Forest aufs Neue, wer hier um diese Zeit einkauft. Gesehen habe ich nie jemanden. Gestern ging ich die Golfutar hoch und wurde nicht fündig. Heute runter. Und siehe da. Eigentlich ein Hundeleinen- und Vogelkäfigshop. Hinter dem Tresen die Regale bis zur Decke voll mit Tierarzneimittelprodukten. Ordentlich sortiert, soweit das Auge und mein Verstand reicht. Eine Tierapotheke! Vom keeper keine Spur. Das ist hier so üblich. Und dann erscheint ein Mensch im Holozän, von der anderen Straßenseite, von dem ich nicht weiß, ob es ein Kunde ist oder der Ladenbesitzer. Wie immer klärt es sich schnell auf und ich eile glücklich mit einer Packung TF - drools, oceanfisch, complete nutrition, no corn, wheat or soya - auf meinen Hügel zurück.

Dienstag, Dezember 17, 2024

national symbols

Die Zeit ist reif für die erste Lektion in Landeskunde. Von links nach rechts: FLAG (die Nationalflagge - einmalig auf der Welt in Form zweier übereinander gelegter Dreiecke, vorherrschende Farbe: Crimson, blau umrandet zum Zeichen des Friedens), THE COAT-OF-ARMS (das Nationalwappen - der Berg der Berge), LOPHOPHORUS (der Nationale Vogel: Rostschwanz-Glanzfasan auch Königs-Glanzfasan, Himalaya-Glanzfasan, Himalayan monal, Impeyan monal oder Impeyan pheasant genannt), CRIMSON (die Nationalfarbe Purpur), COW (das Nationaltier Kuh), RHODODENDRON (die Nationalblume Rhododendron). Leicht zu merken! Und: Autos. Zäune. Dächer. Fenster.



Montag, Dezember 16, 2024

Montag, der 16.

Vor drei Monaten war auch Montag, der 16. - und wir sind losgeflogen. Um die halbe Erdkugel. Seither ist eine halbe Ewigkeit vergangen und wir haben mehrere Äonotheme durchschritten. Gestern lief das Visum aus und ab heute ist es verlängert. Alles easy, freundlich und problemlos. Ein ganz normaler Montag. Ich habe die halbe Nacht das ganze blog umgeschichtet und umgebaut, mit leserfreundlicherem Fundament (sprich Disain) unterfüttert. Lalitpur werde ich löschen, sofern big brother es erlaubt. Die Chronologie ist wieder sichtbar,  Golfutar berichtet ab Itzehoe (!) wie steinig und beglückend der Weg aufs Dach der Welt ist. Unerwartet - laut Erlass vom 1.1.2081 (!) - ist heute hier erneut public holiday. Arbeitsfrei für Beamte und Staatsdiener, zu Ehren des heute früh in seiner Residenz in Chaksibari im Alter von 87 Jahren verstorbenen früheren (von 2049-2054 BS / 1992-1997 AD) Bürgermeisters von Kathmandu, Prem Lal Singh. Handwerker wie ich arbeiten. Der Müll wurde nach Sonnenaufgang abgeholt und wir sind nun auch W's verstaubte DeHaEl-Kartons endgültig los. Die Bambusmöbelbauer kommen am frühen Mittag und reparieren in der prallen Sonne vor dem Haus die beiden Bambussessel und den Bambustisch, reinigen und ölen das wertvolle Holz, es stinkt zum Himmel, und der ist makellos blau. Unter dem Vordach bleiben die Möbelstücke über Nacht zum Trocknen und Auslüften stehen. Kurz vor dem Eindunkeln werden noch kaputte Fensterscheiben ausgemessen, das fehlende Fliegengitter in der Küche sowie der nicht funktionierende Fensterklappenmechanismus in meinem Bad ins Auftragsbuch geschrieben. Auch in diesem Haus gibt es mehr Bäder und Klos als Bewohner. Das warme Wasser kommt nun aber umweltfreundlich vom Dach und nicht mehr aus mehreren, vor den Fenstern angeketteten, von Tauben als Kacklandeplatz bevorzugten Gasflaschen.

Sonntag, Dezember 15, 2024

Sonntag

Multipler Feiertag! Dezembervollmond für mich, eine Shukla Paksha - die zunehmende Mondphase - auf dem Hill, neben dem Laxmibaum und dem Shivatempel. Für die Hindus der Vollmond im Monat Mangsir, am letzten Tag. Sie feiern Dhanya Purnima, "hilly Brahmins" hingegen Debpuja und die Newari people Yomari Punhi (oder - um die Sache noch komplizierter zu machen - Jyapu Diwas, die Kiranti people aber begehen das Udhauli Festival.  

Die einen feiern das Ende der Reisernte und danken den Göttern für gute Erträge. Die anderen gedenken der Vögel, die zur kalten Jahreszeit von den Bergen in die Täler ziehen. Udhauli heißt wörtlich herunterkommen (so etwas wie Alpabzug, nur nicht mit Kühen und ohne Alphörner) und heute beginnt also der Winter in Nepal. Für die Kirantis besteht das Jahr aus zwei, vom Vogelzug bestimmten Hälften: Udhauli, wenn sie zu uns herunterkommen und Ugauli, wenn sie wieder in schwindelnde Höhe entfliehen. Ein sehr sympathisches Zeitverständnis!

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Die Newari people feiern auch das Ende der Reisernte und backen (kneten, formen, dünsten) aus Reismehl dreieckige Yomari (= süsses Brot), gefüllt mit einer hellen Sesam- oder einer schwarzen Bohnenpaste. Ich habe Yomaris in Panauti auf dem peace walk im September bekommen und mit großem Appetit verspeist. Sie waren nicht sehr süß, dafür umso nahrhafter. Damals hat mir sicher einer der Mitpilgernden diesen Namen genannt und die Form erklärt, ich konnte es mir aber in der Septemberhitze, unter der Fülle der Eindrücke und noch im Jetlag natürlich nicht merken. Das Dreieck soll die Hälfte eines Hexagramms repräsentieren - das Bild des Wissens (oder der Weisheit?). 

Samstag, Dezember 14, 2024

Queensquilt

Am Mittag ist es so warm, dass wir an der Sonne auf der Dachterrasse Kaffee trinken. Nach Sonnenuntergang wird es schlagartig kalt, drinnen und draußen. Spät am Abend fällt der Strom aus, so dass es rundum ganz finster ist. Die Deckenlampen im Haus funktionieren noch, nicht aber der Kühlschrank, der Computer oder die ACs, die auch ungesunde Wärme verbreiten können. Es bleibt nur der Queensquilt mit dem neuen Bezug.

Freitag, Dezember 13, 2024

Das Maß aller Dinge

Ich laufe nochmals zu dem Shuttershop mit den Nägeln, Zangen und Hämmern und kaufe ein Laufband. Ein Messband. Ein 5 Meter langes reliable measering tape. Wir verstehen uns prächtig, der Verkäufer und ich, auch wenn keiner des anderen Sprache spricht. Er freut sich und ich freue mich. Das Band misst Zentimeter, Feets und Inches und ich kann endlich rechnen. Man(n) könnte es an den Hosenbund klemmen. Ich stelle mit einem Daumendruck die gewünschte Länge fest, und das Metallband zeigt wie ein Lineal ausgestreckt in die Welt. Ehe ich den Raster entraste und das Band sich schnurrend zusammenrollt wie eine zufriedene Katze.

