Dezember 31, 2024

black moon

Neumond - bei uns heute, am letzten Tag des Jahres 2024 AD. Bei Euch gestern, kurz vor Mitternacht. Black moon - ein zweiter Neumond im Dezember. Mein persönlich zweiter auf dem Hügel. Wir haben uns gut eingelebt und wollen nicht mehr weg. Zur Feier des Tages leisten wir uns eine Flasche Sekt, hergestellt in Indien, was sich erst nach intensivem Studium des Etiketts offenbart. Kostet so viel wie zwei heater, von denen wir uns einen zu Weihnachten geschenkt haben. Preise sind ein Karussell wie die Temperaturen. W. träumt von einem altmodischen CD-player, weil er viele Lieblings-CDs mitgenommen hat. Niemand hört mehr CDs wie wir Altvordern. In Dithmarschen und Hamburg haben wir mehrere dieser Geräte zurückgelassen, verschenkt oder - weil sie wirklich niemand mehr haben wollte - im Elektromüll entsorgt. Er fand nun eine CD Soundmachine bei einem nepalesischen online-Händler, der soll das Anderthalbfache meines Designerschreibtisches kosten. Der Schreibtisch kostete ungefähr 25 heaters, der anachronistische CD-player würde ganze 36 kosten! Damit könnten wir noch einige Jahrhundertwinter durchheizen. Ich protestiere. Dann lieber bei einem Schrotthändler fragen. Oder einen zweiten Schreibtisch kaufen und CDs über laptop hören! Eine Packung mit 200 gr entsteinten arabischen Datteln kostet soviel wie eine Packung mit 200 gr nicht entsteinten arabischen Datteln. Zusammen mit einer Großpackung (400 gr) Cashewnüssen ungesalzen pure nature soviel wie der neue Wasserkocher. Ein Pfund Kaffeebohnen der Sorte KatmanDU (100% Arabic Coffee, shade grown at an altitude of 1150 - 1300 meters in the foothills of Ganesh Himal, each harvest hand-picked, timely fermented, wet processed and sund-dried) ebenso, Der Wasserkocher selbst ist soviel wert wie ein Dreiviertelheater. Der Halbliterhenkelmann zusammen mit einer Steel Luxury Wasserkaraffe ergibt nochmals einen ganzen heater. Ein Kuchen, ein ganzer Orangenkuchen aus der GATE-Bäckerei, kostet hingegen weniger als ein Zehntelheater. 

Vielleicht ist der heater die Währung unserer Zukunft, nachdem die Post abgeschafft und DHL endgültig aus der Mode gekommen ist. Ein wahrlich ereignisreiches Jahr geht zu Ende! Wünsche alles erdenklich Gute in alle erdenklichen Ecken dieser erdenklichen Welt mit allen, wirklich allen erdenklichen Zeichen und Wundern! 

Dezember 30, 2024

Tamu Lhosar

Die Gurung in Nepal feiern heute Neujahr. Tamu Lhosar. Nach ihrem Kalender ist heute der 15. Poush. Sie folgen, wie die Chinesen, einen 12-Jahrestierkreiszeichenzyklus - haben aber andere Tiere. So verabschiedeten sie gestern Garuda, den wunderbaren und mächtig mythenbeladenen Vogel oder das Reittier in Adlergestalt, und begrüßen die Schlange. Auch in China beginnt beim nächsten Frühlingsfest das Jahr der Schlange. In diesem Jahr verhältnismäßig früh, Ende Januar.

Lhosar ist das Wort für Neujahr aus tibetisch "Lho" (Jahr) und "sar" (neu, Wechsel). Tamu gehört der Volksgruppe Gurung. Auch andere Volksgruppen haben ihre Lhosars, die Tamangs, Sherpas, Hyolmos usw. Nur leider nicht am selben Tag. Die Gurungs starten heute in ein neues Jahr, die Tamangs beim Januar- oder Februarvollmond, die Sherpas während Gyalpo Lhosar, also beim Februar oder Märzvollmond. Das heißt, wir können ab sofort jeden Monat feiern. Unser bisheriges Silvester-/Neujahrstreiben erscheint dagegen ziemlich erbärmlich.    

Tamu Lhosar wird außerdem eine Woche lang gefeiert, aber nur heute ist public holiday - was ich daran merkte, dass heute früh der Müll stehen geblieben ist (er wurde aber am Nachmittag eingesammelt). Vor allen Häusern auf dem Hill. Und dass die Kinder auf der Straße Fußball spielen statt in der Schule zu sitzen. Die Kathmandu Gurungs feiern in Tundikhel mit einem cultural rally. Tänze, Fanfaren, schön gekleidete fröhliche Menschen, Geschnatter und Gefutter, aber auch sportliche Wettkämpfe und Blutspenden.