Donnerstag, Dezember 12, 2024

Lauferei

Ich kaufe Hammer, Zange, Nägel (50 Stück, abgezählt und in Papier eingewickelt), einen Schreibtisch mit Stuhl, elegant und minimalistisch. Quilt aus reiner Baumwolle, made in Nepal, King size. Im Vorübergehen frage ich den Schneider an der Golfutar, ob er einen Bezug für Queen size hat - er bietet mir ein Schemelchen mit Kissen an und ich schaue zu, wie er mir das Gewünschte zuschneidet und zusammennäht. Made in Nepal. Erstklassige Handarbeit. Blitzschnell. Passt wie angegossen obwohl er kaum ein Wort Englisch spricht. Nur daughter sagt er strahlend, nachdem ein schwarzäugiges Mädchen vorbeigewischt war. Unterwegs esse ich beim Dragon Express Drunken Noodles. Made in Nepal. Dazwischen war ich ohne Wehmut an den Twintowers und holte Post ab. Made in Germany.

Zu Hause auf dem Hügel nagle ich als Erstes Beats Bild dorthin, wo es hingehört: ans Ende der Treppe.

Mittwoch, Dezember 11, 2024

MPT

MPT ist ein Multi-Purpose-Tree - ein mehrfachnutzbarer Baum. Oder, noch unschöner zu deutsch, ein Mehrzweckbaum. Ein Baum, der mehrere menschliche (!) Bedürfnisse befriedigt. Also nicht nur Brenn- oder Bauholz liefert, sondern auch Blätter, Blüten, Rinde, aus denen Öle und Essenzen für die Naturmedizin oder die Ökoreinigungsmittelindustrie gewonnen werden können. 

So ein Baum ist der Laxmi Taru, der mir jeden Morgen Schutz bietet. Er wird auch Paradiesbaum genannt oder wissenschaftlich Simarouba. Laxmi, wir erinnern uns, ist die Göttin des Wohlstands und Taru bedeutet im Sanskrit Baum. Der mächtige Wohlstandsbaum. Neben, hinter, über dem Shivatempelchen. Der Mönch, der hier täglich die Göttinnen mit frischen Blüten, Körnern, Kräutern, Farben, Zuspruch  und Komplimenten versorgt, erklärte mir eben, der Saft aus den frischen Blättern helfe gegen Zahnschmerzen. Zu Hause an meinem neuen und endgültigen Schreibtisch (!) lese ich, dass er auch bei Malaria, Fieber oder Durchfall helfe und deshalb den Namen Dysentery-bark trage. Oder Oil tree, Bitterwood, Aceituno.

Er fängt jetzt an zu blühen. Steht am sonnigsten Platz, den er sich wünschen kann. Und Laxmibaum wird er genannt, eigentlich, so erklärt mir das mein helvetisch geschulter Verstand, nicht weil die Göttin darin Unterschlupf findet, wenn sie nicht gerade beschäftigt ist, die Menschen zwischen dem Dashain-Vollmond und dem Tihar-Neumond mit Glück zu überschütten. Sondern weil der Baum so reich an irdischen Gütern ist. Und sie uneingeschränkt mit jedem teilt, der teilhaben will. Nichtsdestotrotz werden zu Füßen meines Laxmibaumes ständig Gaben abgelegt, Heiligenbildchen, Räucherstäbchen, Kerzenschalen mit brennenden oder ausgebrannten Dochten, frische Blüten, Purpurroten Kleksen (crimson - national color, las ich auf einem meiner Spaziergänge durch Panipokhari außen an einer Schulhofmauer - ohne Schreibfehler, american inglish), Körner, Gewürze, aber auch Zigarettenschachteln, Wasserflaschen, Schokoladenriegel usw. usf.

Dienstag, Dezember 10, 2024

La vie est rose

Die Piaf sah und sang das anders. La vie en rose -  das Leben durch die rosarote Brille. Wir aber sind auf dem Boden der Tatsachen angekommen und das Leben ist Rosenrot! Wir essen im Lavie Garden (offering fresh air) und bekommen zur Begrüßung warmes Wasser. Trotzdem ist es ungemütlich kalt im offenen Garten der Lüfte. Nicht so kalt wie in Warschau vor 31 Jahren und ohne Weiß. Ohne Schnee, ohne Glätte, ohne Eis. Stattdessen frisches Grün und, wie gesagt, vielen rotblühenden Blumen. 

Das outdoor feeling nach Sonnenuntergang ist Kräftezehrend, der Winter in Kathmandu eine tägliche Achterbahnfahrt. Von Hochsommerhitze am Mittag zu Bodenfrost in den Morgenstunden. Wir flüchten schon bald wieder auf unseren Hügel. Auch die Topographie der Stadt ist eine einzige Achterbahn.

Montag, Dezember 09, 2024

befreit

Montag. Tag der Müllabfuhr. Alle erbärmlich zerfledderten bookboxes - das letzte, was mich noch an Europa erinnert, sind heute früh in die nepalesische Kreislaufwirtschaft eingegangen. Hier wird der Müll nicht von den Verbrauchern (Verursachern) sortiert, sondern von den Sammlern. In Panipokhari fotografierte ich einmal einen indischen Pappesammler, der freudestrahlend sein vollbeladenes Fahrrad auf den Umschlagplatz schob. In Erwartung seines Tagelohns.

Und ich fühle mich befreit. Eine Schicht weniger. 

Der Tag beginnt frisch, aber unter dem heiligen Baum neben dem Shivatempelchen wird mir warm. Es sind ganz andere Tiere, die mich hier beäugen. Streifenhörnchen (Burunduks?), die emsig alle Opfergaben wegfuttern. Ehe die Raben einfallen. 

W. kommt endlich zurück. In unser neues Haus. Er hat eine Woche Zeit, um seine zerbeulten DeHaeLs auszupacken.

Sonntag, Dezember 08, 2024

Wunschloses Glück

Nun bin ich eine Woche hier auf dem Hügel und finde den steinigen Weg und eine sehr steile Treppe hinunter zu einem nur auf den ersten Blick vernachläßigten, baufälligen Tempelchen. Umgeben von riesigen Bäumen, einem uralten Laxmibaum, mit hängenden Luftwurzeln und innig verschlungenen Erdwurzeln. Endlich! Zurück. Zu meiner Morgenroutine.

Samstag, Dezember 07, 2024

Kopfarbeit

Ich gewöhne mir das Fragen ab. Heute ist Samstag, und man arbeitet eigentlich nicht. You have to be very strict - also bin ich es. Schaue von meinem Dach hinunter auf eine Parkanlage inmitten der Wildnis. Ich überlege, wie ich hinunterkomme. Ohne Umweg über die laute Golfutar. Google maps kennt nicht alle Wege. Der Husten plagt mich und der "staff" der landlady kommt und hängt gereinigte Vorhänge im Salon auf. Trotz Samstag. Der eine lässt sich nicht faltenlos aufrollen. Da müssen die beiden Jungs nochmals ran. Sie sind sehr freundlich. You have to be very strict. Ich gebe ihnen kein Trinkgeld, es ist nicht mein staff. Letzten Sonntag, als ich hier einzog, lümmelten die nämlich statt zu arbeiten im ersten Stock auf unseren Betten herum. Als ich gestern die Matratzen absaugte, kamen Kekskrümel und verbogene Vorhangringe zum Vorschein. You have to be very strict.

Freitag, Dezember 06, 2024

Handwerk


Ich bin im obersten Stock angekommen. Mit dem Putzeimer. Und sehe, wie der Baum vor meinen sauberen Fenstern gefällt wird. Dabei wollte ich immer schon den Community Manager fragen, was das eigentlich für ein Baum ist. Nun ist die Frage im wahrsten Sinne des Wortes hinfällig. Liegt vor meinem Fenster, zu meinen Füßen. Es war ein ganz gesunder Baum! Ich sehe es an den Splittern. Am gespaltenen Holz. Und am Schweiß des Mannes, der mit einer Machete in den Ästen hängt. Barfuß. Und dann in Slippers unten den Rest spaltet! Ohne Schutzkleidung, Schutzbrille, Schutzhose, Schutzschuhe, ohne Schutz und Gesetz und Verordnung. Gewerkschaft? Lachhaft! Ganz ohne Lärm. Der Baum wird in Totenstille zur Strecke gebracht. Nur ich rufe aus dem Fenster WHY?


Weil die Wurzeln eine Mauer zum Einstürzen bringen. Weil wir auf einem Hügel wohnen. Weil die Häuser aus Stein gebaut sind. Unten sind noch Gemüsefelder. Da herrscht noch das Dorf und die Selbstversorgung.

Donnerstag, Dezember 05, 2024

airflow max technology

Ich bin noch nicht wieder in meiner Routine angekommen, widersetze mich aber standhaft allen Versuchen, mich hier mit assistance for cleaning the house auszustatten. Bevor ich nicht einen Staubsauger besorgt habe, kommt mir kein nepalesischer Besen mehr ins Haus! Die zweieinhalb Monate im 10. Stock waren in mehrfacher Hinsicht so etwas wie die Vorhölle (oder das Fegefeuer) für mich. Nun bin ich im Windschatten der quirligen Golfutar zur einen Seite und des stillen Jagannath Temple zur anderen. Ich lese, Jagannatha means "The Lord of the Universe". Na bitte. Die Vorsehung ist mitten drin, auf meinem Dach! Ich bestelle online beim Hersteller direkt und der Staubsauger made in Nepal wird eine halbe Stunde später ins Haus geliefert. Ich sauge als erstes die Sofas im Salon ab. Damit ist der Staubsaugerbeutel schon zum ersten Mal voll. Wie ich ihn entleere, muss ich noch lernen.

Mittwoch, Dezember 04, 2024

überflutet

Ich habe zum ersten Mal die Waschmaschine im neuen Haus angestellt. Sie steht zuoberst, die Wäsche wird zum Trocknen auf dem Dach aufgehängt. So weit, so gut. Die Sonne scheint. Und dann läuft das Wasser bis ins Erdegeschoss. Der Abflussschlauch ist kaputt. Ich texte der landlady, sie schickt den community manager, der organisiert einen plumber. Ich wische derweil Seen auf. Und reinige bei der Gelegenheit die Treppen auf und ab. Zu guter Letzt will man mir einen boy zur Verfügung stellen, for cleaning. Ich lehne höflich dankend ab. Erstens ist die Sache erledigt, zweitens kenne ich den boy bereits. Der spricht kein Wort Englsich und ist auch sonst ziemlich begriffstutzig, von putzen hat er, wie die meisten Leute hier, leider keine Ahnung. Drittens will ich jetzt einfach keinen fremden Mann im Haus.

Der Eigene textet aus Shenzhen, kurz vor dem Abflug nach Beijing teething problems.

Dienstag, Dezember 03, 2024

ungehobelt

Ich muss laufen lernen. Die Bürgersteige sind gerade die größte Herausforderung. Bisher war es die Höhenangst. Die habe ich erfolgreich überwunden. Die Golfutar ist genauso laut wie die Lazimpat, aber irgendwie sympathischer. Lebendiger. Holperiger. Ungehobelter. Am Abend ein Ausflug in die alte Heimat. Endlich Le Sherpa. Abschiedsessen mit Dorota, die doch erst gestern des Weges kam, und ihrem Chris. Seltsam.

Montag, Dezember 02, 2024

unausgeschlafen

In der Nacht hörte ich Flugzeuge, obwohl der Flughafen neuerdings ab 22 Uhr geschlossen ist. In der Nacht bekam ich Halsschmerzen. Obwohl ...nun ja. Trotz allem. In der Nacht klag ich wach und suichte den Mond. Natürlich vergeblich.

Dorota aus Krakau kam des Weges. Der erste Besuch in meinen Hügeln. Wir stiegen aufs Dach, in der prallen Mittagssonne. Beim Hinuntergehen drehte sie ein vollkommen unverwackeltes Video. Für die restlichen Krakauer. 

Wer es sehen will, darf sich bei mir über andere Kanäle melden.

Sonntag, Dezember 01, 2024

umgezogen

Neumond in Kathmandu um 12:06 Uhr. Und Sonne. Und Umzug. Bei euch Advent. Hier beginnt der Mond seine neue Phase genau in der Mitte des Tages. Da steht Ihr gerade erst auf, aber der Mond ist an der selben Stelle angekommen wie hier. Wir fahren rechtzeitig über die Ringroad. Die Ampel hat lange Phasen, auch am Sonntag. Aber es sind keine Polizisten zu hören, die mit Trillerpfeifen den Verkehr regeln. Ab heute lebe ich außerhalb der mehrspurigen Umgehungsstraße. Aber immer noch innerhalb der Stadtgrenzen. Im Norden. An der frischen Luft. Im Schatten der Golfutar Main Road.

Der letzte Monat des Jahres beginnt mit dem neuen Mond, mit einer neuen location, einer neuen Sicht aus vielen unverstellten, geputzten  Fenstern, einem bald nicht mehr nur vorläufigen Schreibtisch und einem Baum! Grün wie alles hier zu dieser Jahreszeit.

Zum Schlafen kann ich mir eines der Zimmer aussuchen. Zum Nachdenken auch. Zum Arbeiten. Schreiben. Tun oder lassen. Noch bin ich allein in dem Haus in Hattigauda.

Samstag, November 30, 2024

perfect timing

 Besuch in Nr 34 mit einem Koffer voll Zerbrechlichem und Gefrorenem. Es wird geputzt und gehämmert, gestrichen. Der Gärtner ist da und pflanzt. Der Klempner ist da und kontrolliert. Die Vorhänge kommen aus der Reinigung und werden aufgehängt. Die Zimmer sind frisch gestrichen, die Betten aus den Arbeitszimmern verschwunden. Ich fülle das Gefrierfach mit 150 Mo:Mo's. Und drei Packungen Eis. Mein Nervenfutter. Es ist heiß und die Taxifahrer sind freundlich. Der letzte Tag des Monats. Die Verzweiflung hat sich gelegt und die Packroutine ist zurück. Ich mache meinen letzten Spaziergang die laute Lazimpat hinunter und wieder hinauf. Ich lasse eine neue Batterie in meine Armbanduhr einsetzen und kaufe einen Wasserkocher. Zu Hause stellt sich heraus, dass die Uhr falsch gestellt ist (aber läuft) und der Wasserkocher eine dicke Beule hat (aber funktioniert). Never mind. Nur das Gas am Herd schwächelt und geht ganz aus, gerade als mein Abendessen (fast) fertig zubereitet ist. Die Flasche ist endlich leer, was ich schon lange befürchtet (dass es im dümmsten Moment passiert) und erwartet hatte. Perfect timing!

Freitag, November 29, 2024

Freitag

Ich konnte nicht schlafen. Hab die halbe Nacht gepackt. Nicht wirklich. Aber in Gedanken. Dann bin ich um 06:25 aufgewacht und in Panik aus dem Bett gesprungen, weil um 06:45 mein Qigong-livestream beginnen sollte, mein vietnamesischer Thay aus Kalifornien in mein Wohnzimmer in Panipokhari (zum letzten Mal) treten und zu mir sprechen wollte. Well-Being Week 7! Aber da war nix. Stille im Äther und Löcher im Netz. Ein dankendes Sorry: Because of Thanksgiving and some reason, we are sorry that we will cancel Class today. So bin ich also wie immer am kühlen Morgen in den Wald marschiert. Und habe danach zwei Zimmer leergepackt und vor Sonnenuntergang nochmals 100 Mo:Mo's besorgt. Weil ich den Mo:Mo-Mann in Zukunft nicht mehr um die Ecke habe und in der Nummer 34 der Kühlschrank bereits eingeschaltet ist. Unterwegs durfte ich den geputzten, glänzenden, frisch polierten und lackierten Kumari Kunj Tempel bewundern und die goldene Glocke schlagen. Alles wird gut, schreibt W. aus der Waterloo Road. Der hat gut schreiben!