Dezember 29, 2024

Electrician

Heute also Sonntag. Normaler Arbeitstag. Der Elektriker kommt bei schönstem Sonnenschein auf dem Moped angefahren. Er überprüft nicht funktionierende Steckdosen. Da er nicht ein einziges Wort Englisch spricht, sitzt hinten auf dem Moped ein staff member der landlady, der das Haus in- und auswendig kennt. Er brachte schon gereinigte Vorhänge und verteilte sie auf alle Fenster, strich Wände, entfernte überflüssige Bettstatten usw. Nun also Strom. Auch der alte Elektriker scheint das Haus und seine innersten Geheimnisse und Verknüpfungen gut zu kennen. Auf alle meine Fragen weiß er eine Antwort. Warum das Licht über der Waschmaschine nicht von innen (wo sich zwei Lichtschalter befinden) angeknipst werden kann. Sondern ich die Tür, die gestern der carpenter behaute und beschlug wie ein Hufeisen, öffnen, auf die Dachterrasse treten und dort den richtigen von mindesten 5 Schaltern auswählen muss. Geht nicht anders, erklärt er in einem Wortschwall, den ich ihm nie zugetraut hätte. Von dem ich eine kompakte Übersetzung bekomme: no way! Ich gestehe, dass ich das Licht eigentlich gar nicht brauche, da ich nie nachts wasche. Daraufhin bedankte sich der übersetzende Helfer höflich! Weiter wollte ich wissen, warum ich eine Lampe im Schlafzimmer nicht anmachen kann, auch wenn ich alle Möglichkeiten ausschöpfe, sprich Dutzende von Schaltern betätige. Ohne Erfolg. Ohne Licht. Der electrician bittet um einen Stuhl, steigt hoch und dreht an der Glühbirne. Sie war nicht richtig eingeschraubt. Nun muss noch der richtige Schalter dazu gefunden werden. Er findet ihn zwischen Tür und Schrank am Boden. Ok. Es gibt Schalter zu denen man sich hinabbeugen muss und es gibt Schalter, die man bloß auf Zehenspitzen erreicht. Oder nur auf der Leiter. Es gibt eine unglaubliche Menge an Schaltern in jedem Zimmer, im Treppenhaus über drei Stockwerke hinauf und wieder hinunter, im ganzen Haus innen und außen herum. Weil, um nur eine schmallippige Erklärung zu suchen, zu finden, anzubieten, auch jede Steckdose ein- und ausgeschaltet werden kann und muss - daneben aber Dutzende von Schaltern überflüssig scheinen, da sie ins elektrische Nichts, Nirgendwo oder ins Nirwana führen.

Dezember 28, 2024

Carpenter

Ein trüber Tag wie noch nie. Ich sitze den ganzen Tag in meiner neuen Winterjacke am Schreibtisch - bis der carpenter - Tischler kommt, um knirschende, klemmende Türen wieder gängig zu machen. Heute, am nepalesischen Ruhetag. Der passe ihm am besten, hatte die landlady mitgeteilt. Er selbst spricht, wie fast alle Handwerker hier, so gut wie kein Englisch, jedenfalls kein für mich Verständliches. Er braust mit dem Fahrrad in die Siedlung und wird sofort von der Security angehalten, es nicht auf einem Autoparkplatz abzustellen, sondern in meinem Vorgarten. Er trägt einen Helm und hängt ihn an den Lenker. Ansonsten hat er nur eine Plastiktüte voller Kleinwerkzeug dabei. Einen Tischlerhammer, eine Zange, mehrere Schraubendreher und so etwas wie einen Spalter. Holzspalter. Damit haut er immer wieder kleinste Splitter von der Tür oder deren Rahmen. Veranstaltet einen Lärm, dass Gott - oder Shiva erbarm.

Dezember 27, 2024

Pasikot

Ich suche Landwege. Weiche in den Westen der Magistrale aus und laufe nach Norden. Befinde mich sofort in rural area: hier wir gepflanzt, geerntet, gewässert, gehütet. Ich sehe seit Monaten zum ersten Mal wieder Schafe. Und natürlich wie überall an den Straßenecken angebundene Ziegen und Kühe. Manche werden auch spazieren geführt. Freilaufende Hühner. Viele an der Sonne dösende Hunde. Sehr entspannt. Sehr warm. Ich laufe weiter nach Pasikot und weiter nach Norden. Bis ich den Tempel erreiche und das valley fast verlassen habe, und die Sonne bereits am Untergehen ist.

Dezember 26, 2024

si:ʤi:

Die getigerte Katze hat zu Weihnachten einen Namen bekommen, auf den sie hört, als hätte sie nie einen anderen gehabt: SEE-GEE [si:ʤi:]! Das GEE [ʤi:] zischt heimtückisch nach dem stimmlos und scharf die Luft wie ein Schwert durchschneidenden SEE [si:] durch die Siedlung und holt sie zu mir vor das Küchenfenster. Wenn die Sonne untergeht. Wenn die Zeit gekommen ist. Wenn ich sie zum Essen rufe wie ein draußen herumtrödelndes Kind. Dann kommt sie angetrabt, oder wartet schon in sicherer Entfernung, versteckt unter dem Busch aus Angst (vor mir) und voller Gier (auf mein Futter). Sie ist scheu, aber raffiniert. Ein taktisches Weib (nehme ich mal an) mit eiskalten türkisblauen Augen. Sie hat den Revierkampf schnell und unblutig für sich entschieden. Die schwarzgepunktete weiße, auch magere, auch ausgehungerte vielleicht auch weibliche Katze schleicht nur noch in großem Bogen um unser Haus herum. Obwohl sie zuerst da war und mich als erste willkommen hieß.

SEE-GEE. Das Biest! Zweisilbig, Betonung auf der letzten. Von see wie sehen und gee wie flapsig wow, Wahnsinn oder zu gut deutsch: Mannomann! Katzokatz! Frauofrau. Mit Kindern spricht man anders: gee-gee: Huhu! Hu! Hüh! Hühü! Hott! Hottehüh! Hüttehoh! Passt doch! Unter Erwachsenen aber, lerne ich, bedeutet to gee up sb: jemandem [tüchtig, richtig] einheizen (uns unter dem Abendbrottisch) oder jemanden auf Trab bringen. Für Katze am besten in der Endlosschleife si:ʤi:, si:ʤi: ... si:ʤi:, si:ʤi: ... si:ʤi:, si:ʤi:!