Donnerstag, November 28, 2024

Donnerstag

Ich zähle die Tage hinunter. Und nehme jetzt schon Abschied von meinem Wald und meinen Affen. Die haben sich in den letzten zwei Monaten erfreulich vermehrt. Kürzlich absolvierten sie Kletterschule, lernten Disziplin und Gehorsam. Zur Belohnung gab es Baumwipfelschaukeln. Einerkolonnentraben. Sie betrachteten mich alle skeptisch, vom Kleinsten bis zum Größten, zogen dann aber ihrer Wege durch die Bäume. Das Packen ist bodenständiger. Es strengt mich körperlich und mental an. Der Magen rebelliert. Alles wie gehabt. Aber das waren andere Zeiten, andere Dimensionen. Jetzt habe ich den Vorteil, dass ich nicht auf das Gewicht achten muss, keine Waage brauche (die ich eh nicht habe) und alle verfügbaren Behältnisse füllen kann. Die adretten bookboxes sehen zum Heulen aus. Ich stopfe unsere Wanderrucksäcke voll. Und zum Glück habe ich die Schlafsäcke mitgenommen. Die ersten Nächte werde ich campieren und im nächsten Sommer auf dem Dach schlafen! Das versprech ich Euch! Ich brauche nur ein Moskitonetz.

Mittwoch, November 27, 2024

34

 Im Aufwachen sehe ich den liegenden Fingernagelmond am Himmel. Abnehmend. Später am Morgen, da ist die Sonne schon aufgegangen, unterschreiben wir den Vertrag für die Nr. 34. Vierunddreißig ist zweimal siebzehn (34 = 2 x 17). Und die 17 ist die neue Glückszahl. Manche Dinge gehen hier so schnell, dass der Kopf nicht mitkommt. Die Hände aber schon. Ich packe! Ziehe uns zum nächsten Neumond um, da W. morgen verreist. Ich besorge sticky tape, 2 Rollen, und verklebe die verbliebenen lädierten Bookboxes. Soweit es geht. Und rede ihnen gut zu, mir noch einen letzten Gefallen zu tun. Einen Transport, gute 4 Kilometer, 10 Minuten ohne, das Doppelte mit Stau vor der Ampel am Ring auszuhalten.

Dienstag, November 26, 2024

Hattigauda

Andere Wörter. Andere Orte. Andere Menschen. Von Dhapasi Height weiter nach Norden zum Chandeswori Tempel, Phulbari, die Hügel hoch, es ist sandig und diesig, die Sicht schlecht, die Luft schlecht, heiß am Mittag. Wir husten auch in der Höhe. Dann wieder hinunter, durch Tokha und an vielen anderen, kleinen Tempeln vorbei. Überall ein Gewusel von Menschen und Shops und Mopeds. Bis wir in Hattigauda finden, was wir gar nicht gesucht haben: das Eckhaus Nr 34!

Montag, November 25, 2024

fassungslos

Ein schwieriger Montag voller Zerwürfnisse. Unschlüssigkeiten. Fragen ohne Antworten. Die Bäuerinnen vor dem Ranibariforest verkaufen Erdbeeren. In beiden Fahrstühlen und außen an den Parkplätzen hängen seit ein paar Tagen Zettel nur in Nepali. Das einzige, was ich entziffern kann, ist das Datum: 30.9.2059. Das bringt mich nun vollends aus der Fassung. 

Ich fotografiere und frage S., unseren Mann für alle Probleme des täglichen Lebens, höflich an, ob das, was auf dem Zettel steht, vielleicht auch uns betrifft: it's prohibited to throw any garbage out of the windows. Na bitte. Tatsächlich liegt jeden Morgen allerhand herum, wenn ich aus der Tür trete. 

Nach dem Datum habe ich vergessen zu fragen.

Sonntag, November 24, 2024

Zauberzeitenwörter

Eines könnte Tokha sein. Ein anderes ist Sailung. Und Dhading. Zweisilbig kommen und gehen sie. Ungefragt. Wie Träume. Letzte Nacht, genauer: heute früh im Morgengrauen, also in der Zeit zwischen Nacht und Tag, war ich schon wieder am Räumen. Oder Packen. In einem Zimmer mit einer riesigen, langen, runden Fensterfront. Es gab keine Ecken und kein Ende.

Heute geht die Sonne um 17:08 unter und das bleibt so bis zum Ende des Monats, ja bis weit in den Dezember hinein. Früher geht sie nicht mehr unter, sondern bereits ab dem 9. Dezember jeden Tag wieder später. Warum das so ist, kann mir niemand erklären. Oder die Zeitgleichung?

Weil die Sonne aber weiterhin jeden Tag später aufgeht, nimmt die Tageslänge trotzdem kontinuierlich ab. Wie es sich gehört. Bis zur Wintersonnenwende.

Samstag, November 23, 2024

Spurwechsel

Eigentlich Farbwechsel. Von Schwarz wie Teer zu Rot wie Erdbeere. Die Erdbeerernte beginnt. Auch in Japan war die Hochzeit der Erdbeeren mitten im Winter. Wir haben aber hier noch keinen Winter, sondern sonnige, warme Tage. Im Ranibariforest wurde sauber gemacht, so etwas wie Frühlingsputz. Rund um die mächtige Ficus Religiosa wurden alle verblassten und aus den Rahmen gefallenen Bilder, Tücher, Bänder,  Scherben entfernt, auch das Dartbrett, das dort am Stacheldraht hing, seit ich (hier) denken kann. Den Porpa Ajima Tempel putzten mehrere Frauen mehrere Tage lang mit mehreren Eimern, Besen, Lappen in Gummistiefeln, frühmorgens warm eingepackt mit Kopftuch, Mundschutz und Handschuhen.

Freitag, November 22, 2024

Geräusche

Ich kann nun unterscheiden, ob Mopeds hinter mir her gefahren kommen, Schul- oder andere Busse, elegante Privatkarren oder ein altmodisches Teerwägelchen. Ich weiß nun, wo der Teer wie aufbereitet wird, in welche bislang sandigen und steinigen Gässchen er auf welche Art und Weise ausgekippt und festgewalzt wird. Und wie sich Anwohner und Shutterstorebesitzer freuen über den neuen Straßenbelag und zu ihren Füßen. 

W. sagte kürzlich, bis in zehn Jahren würde sich die Stadt grundlegend verändert haben. Ich bezweifelte das. Er hat Vergleichsmöglicheiten im Kopf. Ich nicht. Ich habe anderes im Kopf.

Seit ich aber das Tempo bei den Straßenarbeiten nur in meinem täglichen Laufradius vor Augen habe, fange ich an, nachzudenken. Vielleicht werde ich ihm in naher Zukunft Recht geben müssen. Bäume allerdings, auch verdorrte, werden, wo immer möglich, verschont von dem zähflüssig kochenden pechschwarzen Gemisch. Und in Ruhe gelassen. Auch Ziegelsteinhaufen.

Donnerstag, November 21, 2024

Die Ampel

Nein, nicht die Deutsche, nicht die Politische. Sondern die Wahre. Die vor Blue Moon - dem Blauen Mond! Zu meinem Lieblingssupermarkt gelange ich nur, wenn ich einmal eine verkehrsreiche Magistrale überquere. Direkt vor dem Laden ist ein Zebrastreifen - der erleichtert aber nicht das Hinüberkommen und ich habe ihn selten benutzt. Ich vertraue meiner eigenen Strategie. Ausschau halten und bei der nächstbesten Gelegenheit losmarschieren. Das hat mich bisher vor jedem Übel bewahrt. 

Es gibt nicht viele Verkehrsampeln in Kathmandu. Und von den wenigen, die ich gesehen habe, sind die meisten nicht in Betrieb.