Dezember 25, 2024

heater

Zu Weihnachten kaufen wir uns einen Hallogen-heater ohne Garantie. Wenn er ein paar Wochen durchhält, ist alles gut. Ich musste auch schon einen zweiten Wasserkocher kaufen, weil der mit der Beule unfest auf seinem Elektrofuß stand und immer häufiger aufgrund wohl von Wackelkontakt das Wasser nicht mehr kochte. 

Der heater füllt andere Wärmelücken. Als Nebenwirkung verbreitet er grelles Licht. Wirkt von weitem vielleicht wie Weihnachtsbaumleuchten. Oder Kaminknistern. Wie in Japan ist es hier unmöglich, ein ganzes Haus zu heizen. Also hält man sich partiell warm. Angeblich schlafen alle Nepalis unter elektrischen Wärmedecken. Ich glaube das nicht. Mario in Tokyo schlief, wie er erzählte, im Winter immer auf einer Wärmdecke. Das hingegen glaubte ich wohl. Jedem wie es beliebt. Aufsteigende oder absteigende Wärme. Abends hocken hier an den Straßenecken Gemüsefrauen in der Dunkelheit zusammen und verbrennen Pappe. Oder was auch immer. Kochen Tee und verteilen oder verkaufen ihn an Passanten. Laden zum Fingerwärmen ein. Am Rand des Ranibariforests zündete mein Gitarre spielender Gemüsehändler jeden Morgen ein Feuerchen für seine Kunden an.

Die täglichen Temperaturkarusselle sind eine Herausforderung. Kürzlich lackierte ich meine Zehennägel in der Mittagssonne auf dem Dach neu. Mitten im Dezember! Bunt mit nepalesischen Farben. Tagsüber kann auch ich durchaus ohne Strümpfe und im T-Shirt herumlaufen. Die meisten Nepali tragen den ganzen Tag und das ganze Jahr hindurch nichts als Slippers an den Füßen. Morgens ist es frostig und nach Sonnenuntergang wird es so schlagartig kalt, dass sich die Nackenhaare aufstellen. Seit der Erfahrung im Lavie Garden lassen wir das Essen von foodmandu nach Hause liefern. Stellen den heater unter den Tisch und genießen nun zu Weihnachten aufsteigende Wärme.

Dezember 24, 2024

Halbliterhenkelmann

Nach meinem Morgen Qigong laufe ich auf die Golfutar zu meinem Lieblingshaushaltwarenshuttershop und sage der Frau, die kaum ein Wort englisch spricht, mich aber seit drei Wochen kennt, dass ich etwas für dahi oder milk brauche. Sie versteht mich sofort und holt aus dem Regal einen Halbliterhenkelmann. Genau, was ich mir hier zu Weihnachten wünsche! Vor Sonnenuntergang lasse ich ihn zur Bescherung vom "Konditor" (ihrem Nachbarn btw) mit meiner täglichen Portion dahi füllen und er strahlt.

Dezember 23, 2024

open dahi

Joghurt ist etwas, das wir regelmäßig brauchen. Konsumieren. In Panipokhari habe ich gelernt, dass es plain Joghurt (nepalesisch dahi - mein erstes Wort außer namaste, oder english curd) überall dort gibt, wo ein Kühlschrank im shutter steht, Wer sich Strom leisten kann, verkauft gekühlte Getränke und Molkereiwaren. Hier in Hattigauda funktioniert vieles anders und die meisten meiner angelernten Überlebensstrategien versagen, eingeübte Spuren führen ins Leere. Da der Supermarkt - kein Blue Moon! - seit Tagen kein Joghurt hat, frage ich also einen Shutterstorebesitzer mit Kühlschrank, ob er so was habe. Er verneint, zeigt aber freundlich auf die andere Straßenseite. Dort, dort ... ich folge seinem ausgestreckten Arm und Zeigefinge, traue meinen Augen nicht, überquere aber tapfer mitten im Feierabendverkehr die Straße. Gegenüber - da bin ich schon tausendmal vorbeigelaufen und dachte immer, es sei so etwas wie eine "Konditorei", dnn ich sah Berge von abgepacktem Kleingebäck, haltbare Kekse, trockene Teilchen. Ich frage nach Joghurt und sage sofort "no sugar", und der shutterkeeper dreht sich um zu seiner riesigen Kühltruhe. Open, only open sagt er und wiederholt, weil ich wohl äußerst begriffsstutzig wirke. Nimmt einen Messbecher zur Hand und greift in die Tiefe. Open, ok, Hauptsache no sugar, nicht süß. Aber ... ehe ich meine Frage im Kopf zu Ende vorformuliere, wie ich "open dahi" nach Hause trage, kippt der den Inhalt des Messbechers in eine Plastiktüte, fragt flink noch der Form halber half kilo? und ich nicke ebenso flink, ehe das Ganze ausläuft und durch die Finger tropft ... er verschnürt das Tütchen geschickt mit einem Gummibändchen und drückt es mir in die Hand.

Dass Milch in Plastiktüten verkauft wird, weiß ich schon lange. Es gibt Milchmänner auf Mopeds, vollbeladen mit den Tütchen, Kuhmilch und Yakmilch. Einmal habe ich nämlich einen gefragt auf dem Weg in den Ranibari Forest, was er da austrage und vor ausgewählte Hauseingänge lege. Warum also nicht auch dahi?

Dezember 22, 2024

Gebärdensprache

Ich sitze im Veranstaltungsraum "Glarus" des GATE-College in Mandikhatar, Kathmandu. Im Untergeschoß, leicht temperiert und trotzdem fröstelnd, mit einer Horde (sorry - aber das Gewusel ist beträchtlich) lebhaft gestikulierender junger Leute. Alle mit leuchtenden Augen, die meisten unter den Steppmänteln festlich angezogen, sogar der eine Seheingeschränkte, der wiegenden Schrittes cool mit Sonnenbrille sein Diplom entgegennimmt. Graduation Ceremony für PWO (Persons with Disabilities), konkret for hearing and listening impaired students. Für Hörbehinderte Studierende. Die künftig - bestens ausgebildet - in Hiltons und ähnlichen Häusern in der Küche, am Empfang oder im Service arbeiten werden. Wir sitzen im Saal "Glarus". Ich schaue gebannt den beiden Gebärdendolmetscherinnen zu, die sich immer wieder ablösen. Abwechseln. Ich verstehe weder von der Gebärdensprache etwas noch von der gesprochenen, die meisten Reden werden in Nepali gehalten. Die englischen Brocken ziehen an mir vorüber wie Schall und Rauch. Viel interessanter ist es zu sehen, was hier vor sich geht.

Der Raum heißt "Glarus", erklärt mir der Chef und Gründer des Ganzen, weil er sich dort in der Schweiz immer am wohlsten gefühlt habe. Mir juckt es in den Fingerspitzen und unter den Zehen, aber ich beherrsche mich. Er spricht tatsächlich schweizerdeutsch, grüezi usw. (so wie ich namaskar usw.), aber ohne kantonale Eindeutigkeit. Kein erkennbarer Glarner Singsang. Hochdeutsch, sagt er, spreche er mit Schweizer Akzent. Das würde ihm immer wieder gesagt. Wir reden englisch. Im Garten wachsen lauter Bäume, Blumen, Kräuter, Gemüse, die er aus der Schweiz mitgebracht hat. Mitten in Kathmandu! Er sagt "Baumnüsse" und zeigt mir das "Museum", ein Studentencafé mit einer uralten Schweizer Kaffeemaschine. Die noch funktioniere, aber zu viel Energie fresse, weshalb sie nur noch der Dekoration diene. Schön! Die Backstube voller Schweizer Öfen, Waagen, Becken, Knetmaschinen usw. Beim Mittagessen gibt es Salat mit Schweizer Dressing. Oh, oh! 

Wie gut, dass die heute Graduierten vom Lärm dieser Welt verschont bleiben. Ich habe gelernt zu applaudieren wie sie, geräuschlos! 

Dezember 21, 2024

Wintersonnenwende

Am hellen Nachmittag erreicht die Sonne ihre geringste Mittagshöhe über dem Horizont. Wir haben auf dem Hügel immer noch fast zehneinhalb Stunden Tageslicht in Form von purem Sonnenschein! Der Wind bläst heute kalt, trotzdem bereite ich mich auf die Raunächte vor. Ich verbrenne alles, was ich vom zu Ende gehenden Jahr und aus meinem bisherigen Leben nicht mehr brauche. Symbolisch - oder auch nicht - in Form von Wörtern oder Halbsätzen, die ich auf Papierschnipsel kritzle. Fraglich - oder auch nicht - denn nur unser Jahr geht angeblich bald zu Ende. Als wir kürzlich nach Kalendern für 2025 fragten, ernteten wir in allen Shops blankes Staunen. Twenty five? No!

Entziffern braucht meine Aufzeichnungen niemand mehr, es reicht, wenn die geistige Welt meinen Müll aus der Asche auf meinem Dach zur Transformation entgegennimmt. Genauso. 

Unser Dach ist mehrstöckig, auch dies ein Segen der diesseitigen Welt. 

Dezember 20, 2024

abbiegen

Ich biege auf meinem Spaziergang von der Magistrale ab und gerate bald in einen wahren Dschungel. Laufe durch Gemüsegärten und Behausungen, Waschküchen und Schlafzimmer, frage immer wieder, ob hier der Weg entlangführe und ernte regelmäßig Freude und die Frage nach meinem country (what's your country?). Mehr als Deutschland in der Nacht beschäftigt mich die Frage, wie ich zurück auf meinen Hügel komme. Durch tiefe Täler, über mehrere Flüsse, na ja Rinnsale zu dieser Jahreszeit, die aber immer noch zu breit sind für einen waghalsigen Sprung in Sommerschuhen. Fürsorglich liegen überall Trittsteine. Einmal bin ich so verzweifelt, dass ich umkehre - I'm lost! rufe ich dem Bauer mit seinen freilaufenden Kühen und Hühnern zu, und der lacht. Versichert ein zweites Mal, dass es nur diesen Weg zur Golfutar gebe. Er begleitet mich nun ein Stück durch das dickste Dickicht bis zum nächsten Wasserlauf. Dahinter öffnet sich eine grüne Lichtung, auf der ein junges Liebespaar unbeobachtet von der Welt eng zusammensitzt. Auch die beiden bestätigen, dass ich, natürlich, auf dem richtigen Weg sei. Auf der anderen Seite der Lichtung zeigt tatsächlich eine befestigte Straße steil nach oben. Und ich sehe unterwegs Mädchen, die sich die langen schwarzen Haare an einer Wasserstelle tief unter mir waschen und sie, über den steilen Abgrund gebeugt, auswringen. Mir schwindelt allein beim Zusehen. 

Zum Schluss umrunde ich unsere Siedlung von Norden kommend im Uhrzeigersinn und stelle fest, dass sie millimetergenau in ein Dreieck von Tempeln mit uralten heiligen Bäumen eingezwängt ist, umgeben von einer Steinmauer, einem Metallzaun und einer Stacheldrahtwelle obendrüber. Ich frage mich nicht mehr, was das bedeutet. Am Tor an der Treppe zum Jagannath-Haupttempel stoße ich mir ziemlich brutal und schmerzhaft den Kopf! Das ist der Preis und Lohn für gedankenloses Herumwandern, denke ich. Die Leute hier sind alle kleiner als wir. Bescheidener. Aufmerksamer. Freundlicher. 