Seit gestern nun steht am Zebrastreifen, der direkt zum Blue Moon führt, eine funktionierende Fußgängerampel. Mit Sekundenanzeige. Rot wird die Zeit heruntergezählt, die wir wartend am Straßenrand verbringen müssen. Bis das Grün den Weg frei macht.

Von wegen Weg frei!

Mittwoch, November 20, 2024

Schwarzmilane

Die Greifvögel, auf die wir aus dem 10. Stock herabsehen, wenn sie am Vormittag hungrig ihre Kreise drehen, sind Schwarzmilane. Das hat W. in einer Fieberpause herausgefunden. Und die häufigsten Vögel in Kathmandu sind - wen wundert's: die Tauben, danach kommen die Spatzen und an dritter Stelle die Krähen.

Die Schwarzmilane sind gesellig und menschenscheu, fliegen in Schwärmen, sollen auch stimmbegabt sein und vor allem: Nahrungsgeneralisten!

Dienstag, November 19, 2024

Lieblinge

 Ich habe einen Lieblingssupermarkt, eine Lieblingsgemüsefrau und einen Lieblingsgemüsemann (spielt Gitarre und singt, wenn keine Kundschaft da ist oder Kundschaft da ist, die keine ist, sondern sich bei ihm zum Plaudern trifft), einen Lieblingsfrüchteverkäufer, meine ganze Lieblingsaffenbande im Ranibariforest und nun auch meinen Lieblingsapotheker. Er hat mir schon mehrmals aus der Patsche geholfen. Und seine Frau steht auf dem Tresen, wenn sie etwas aus den oberen Regalen braucht. Da ich schon morgens um 7 kaum atmen kann auf der lauten Lazimpat, gab er mir gestern etwas gegen das Kratzen im Hals und 5 Allergietabletten. Für 5 Tage. Er schnitt den Blister zurecht. Einzelne Tabletten habe ich in meinem bisherigen Leben nur für meine Kater bei der Tierärztin in Nindorf bekommen. Der eine war auch ein Allergiker, der andere ein Neurotiker und beide Sensibelchen, denen ich nur mit größter List die verschriebenen Medikamente in den Rachen schmeißen konnte. In Nindorf hatte niemand die Katermutter im Blick, ihr wurden die Blister ungerader Tagesrationen überreicht wie sie waren: scharf und kantig! Mein Lieblingsapotheker aber scheut keine Mühe und keine Zeit und kein Lächeln, mir mit einer kleinen Schere die drei scharfen 5-Tabletten-Blisterendenecken harmonisch und verletzungssicher rundzuschneiden. Er gab mir noch Hustensaft und Lozenges for sore throat. Davon holte ich mir heute früh noch zwei ganze Blister, nicht um ihm Arbeit zu ersparen, sondern weil es mir gut tut, sie zu lutschen. Was ich ihm auch sagte und er mit einem Strahlen im Gesicht quittierte. Natürlich ist alles Allergiebedingt, was ich habe. W. hingegen liegt mit Fieber im Bett.

Montag, November 18, 2024

Winter

Für die Nepali ist schon lange Winter. Sie tragen Mützen und Schals. Für uns wird es allmählich ungemütlich am Abend. Tagsüber ist Sommer. Zum Essen gestern abend wurde uns nun schon zum zweiten Mal warmes Wasser serviert. Meine Hände freuten sich! Zum Glück zog ich zu Hause die Lederjacke aus dem Schrank. Alle Gäste sitzen in Mänteln am Tisch. Auch das Personal ist warm angezogen. Es gibt keine Fenster, die man schließen könnte. Auch bei privaten Besuchen legt man Jacken, Mäntel, Mützen und Schals nicht ab. Man weiß gar nicht, wohin damit. Es ist wie in Tsukuba: nirgends gibt es Kleiderhaken. Auch in unserem 10. Stock nicht. Den zweiten Kleiderschrank musste ich mir hart erkämpfen.

Die Straßenhunde aber bekommen eine Decke! Und schlafen, wann immer es möglich ist - also tagsüber! -, in der Sonne.

Ungeplant ist heute Feiertag. Halbmastbeflaggung, Staatsbegräbnis (open-air cremation in Pashupati Aryaghat) des gestern verstorbenen Daman Nath Dhungana, eines Wegbereiters der Demokratie in Nepal. First Speaker of the House of Representative following the restoration of democracy in 1990, a multifaceted leader - wie ich im Nachruf lese.

Sonntag, November 17, 2024

Brinzauls

Noch ein bisschen andere, unheile Welt - für alle, die denken, Schreckensnachrichten, die im Sekundentakt rund um den Globus laufen, würden uns hier, aus welchem Grund auch immer, nicht erreichen. Brienz / Brinzauls wird heute erneut evakuiert, die noch im Dorf Lebenden (es sind etwa so viele, wie auf Hallig Hooge) müssen ihr Zuhause bis 13 Uhr Schweizer Zeit verlassen haben. Da ist bei uns bereits die Sonne untergegangen. Und wir sind auf dem Weg ins Pho 99 (sorry, wenn unpassend, aber wir haben etwas zu feiern: den zweiten 17.).

Das bündnerische Brienz unter dem Piz Linard wurde schon letztes Jahr im Mai geräumt von Mensch und Tier. Damals kam der Rutsch in der Nacht vom 15. auf den 16. Juni - und verschonte, dank der Fürsprache des Heiligen Calixtus, das Dorf. Jetzt, heißt es, könnte es schlimmer werden. Je nach Wetter. Obwohl immer noch die Unwahrscheinlichkeitsvermutung gilt. Die Leere im Dorf dürfte Monate dauern, den ganzen kalten Winter lang. Ob wieder nur die Kirchturmuhr zu jeder Stunde zu hören sein wird? Der Altar ist in Sicherheit.

Mehr Infos hier.

Samstag, November 16, 2024

Mond

Der zweite Monat ist um. Der Mond wird bei uns wieder erst nach Mitternacht voll. Und dann kommen die Morgennebel, die sich aber bald auflösen. Noch immer kein Herbstgefühl. Noch immer Tage voller Sonne. Ich wage mich an meine Haare.

Freitag, November 15, 2024

Wasser

Auf dem Hinweg in den Wald lag die Katze noch da, auf dem Rückweg war sie weg. Und der unappetitliche Fleck mit Wasser weggespült. Mit Wasser wird viel hantiert. Auch die geschlossenen Shutters werden von außen abgespritzt, ehe sie aufgerollt werden. Mehr oder weniger erfolgreich. Kürzlich bekam ich fast einen Eimer voll ab, als ich früh um die Ecke bog und der Besitzer des Tierfutterbedarfsladens am Putzen war. Er schmetterte gerade mit Verve einen Eimer Wasser an seinen Rolladen. Er war sichtlich peinlich berührt und ich beruhigte ihn lächelnd. Nix passiert.

Auch die Stadt schickt ihre Mitarbeiter mit Wassersprengern los, damit staubige Straßen und Gehwege gewaschen werden. Damit soll der Luftverschmutzung entgegengewirkt werden, die gerade massiv zunimmt, angeblich weil es zu wenig regnet, weil die Winde ungünstig wehen und die Bauern in Indien ihre Stoppelfelder abbrennen, damit sie neue Saat ausbringen können. Auch in Kathmandu - Metropolitan City! - wird in jedem Hinterhof alles verbrannt, was auf einen Haufen geworfen wurde. Das ist wie Biike an der Nordfriesischen Küste. Mit dem Unterschied, dass hier die Feuer in eng bebauter Stadtlandschaft brennen und unter dem zusammengetragenen Grünzeug meist noch unsortierter Müll mitverbrannt wird. 

Die Luft ist tatsächlich am späten Nachmittag schwer zu atmen. IQAir (a Swiss group that collects air quality data from around the world) hat Nepal gerade unter die Top Six der Länder mit der schlimmsten Luftqualität eingeordnet.