An meinem kleinen Tagestempel wird seit dem Mittag rituell geschlachtet, mit Pauken und Trompeten, festlich angezogenen Frauen und Säckeweise Reis. Wieder zu Hause angekommen, lege ich mich sofort ins Bett. So erschöpft bin ich vom abbiegen.

Dezember 19, 2024

no name

 nach dem Frühstück

zuerst noch wachsam ... 

... dann müde ... und schläft ein in der Diagonale. Passt farblich und geometrisch perfekt auf den alten Badeteppich!

Dezember 18, 2024

katzenfüttern

Es laufen wilde Katzen durch die Siedlung. Eine weiße, mit schwarzen Punkten im Fell an der Flanke. Und eine grau getigerte. Beide scheu, mager, hungrig. Vielleicht noch jung. Ich habe eine alte Badematte an das Sonnenplätzchen vor meinem Küchenfenster gelegt, weil ich die im Haus nicht haben will. Ausgeschüttelt und abgesaugt, damit die wilden Katzen sauber und weich liegen. Die Dehael-Kartons mochten sie nicht. Verständlich. Wenn die weiße sehr laut miaut, gibt ihr die Nachbarin wahrscheinlich Essensreste, und drinnen tobt der Hund vor Eifersucht. Ich habe weder Essensreste noch einen Haushund (nur die sind erlaubt lt Hausordnung), deshalb mache ich mich auf die Suche nach Katzenfutter. In Panipokhari hatte ich einen edlen Tierfutterbedarfsladen um die Ecke, der immer als erster am Morgen geöffnet war. Dort wunderte ich mich  täglich auf dem Weg in den Ranibari Forest aufs Neue, wer hier um diese Zeit einkauft. Gesehen habe ich nie jemanden. Gestern ging ich die Golfutar hoch und wurde nicht fündig. Heute runter. Und siehe da. Eigentlich ein Hundeleinen- und Vogelkäfigshop. Hinter dem Tresen die Regale bis zur Decke voll mit Tierarzneimittelprodukten. Ordentlich sortiert, soweit das Auge und mein Verstand reicht. Eine Tierapotheke! Vom keeper keine Spur. Das ist hier so üblich. Und dann erscheint ein Mensch im Holozän, von der anderen Straßenseite, von dem ich nicht weiß, ob es ein Kunde ist oder der Ladenbesitzer. Wie immer klärt es sich schnell auf und ich eile glücklich mit einer Packung TF - drools, oceanfisch, complete nutrition, no corn, wheat or soya - auf meinen Hügel zurück.

Dezember 17, 2024

national symbols

Die Zeit ist reif für die erste Lektion in Landeskunde. Von links nach rechts: FLAG (die Nationalflagge - einmalig auf der Welt in Form zweier übereinander gelegter Dreiecke, vorherrschende Farbe: Crimson, blau umrandet zum Zeichen des Friedens), THE COAT-OF-ARMS (das Nationalwappen - der Berg der Berge), LOPHOPHORUS (der Nationale Vogel: Rostschwanz-Glanzfasan auch Königs-Glanzfasan, Himalaya-Glanzfasan, Himalayan monal, Impeyan monal oder Impeyan pheasant genannt), CRIMSON (die Nationalfarbe Purpur), COW (das Nationaltier Kuh), RHODODENDRON (die Nationalblume Rhododendron). Leicht zu merken! Und: Autos. Zäune. Dächer. Fenster.



Dezember 16, 2024

Montag, der 16.

Vor drei Monaten war auch Montag, der 16. - und wir sind losgeflogen. Um die halbe Erdkugel. Seither ist eine halbe Ewigkeit vergangen und wir haben mehrere Äonotheme durchschritten. Gestern lief das Visum aus und ab heute ist es verlängert. Alles easy, freundlich und problemlos. Ein ganz normaler Montag. Ich habe die halbe Nacht das ganze blog umgeschichtet und umgebaut, mit leserfreundlicherem Fundament (sprich Disain) unterfüttert. Lalitpur werde ich löschen, sofern big brother es erlaubt. Die Chronologie ist wieder sichtbar,  Golfutar berichtet ab Itzehoe (!) wie steinig und beglückend der Weg aufs Dach der Welt ist. Unerwartet - laut Erlass vom 1.1.2081 (!) - ist heute hier erneut public holiday. Arbeitsfrei für Beamte und Staatsdiener, zu Ehren des heute früh in seiner Residenz in Chaksibari im Alter von 87 Jahren verstorbenen früheren (von 2049-2054 BS / 1992-1997 AD) Bürgermeisters von Kathmandu, Prem Lal Singh. Handwerker wie ich arbeiten. Der Müll wurde nach Sonnenaufgang abgeholt und wir sind nun auch W's verstaubte DeHaEl-Kartons endgültig los. Die Bambusmöbelbauer kommen am frühen Mittag und reparieren in der prallen Sonne vor dem Haus die beiden Bambussessel und den Bambustisch, reinigen und ölen das wertvolle Holz, es stinkt zum Himmel, und der ist makellos blau. Unter dem Vordach bleiben die Möbelstücke über Nacht zum Trocknen und Auslüften stehen. Kurz vor dem Eindunkeln werden noch kaputte Fensterscheiben ausgemessen, das fehlende Fliegengitter in der Küche sowie der nicht funktionierende Fensterklappenmechanismus in meinem Bad ins Auftragsbuch geschrieben. Auch in diesem Haus gibt es mehr Bäder und Klos als Bewohner. Das warme Wasser kommt nun aber umweltfreundlich vom Dach und nicht mehr aus mehreren, vor den Fenstern angeketteten, von Tauben als Kacklandeplatz bevorzugten Gasflaschen.