Donnerstag, November 14, 2024

Katze

Es gibt viel mehr Hunde als Katzen. Oder ich sehe nur die Hunde, weil die ständig unterwegs sind, überall herumlaufen, sogar die laute Lazimpat gehört ihnen. Oder sie liegen erschöpft im Schatten. Und bellen nächtelang. Und die Katzen? Verkriechen sich. Seit gestern liegt eine junge tote Katze mitten auf der Straße, auf meinem morgendlichen Weg zum Ranibariforest. Die Hunde beschnüffeln sie, wenden sich aber gelangweilt oder angewidert ab. Ich verstehe weder die Tiere noch die Menschen in diesem Land. Letztere hocken vor ihren Häusern am Straßenrand und gucken, plaudern, lachen. Putzen vor ihrer Haustür. Stören sich aber nicht an der toten Katze. Die liegt im Niemandsland.

Mittwoch, November 13, 2024

Schuhe

Mittwoch, der Dreizehnte! Und ich habe den ersten richtigen Schuhmacher gefunden. In meiner Laufnähe. Der macht Schuhe und liefert frei Haus. Das habe ich mit eigenen Augen gesehen. Ob er aber beispielsweise auch meine Think's reparieren kann, wird sich zeigen müssen. Wenn ich soweit gelaufen sein werde, dass sie neue Sohlen brauchen.

Dienstag, November 12, 2024

Abfuhr

Ich stelle keine Vergleiche an. Schütte keine Häme aus. Es ist hier wie überall, nur sehr viel angenehmer. Die Leute sind freundlich, die Tage hell, die Temperaturen gemäßigt. Niemand missgönnt hier irgendjemandem irgendetwas. Die Frauen tragen alle dichtes, schwarzes hüftlanges Haar. Nur ich bin grau- und kurzhaarig. Nur meine Haare können zu Berge stehen.

Ich bin nun im Besitz von zwei weiteren Kalendern. Nach Nepal Sambat, Bikram Sambat, Anno Domini nun auch noch Meldorfer Abfuhrkalender in doppelter Ausführung. Für zwei Straßenzüge. Zeitmesser. Zeitfresser. Zeitvergeuder. Zeitschleuder. Auf billiges, dünnes, durchscheinendes Papier gedruckt. Die AWD (Abfallwirtschaft Dithmarschen) bestand darauf, dass ich meine aktuelle Adresse mitteile. Die brauche sie für die Schlussrechnungen. Ich hatte zwei Verträge, da ich zwei Haushälften eines einzigen Hauses besaß, deren Eingänge auf verschiedene Straßen hinauslaufen. Die Schlussrechnungen könnten nur per Briefpost versandt werden, bekam ich zu hören. Das System sehe nichts anderes vor.

Abzurechnen gibt es selbstverständlich nichts. Müll wird in Deutschland nicht nach Verbrauch abgerechnet. Sondern nach Tonnen, die vor den Häusern stehen, in bunten Farben, die man gehalten ist ordentlich zu befüllen. Oder auch nicht. Bezahlt wird trotzdem. Ich habe das Haus mit den zwei Adressen mitsamt Mietern und Tonnen zum Ende des 3. Quartals des laufenden Jahres verkauft. Die drei ersten Quartalszahlungen sind selbstredend fristgemäss erfolgt. Für das 4. ist der neue Besitzer mit seinen Tonnen und Mietern zuständig. Heute früh, auf dem Weg zum Ranibariforest (den zweiten Tag in Folge in Wanderschuhen), überreichte mir der immer freundliche Guard einen Umschlag aus Heide in Holstein. Die Post von gestern. Die AWD schickt 2 Endrechnungen Abfallentsorgung 2024 mit Saldo 0,00. Wie erwartet. Und zwei "persönliche" Abfuhrpläne für das Jahr 2025. Mit schreienden Hinweisen wie "Achtung!", "Unbedingt aufbewahren!", "Unbedingt weitergeben!", "Wichtige Information für Vermieter!" Abfuhrkalender an Mieter weitergeben! Alles mit Ausrufezeichen. Kein Rufzeichen vom Himmel sondern ein Befehl aus der Heide, von den Heiden. Die sagen: "Es werden keine Kalender mehr als Postwurfsendung verteilt."

Na Gottseidank! Ein Kalender weniger. Der Postwurfsendungskalender. Der Brief war seit dem 27.9. unterwegs. Keine Wurfsendung, sondern mit Marke wie es sich gehört. Brief International.

Montag, November 11, 2024

Kunz

Hinz und Kunz. Kleiner Spaziergang am Nachmittag im Grünen. Kaffee im Café Kunz. Sonnenschein. Keine Gans, kein Nebel, kein Umzug. Irrlichtern hatten wir schon zur Genüge. Jetzt ist Frühling angesagt. Wir machen das erste (private) Selfie!

Sonntag, November 10, 2024

Kreuzworträtsel

Das Leben ist kein Kreuzworträtsel. Kein symmetrisches Gitter mit magischen Quadraten, in die nur ein richtiger Buchstabe passt. Nein, das Leben ist ein Rätsel ohne Kreuz! Und wer immer noch Fragen stellt und wissen will, warum wir - W. und ich - gerade sind, wo wir sind und tun, was wir tun, mag den Papst in Rom oder den lieben Gott fragen, das Auge des Himmels, Surya oder Savitri, den Gott der frühen Morgensonne. Buddha, Laxmi oder Mister Wynnes Opa!

Samstag, November 09, 2024

Dhindo

Frühes Mittagessen am Lakuri Bhanjyang. Wir besichtigen mit Lhakpa Phuti unbebautes Land und stiefeln in steilen Hängen herum. Auf knapp 2000 MüM. Stiefeln ist selbstredend ein Euphemismus. Sie in Slippers, wie alle in diesem Land, auch die Arbeiter auf dem Gerüst vor meinem provisorischen Schreibtisch, ich in Think!s ("The soul becomes dyed with the colour of its thoughts ... we Think!"), S. im letzten Schrei von Geländelaufschuhen (oä). Die andern beiden bleiben auf halber Höhe beim Car. Wir gucken auf den Nachbarhügel, der bereits abgerodet und bebaut ist mit einem Yoga-Resort (oä) und zur Strafe beim letzten Unwetter argen Schaden genommen hat. Der Weg hierher war sehr wackelig, eng, sandig, steinig, rutschig. Mit Landrover und Allradantrieb und einem perfect driver! Die Erde tritt an allen landslides ockergelb zutage. Die Straße wurde nach den katastrophalen Regenfällen behelfsmäßig geräumt und befestigt. Es kommen uns wenige Mopeds entgegen. Die Sicht ist nicht gut. Diesig. Der Horizont wolkenverhangen. Bei gutem Wetter würden wir die schneebedeckten wahren Berge (Himalaja) sehen. So sehen wir das Valley unter uns, die riesigen Städte, Kathmandu, Lalitpur, Bhaktapur, die zu einem einzigen Häusermeer verschmelzen. Wir sehen Flugzeuge landen und starten. Wir atmen sehr frische, sehr kalte Luft. Auf dem Rückweg essen wir, versteckt am Hang in einer Bambushütte local food. Halbprivat und doch professionell mit sauberem Koch. Dhindo mit scharfem Gemüse. Delicious

Zurück in die laute Stadt. Ich gucke (aus dem Fenster auf dem Rücksitz) wie immer in alle Shuttershops und sehe Frisöre, die mit hygienical haircut werben. Siesta im 10. Stock.