Dezember 15, 2024

Sonntag

Multipler Feiertag! Dezembervollmond für mich, eine Shukla Paksha - die zunehmende Mondphase - auf dem Hill, neben dem Laxmibaum und dem Shivatempel. Für die Hindus der Vollmond im Monat Mangsir, am letzten Tag. Sie feiern Dhanya Purnima, "hilly Brahmins" hingegen Debpuja und die Newari people Yomari Punhi (oder - um die Sache noch komplizierter zu machen - Jyapu Diwas, die Kiranti people aber begehen das Udhauli Festival.  

Die einen feiern das Ende der Reisernte und danken den Göttern für gute Erträge. Die anderen gedenken der Vögel, die zur kalten Jahreszeit von den Bergen in die Täler ziehen. Udhauli heißt wörtlich herunterkommen (so etwas wie Alpabzug, nur nicht mit Kühen und ohne Alphörner) und heute beginnt also der Winter in Nepal. Für die Kirantis besteht das Jahr aus zwei, vom Vogelzug bestimmten Hälften: Udhauli, wenn sie zu uns herunterkommen und Ugauli, wenn sie wieder in schwindelnde Höhe entfliehen. Ein sehr sympathisches Zeitverständnis!

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Die Newari people feiern auch das Ende der Reisernte und backen (kneten, formen, dünsten) aus Reismehl dreieckige Yomari (= süsses Brot), gefüllt mit einer hellen Sesam- oder einer schwarzen Bohnenpaste. Ich habe Yomaris in Panauti auf dem peace walk im September bekommen und mit großem Appetit verspeist. Sie waren nicht sehr süß, dafür umso nahrhafter. Damals hat mir sicher einer der Mitpilgernden diesen Namen genannt und die Form erklärt, ich konnte es mir aber in der Septemberhitze, unter der Fülle der Eindrücke und noch im Jetlag natürlich nicht merken. Das Dreieck soll die Hälfte eines Hexagramms repräsentieren - das Bild des Wissens (oder der Weisheit?). 

Dezember 14, 2024

Queensquilt

Am Mittag ist es so warm, dass wir an der Sonne auf der Dachterrasse Kaffee trinken. Nach Sonnenuntergang wird es schlagartig kalt, drinnen und draußen. Spät am Abend fällt der Strom aus, so dass es rundum ganz finster ist. Die Deckenlampen im Haus funktionieren noch, nicht aber der Kühlschrank, der Computer oder die ACs, die auch ungesunde Wärme verbreiten können. Es bleibt nur der Queensquilt mit dem neuen Bezug.

Dezember 13, 2024

Das Maß aller Dinge

Ich laufe nochmals zu dem Shuttershop mit den Nägeln, Zangen und Hämmern und kaufe ein Laufband. Ein Messband. Ein 5 Meter langes reliable measering tape. Wir verstehen uns prächtig, der Verkäufer und ich, auch wenn keiner des anderen Sprache spricht. Er freut sich und ich freue mich. Das Band misst Zentimeter, Feets und Inches und ich kann endlich rechnen. Man(n) könnte es an den Hosenbund klemmen. Ich stelle mit einem Daumendruck die gewünschte Länge fest, und das Metallband zeigt wie ein Lineal ausgestreckt in die Welt. Ehe ich den Raster entraste und das Band sich schnurrend zusammenrollt wie eine zufriedene Katze.

Dezember 12, 2024

Lauferei

Ich kaufe Hammer, Zange, Nägel (50 Stück, abgezählt und in Papier eingewickelt), einen Schreibtisch mit Stuhl, elegant und minimalistisch. Quilt aus reiner Baumwolle, made in Nepal, King size. Im Vorübergehen frage ich den Schneider an der Golfutar, ob er einen Bezug für Queen size hat - er bietet mir ein Schemelchen mit Kissen an und ich schaue zu, wie er mir das Gewünschte zuschneidet und zusammennäht. Made in Nepal. Erstklassige Handarbeit. Blitzschnell. Passt wie angegossen obwohl er kaum ein Wort Englisch spricht. Nur daughter sagt er strahlend, nachdem ein schwarzäugiges Mädchen vorbeigewischt war. Unterwegs esse ich beim Dragon Express Drunken Noodles. Made in Nepal. Dazwischen war ich ohne Wehmut an den Twintowers und holte Post ab. Made in Germany.

Zu Hause auf dem Hügel nagle ich als Erstes Beats Bild dorthin, wo es hingehört: ans Ende der Treppe.

Dezember 11, 2024

MPT

MPT ist ein Multi-Purpose-Tree - ein mehrfachnutzbarer Baum. Oder, noch unschöner zu deutsch, ein Mehrzweckbaum. Ein Baum, der mehrere menschliche (!) Bedürfnisse befriedigt. Also nicht nur Brenn- oder Bauholz liefert, sondern auch Blätter, Blüten, Rinde, aus denen Öle und Essenzen für die Naturmedizin oder die Ökoreinigungsmittelindustrie gewonnen werden können. 