Freitag, November 08, 2024

DST

Ich bin eine Stunde zu früh aufgestanden. Es ist mir entfallen, oder hatte gar nie Platz in meinem Hirn genommen, dass auch in Kalifornien die DST (Daylight Saving Time) kürzlich zu Ende gegangen ist und ich mich also von meinem Thay im Deer Park Monastery um eine weitere Stunde entfernt habe. Oder umgekehrt. Er beginnt den lifestream mit seinem gestrigen Spät-Nachmittags-Qigong nach der PST (Pacific Standard Time) und bei mir im zehnten Stock herrscht unverändert die Nepalesische Zeit. Die einzig Verlässliche. Am Bagmati flößen derweil Hindufrauen der aufgehenden Sonne arghya (curd and water) ein, singen das Gayathri Mantra und gehen spirituell und physisch gestärkt wieder nach Hause.



Auf meinem Nachmittagsspaziergang komme ich endlich - dank googlemaps, meinem starren Blick und den sturen Schritten - schnurstraks von Süden vor mein bewachtes Tor. Auf einem engen Durchgang zwischen Häusern, Gärten und hohen Mauern, die einen das Fürchten lernen könnten. Aber ich sehe die Twin- bzw Triplet-Towers (der dritte, grüne im Bau) die ganze Zeit vor mir, also muss auch ein Weg hinführen.


In der Nacht erkenne ich von meinem hohen Fester aus unten die schmale beleuchtete Spur. 

Ein langer, von Erfolg gekrönter Tag!

Donnerstag, November 07, 2024

Chhath Parba

Ich erledige Pendenzen, arbeite helvetische Altlasten ab. 

Es ist schon wieder Feiertag, Chhath Parba oder Dala Puja. Chhath ist der sechste Tag - nach Tihar, nach Divali, nach dem Lichterfest. Deshalb rauschen manche Fassaden bis heute immer noch im Lichtermeer. Heute wird die Sonne, am Abend der Sonnenuntergang und Chhathi Maiya verehrt. Mit arghya. Morgen früh der Sonnenaufgang. Der Feiertag dient der Reinigung, der spirituellen wie der körperlichen, und wird deshalb vorzugsweise an Flüssen, in Kathmandu am Bagmatiufer gefeiert.

Ich reinige meine elekronischen Geräte von Wattenmeerbildern und erneuere alle Passwörter. 

Mittwoch, November 06, 2024

swimming pool

Es ist wieder heiß geworden. Und ich bin immer noch auf der Suche nach einem Hinterausgang aus unserem Twintower Komplex. Dabei entdeckte ich heute Mittag hinter Block A den Swimmingpool (leer!) mit pool rules (von wegen, dass ich hier nicht schwimmen kann!), und den Fitnessraum (verstaubte Geräte, seit langem nicht benützt). Das scheint zur Standardausrüstung solcher Wohnanlagen zu gehören. Weil ich keinen anderen Ausweg finde, laufe wieder durch den Haupteingang wieder in Richtung der wieder lauten Lazimpat hinaus, lasse mir wieder von den guards (namaste, have a nice day) Tür und Tor öffnen. Postalisch würden wir an derselben Straße wie der Prime Minister, Chief Justice und Speaker of Parliament wohnen, wenn hier irgendjemand Straßennamen zur Orientierung nutzen würde. Ich weiß wirklich nicht, wie die Fahrer von InDrive oder Foodmandu uns finden. Aber sie kommen zuverlässig immer irgendwann vor dem richtigen Tor an, vor der richtigen Tür.

Dienstag, November 05, 2024

Rangoli

Langsam kommt wieder Normalität auf, das Glitzern und Leuchten verebbt. Die Nacht war ruhiger. Am Morgen nimmt der Verkehr zu und bis zum Mittag die Luftqualität ab. Der Regen der letzten Nacht hat die meisten Rangoli weggewaschen, in unserem Hausflur übernehmen die cleaning ladies diese Aufgabe, denn da regnet es defintiv nicht rein. Die Tonscherben der ausgebrannten Kerzenschalen fegten entweder die Hausbesitzer oder die Müllmänner weg und alles was essbar war, Reis, Kekse, Bananen kam den Tieren zugute.

Rangoli - jetzt wo alles vorbei ist, lerne ich Wörter. Das Wort Rangoli kommt aus dem Sanskrit rangavalli, und besteht aus ranga für Farbe und avalli für Streifen, Linien. Die "Hauptzutat" für das wunderbare Zeichen am Boden, vor den Hauseingängen, auf den Straßen ist die Vergänglichkeit. Man soll Buntes mischen: Sand, Kalkstein, Getreide- oder Gewürzpulver, pasupu, sindooram, zerstampfte Blüten, Blätter usw. Möglichst bunt, denn so mag es die Göttin Laxmi, die in den letzten Tagen und Nächten viel zu tun hatte, den Wohlstand und das Glück über alle Häupter und unter alle Dächer zu bringen. Das Material dazu can easily found everywhere, lese ich, damit auch arme Leute die Möglichkeit haben, der Göttin den Weg zu weisen. Und es dient auch einfach der Hygiene: der Kalk soll Insekten und Mikroben daran hintern, ins Haus zu kommen, und das Getreide, die frischen Blüten sie umgekehrt anziehen. So werden die Schädlinge gefüttert und der Hauseingang bleibt rein.

Taza Treats - der syrische Süssigkeitenladen um die Ecke hat sein Rangoli mit Zucker und Sahne gemalt.

Montag, November 04, 2024

Tritiya

Es ist immer noch Feiertag. Oder schon wieder. Oder ein neuer. Oder alles zusammen. Jedenfalls ist die Lazimpat leergefegt und die Ampel vor der Botschaft der UAE steht auf Dauergrün. Es ist der dritte Tag nach Neumond. Shukla Paksha Tritiya. 

Dieser dritte Tag kommt zweimal in jedem Monat vor, wie andere Tage auch. Einmal bei zunehmendem Mond, also heute. Und einmal bei abnehmendem Mond, also später, ungefähr in zwei Wochen. Am dritten Tag nach Vollmond. Krishna Paksha Tritiya. 

Und um hier größtmögliche Verwirrung zu stiften, habe ich nachgeschlagen in der Tritiya Date List 2024 und herausgefunden, dass die heutige Tritiya gestern um 10:05 pm begonnen hat und heute Nacht, kurz vor Mitternacht, genau um 11:24 pm endet. In Indien. Ob das auch für Nepal gilt, entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht ist bei mir im 10. Stock alles um 15 Minuten nach vorne verschoben. Also 10:20 pm - 11:39 pm. Passt auch noch gerade so in meinen 4.11.

Sonntag, November 03, 2024

Bhai Tika

Der fünfte und letzte Tag von Tihar. Nochmals ein wichtigster Haupt-Abschluss-Feiertag. Jedenfalls ist heute alles geschlossen. Nur die Arbeiter am dritten Turm vor meinem Fenstern hämmern und lärmen den ganzen Tag. Ich muss nicht alles verstehen in diesem Land. Am Nachmittag regnet es ein bisschen. Und früh, auf dem Weg in den Ranibariforest, riecht es nach Herbst, da während der Feiertage nicht so viele Abgase produzierende Gefährte unterwegs sind.

Geschwister, Brüder und Schwestern feiern heute ihre Verbundenheit. Die Schwestern singen heilige Mantras und verehren ihre Brüder, indem sie ihnen das oder die Tika auf die Stirn malen. Das heilige Zeichen setzen. Und ihnen Wohlergehen wünschen. Wenn es den Brüdern gut geht, geht es auch den Schwestern gut, denn die genießen deren uneingeschränkten Schutz. So ist das hier.

Und wer keine Schwester hat, geht in den Balgopaleshwar Tempel in Rani Pokhari und bekommt auch seinen Segen. Und sein Glück.