So ein Baum ist der Laxmi Taru, der mir jeden Morgen Schutz bietet. Er wird auch Paradiesbaum genannt oder wissenschaftlich Simarouba. Laxmi, wir erinnern uns, ist die Göttin des Wohlstands und Taru bedeutet im Sanskrit Baum. Der mächtige Wohlstandsbaum. Neben, hinter, über dem Shivatempelchen. Der Mönch, der hier täglich die Göttinnen mit frischen Blüten, Körnern, Kräutern, Farben, Zuspruch  und Komplimenten versorgt, erklärte mir eben, der Saft aus den frischen Blättern helfe gegen Zahnschmerzen. Zu Hause an meinem neuen und endgültigen Schreibtisch (!) lese ich, dass er auch bei Malaria, Fieber oder Durchfall helfe und deshalb den Namen Dysentery-bark trage. Oder Oil tree, Bitterwood, Aceituno.

Er fängt jetzt an zu blühen. Steht am sonnigsten Platz, den er sich wünschen kann. Und Laxmibaum wird er genannt, eigentlich, so erklärt mir das mein helvetisch geschulter Verstand, nicht weil die Göttin darin Unterschlupf findet, wenn sie nicht gerade beschäftigt ist, die Menschen zwischen dem Dashain-Vollmond und dem Tihar-Neumond mit Glück zu überschütten. Sondern weil der Baum so reich an irdischen Gütern ist. Und sie uneingeschränkt mit jedem teilt, der teilhaben will. Nichtsdestotrotz werden zu Füßen meines Laxmibaumes ständig Gaben abgelegt, Heiligenbildchen, Räucherstäbchen, Kerzenschalen mit brennenden oder ausgebrannten Dochten, frische Blüten, Purpurroten Kleksen (crimson - national color, las ich auf einem meiner Spaziergänge durch Panipokhari außen an einer Schulhofmauer - ohne Schreibfehler, american inglish), Körner, Gewürze, aber auch Zigarettenschachteln, Wasserflaschen, Schokoladenriegel usw. usf.

Dezember 10, 2024

La vie est rose

Die Piaf sah und sang das anders. La vie en rose -  das Leben durch die rosarote Brille. Wir aber sind auf dem Boden der Tatsachen angekommen und das Leben ist Rosenrot! Wir essen im Lavie Garden (offering fresh air) und bekommen zur Begrüßung warmes Wasser. Trotzdem ist es ungemütlich kalt im offenen Garten der Lüfte. Nicht so kalt wie in Warschau vor 31 Jahren und ohne Weiß. Ohne Schnee, ohne Glätte, ohne Eis. Stattdessen frisches Grün und, wie gesagt, vielen rotblühenden Blumen. 

Das outdoor feeling nach Sonnenuntergang ist Kräftezehrend, der Winter in Kathmandu eine tägliche Achterbahnfahrt. Von Hochsommerhitze am Mittag zu Bodenfrost in den Morgenstunden. Wir flüchten schon bald wieder auf unseren Hügel. Auch die Topographie der Stadt ist eine einzige Achterbahn.

Dezember 09, 2024

befreit

Montag. Tag der Müllabfuhr. Alle erbärmlich zerfledderten bookboxes - das letzte, was mich noch an Europa erinnert, sind heute früh in die nepalesische Kreislaufwirtschaft eingegangen. Hier wird der Müll nicht von den Verbrauchern (Verursachern) sortiert, sondern von den Sammlern. In Panipokhari fotografierte ich einmal einen indischen Pappesammler, der freudestrahlend sein vollbeladenes Fahrrad auf den Umschlagplatz schob. In Erwartung seines Tagelohns.

Und ich fühle mich befreit. Eine Schicht weniger. 

Der Tag beginnt frisch, aber unter dem heiligen Baum neben dem Shivatempelchen wird mir warm. Es sind ganz andere Tiere, die mich hier beäugen. Streifenhörnchen (Burunduks?), die emsig alle Opfergaben wegfuttern. Ehe die Raben einfallen. 

W. kommt endlich zurück. In unser neues Haus. Er hat eine Woche Zeit, um seine zerbeulten DeHaeLs auszupacken.

Dezember 08, 2024

Wunschloses Glück

Nun bin ich eine Woche hier auf dem Hügel und finde den steinigen Weg und eine sehr steile Treppe hinunter zu einem nur auf den ersten Blick vernachläßigten, baufälligen Tempelchen. Umgeben von riesigen Bäumen, einem uralten Laxmibaum, mit hängenden Luftwurzeln und innig verschlungenen Erdwurzeln. Endlich! Zurück. Zu meiner Morgenroutine.

Dezember 07, 2024

Kopfarbeit

Ich gewöhne mir das Fragen ab. Heute ist Samstag, und man arbeitet eigentlich nicht. You have to be very strict - also bin ich es. Schaue von meinem Dach hinunter auf eine Parkanlage inmitten der Wildnis. Ich überlege, wie ich hinunterkomme. Ohne Umweg über die laute Golfutar. Google maps kennt nicht alle Wege. Der Husten plagt mich und der "staff" der landlady kommt und hängt gereinigte Vorhänge im Salon auf. Trotz Samstag. Der eine lässt sich nicht faltenlos aufrollen. Da müssen die beiden Jungs nochmals ran. Sie sind sehr freundlich. You have to be very strict. Ich gebe ihnen kein Trinkgeld, es ist nicht mein staff. Letzten Sonntag, als ich hier einzog, lümmelten die nämlich statt zu arbeiten im ersten Stock auf unseren Betten herum. Als ich gestern die Matratzen absaugte, kamen Kekskrümel und verbogene Vorhangringe zum Vorschein. You have to be very strict.

Dezember 06, 2024

Handwerk


Ich bin im obersten Stock angekommen. Mit dem Putzeimer. Und sehe, wie der Baum vor meinen sauberen Fenstern gefällt wird. Dabei wollte ich immer schon den Community Manager fragen, was das eigentlich für ein Baum ist. Nun ist die Frage im wahrsten Sinne des Wortes hinfällig. Liegt vor meinem Fenster, zu meinen Füßen. Es war ein ganz gesunder Baum! Ich sehe es an den Splittern. Am gespaltenen Holz. Und am Schweiß des Mannes, der mit einer Machete in den Ästen hängt. Barfuß. Und dann in Slippers unten den Rest spaltet! Ohne Schutzkleidung, Schutzbrille, Schutzhose, Schutzschuhe, ohne Schutz und Gesetz und Verordnung. Gewerkschaft? Lachhaft! Ganz ohne Lärm. Der Baum wird in Totenstille zur Strecke gebracht. Nur ich rufe aus dem Fenster WHY?


Weil die Wurzeln eine Mauer zum Einstürzen bringen. Weil wir auf einem Hügel wohnen. Weil die Häuser aus Stein gebaut sind. Unten sind noch Gemüsefelder. Da herrscht noch das Dorf und die Selbstversorgung.

Dezember 05, 2024

airflow max technology

Ich bin noch nicht wieder in meiner Routine angekommen, widersetze mich aber standhaft allen Versuchen, mich hier mit assistance for cleaning the house auszustatten. Bevor ich nicht einen Staubsauger besorgt habe, kommt mir kein nepalesischer Besen mehr ins Haus! Die zweieinhalb Monate im 10. Stock waren in mehrfacher Hinsicht so etwas wie die Vorhölle (oder das Fegefeuer) für mich. Nun bin ich im Windschatten der quirligen Golfutar zur einen Seite und des stillen Jagannath Temple zur anderen. Ich lese, Jagannatha means "The Lord of the Universe". Na bitte. Die Vorsehung ist mitten drin, auf meinem Dach! Ich bestelle online beim Hersteller direkt und der Staubsauger made in Nepal wird eine halbe Stunde später ins Haus geliefert. Ich sauge als erstes die Sofas im Salon ab. Damit ist der Staubsaugerbeutel schon zum ersten Mal voll. Wie ich ihn entleere, muss ich noch lernen.

Dezember 04, 2024

überflutet

Ich habe zum ersten Mal die Waschmaschine im neuen Haus angestellt. Sie steht zuoberst, die Wäsche wird zum Trocknen auf dem Dach aufgehängt. So weit, so gut. Die Sonne scheint. Und dann läuft das Wasser bis ins Erdegeschoss. Der Abflussschlauch ist kaputt. Ich texte der landlady, sie schickt den community manager, der organisiert einen plumber. Ich wische derweil Seen auf. Und reinige bei der Gelegenheit die Treppen auf und ab. Zu guter Letzt will man mir einen boy zur Verfügung stellen, for cleaning. Ich lehne höflich dankend ab. Erstens ist die Sache erledigt, zweitens kenne ich den boy bereits. Der spricht kein Wort Englsich und ist auch sonst ziemlich begriffstutzig, von putzen hat er, wie die meisten Leute hier, leider keine Ahnung. Drittens will ich jetzt einfach keinen fremden Mann im Haus.

Der Eigene textet aus Shenzhen, kurz vor dem Abflug nach Beijing teething problems.

Dezember 03, 2024

ungehobelt

Ich muss laufen lernen. Die Bürgersteige sind gerade die größte Herausforderung. Bisher war es die Höhenangst. Die habe ich erfolgreich überwunden. Die Golfutar ist genauso laut wie die Lazimpat, aber irgendwie sympathischer. Lebendiger. Holperiger. Ungehobelter. Am Abend ein Ausflug in die alte Heimat. Endlich Le Sherpa. Abschiedsessen mit Dorota, die doch erst gestern des Weges kam, und ihrem Chris. Seltsam.

Dezember 02, 2024

unausgeschlafen

In der Nacht hörte ich Flugzeuge, obwohl der Flughafen neuerdings ab 22 Uhr geschlossen ist. In der Nacht bekam ich Halsschmerzen. Obwohl ...nun ja. Trotz allem. In der Nacht klag ich wach und suichte den Mond. Natürlich vergeblich.

Dorota aus Krakau kam des Weges. Der erste Besuch in meinen Hügeln. Wir stiegen aufs Dach, in der prallen Mittagssonne. Beim Hinuntergehen drehte sie ein vollkommen unverwackeltes Video. Für die restlichen Krakauer. 

Wer es sehen will, darf sich bei mir über andere Kanäle melden.

Dezember 01, 2024

umgezogen

Neumond in Kathmandu um 12:06 Uhr. Und Sonne. Und Umzug. Bei euch Advent. Hier beginnt der Mond seine neue Phase genau in der Mitte des Tages. Da steht Ihr gerade erst auf, aber der Mond ist an der selben Stelle angekommen wie hier. Wir fahren rechtzeitig über die Ringroad. Die Ampel hat lange Phasen, auch am Sonntag. Aber es sind keine Polizisten zu hören, die mit Trillerpfeifen den Verkehr regeln. Ab heute lebe ich außerhalb der mehrspurigen Umgehungsstraße. Aber immer noch innerhalb der Stadtgrenzen. Im Norden. An der frischen Luft. Im Schatten der Golfutar Main Road.

Der letzte Monat des Jahres beginnt mit dem neuen Mond, mit einer neuen location, einer neuen Sicht aus vielen unverstellten, geputzten  Fenstern, einem bald nicht mehr nur vorläufigen Schreibtisch und einem Baum! Grün wie alles hier zu dieser Jahreszeit.

Zum Schlafen kann ich mir eines der Zimmer aussuchen. Zum Nachdenken auch. Zum Arbeiten. Schreiben. Tun oder lassen. Noch bin ich allein in dem Haus in Hattigauda.