Und ich habe endlich begriffen, welche Rolle die Tiere der letzten Tage eigentlich spielen. Der Legende nach waren Yama (Lord Yama, der Gott des Todes) und seine Schwester Yamuna verabredet. Er war aber sehr beschäftigt mit dem Aussortieren der Seelen und der Frage, welche er nach oben in den Himmel, und welche nach unten in die Hölle schicken darf. Als Yama zum vereinbarten Zeitpunkt nicht erschien, machte sich Yamuna Sorgen und versuchte, ihren Bruder zu erreichen - heute wäre das easy per whatsapp oä. Yamuna besaß aber kein Smartphone und war nicht Sadhain On (always online), also schickte sie 1. eine Krähe mit einer Nachricht los, 2. einen Hund, 3. eine Kuh. Als alle drei Nachrichten unbeantwortet blieben, machte sich Yamuna am fünften (wo ist der 4. Tag abgeblieben? der Berg? das Selbst?) Tag selber auf den Weg, traf ihren fleißigen Bruder Yama bei der Arbeit und segnete ihn mit dem Ritual, mit dem heute alle Schwestern ihre Brüder segnen.

Samstag, November 02, 2024

Goruh Tihar

Der vierte Tag von Tihar. Oder Divali. Nach meinem Nepali Calendar Patro: Nepal Sambat 1145 Starts. Gleichzeitig sind wir im Bikram Sambat 2081, kartik 17. Und Anno Domini 2024, 2. November. Allerseelen. Die Newari führen heute die Maha Puja durch, Neuanfang, Selbstanbetung und Reinigung der Seele. Andere beten die Ochsen an. Und die Berge. Manche sagen, das alles sei schon gestern gewesen. Aber heute früh im Wald hörte ich eine einsame Kuh muhen. Vielleicht eine vergessene von gestern, die sich nach ihren Artgenossen sehnte oder gemolken werden möchte. Das Muhen kam aus der Richtung der Polizeihundeschule, wo sonst am Morgen immer Dutzende Polzeihundeschüler herumkläffen. Wahrscheinlich beim Morgenappell, vor dem Fressnapf. 

Die Berge! Einige Hindus führen heute die Govardhan-Puja durch - ein Ritual für den Berg Govardhan, der den Sieg von Lord Krishna über Lord Indra symbolisiert. So etwas wie die Arche Noah. Lord Indra ließ die Heimat von Lord Krishna überfluten (warum weiß ich nicht, Götterfehden eben, Wasserspiele) und Lord Krishna erhob den Govardhan-Berg aus den Fluten, damit sich Mensch und Tier auf ihn retten konnten. Gefeiert wird heute mit Bergnachbildungen aus Kuhdung. Vielleicht muhte deshalb die Kuh im Wald.

Freitag, November 01, 2024

Gai Tihar

Neumond und Gai Tihar, die Hauptfeiertagsnacht. Die Feuerwerke hatten wir schon letzte Nacht. Die Newaris feiern den Beginn des Jahres Nepal Sambat 1145 - oder erstmal das Ende von 1144. So etwas wie Silvester. Diese sogenannte Nepal Era ist seit 2007 wieder einer der drei offiziellen Kalender des Landes, davor war er genau 888 Jahre lang, nämlich von 881 bis 1769 unserer Zeitrechnung, der einzig Gültige und Verpflichtende. Als der Gorkha König Prithvi Narayan Shah die Herrschaft übernahm, führte er natürlich auch eine andere Zeit und einen anderen Kalender ein: Shaka Samabat. Und morgen beginnen die Newari das Jahr 1145 (was, wenn ich richtig rechne, fast aufgeht: 888 bis 1769, seither sind 255 Jahre vergangen - oder auch ein bisschen mehr, da der Lauf der Zeit dem zaudernden Mond unterworfen ist = also sind wir um das Jahr 1143/1144 angekommen). Zugegeben: es ist reichlich kompliziert! Aber hell und glitzernd. Aufregend. Wir sehen Kathmandu illuminated with an array of vibrant lights. Warum die Lichterketten unruhig sein müssen und tanzen oder vibrieren, ist mir nicht klar. Damit kommt die Nacht nicht zu Ruhe, die Dunkelheit nicht, die Zeit nicht, der Kalender - welcher auch immer - nicht und wir und die Stille erst recht nicht.

Der Mond wird erst heute nach Sonnenuntergang, um 18:21 local time, leer. Tihar wird in der Neumondnacht des achten Monats (= Kartik) des hinduistischen Kalenders gefeiert. Diese Nacht, also die kommende, gilt als die dunkelste des Jahres und wird deshalb mit kunterbunten, allüberall von den Fassaden hängenden Lichterketten und in allen Ecken brennenden Kerzen aufgehellt. Dass diese dunkelste Nacht in Nepal in diesem Jahr mit dem katholischen Allerheiligen, bzw heidnischen All Hallows’ Eve - Halloween zusammenfällt, ist Zufall und - wie alles hier - nur dem Mond geschuldet.

Donnerstag, Oktober 31, 2024

Kukur Tihar

Zweiter Tag von Tihar. Kukur Tihar. Anbetung der Hunde. In der Stadt leben viele Hunde, Straßenhunde. Polizeihunde. Streunende Hunde. Treue Hunde. Schlafende Hunde. Satte Hunde. Ich habe noch keinen hungrigen Hund und noch keinen bösen Hund gesehen, wurde aber vor einiger Zeit auf einem meiner Spaziergänge von zwei ängstlichen Mädchen in einer staubigen Gasse gebeten, dass ich - ich? ausgerechnet ich? - ihnen Geleitschutz gebe, denn da vorne um die Ecke seien Hunde, vor denen sie sich fürchten. Ich versuchte die Schwarzhaarigen und Schwarzäugigen kleinen Schönheiten zu beruhigen, wie S. mich immer beruhigt: don't worry, nothing happens. Wir kamen dann tatsächlich an einem Rudel gut erzogener Hunde vorbei, die träge im Schatten lagen und sich nicht im Geringsten für uns interessierten. Die Mädchen bedankten sich artig und sprangen erleichtert davon. 

In unseren Twintowers leben Haushunde, die sich stundenlang von Block A nach Block B, von der 12. Etage in die 6. oder 7. kläffend unterhalten. Hunde werden hier als Wächter der Himmelstore verehrt, heute dankt man ihnen mit Ringelblumengirlanden (die die Wächter weniger interessieren dürften) und reichlich Futter. Auf dem Heimweg vom Morgengigong sah ich eine kleine schwarze Katze, auch mit einer sonnenuntergangsgelben Blumengirlande um den Hals. Alle Tiere werden hier geliebt.

Mittwoch, Oktober 30, 2024

Kaag Tihar

Schon wieder Feiertag. Eine ganze Serie von Feiertagen steht uns bevor! Heute der erste Tag von Tihar, dem Lichterfest. Und das FrauenFußballFinale. Nepal gegen Bangladesh. Wieder im Dasharat Stadion. Wieder in Kathmandu. Ausverkauft. Ich hätte mich frühmorgens in die Schlange einreihen können. Aber ich ziehe das Sofa vor. Zum ersten Mal in meinem Leben gucke ich ein Frauenfußballspiel in voller Länge. Auf Kantipur-TV. Auf dem Smartphone. Beine hochgelagert. W. in Pokhara auf dem Flughafen. Irgendwo in einer zugigen Ecke. Kürzlich kam er einen halben Tag (= eine ganze Nacht) verspätet an, heute eine halbe Nacht (= ein ganzes Frauenfußballfinale).

Die nepalesische Torhüterin ("our flying goalkeeper") glänzt und patzt. Es reicht nicht für den Titel. 1:2 für Bangladesh.

Heute also Kaag Tihar, der Tag der Krähen. Wer Krähen füttert und ihnen dankt, vermeidet Unglück, denn sie gelten als Boten des Todes. Vielleicht gilt das auch für Tauben. In unseren 12-stöckigen Twintowers werden Tauben exzessiv gefüttert, entsprechend verhalten sie sich. Exzessiv.