Samstag, Dezember 06, 2025

Blick aufs Ganze

Hier der Blick aufs Ganze, kurz vor Mittag vom Dach erfasst:

Weiß und hoch aufrecht (der Eindruck täuscht, dass sie gleich kippt) die mehrstöckige Hinterseite der Budhanilkantha Municipality. Auf dem neuen schrägen Parking ein einsames Motorrad. Es ist Samstag. Wochenende. Niemand außer dem Pförtner arbeitet. Darunter, ein Stück auf mich zu, der Betrachterin vom Dach, endet die neue Straße abrupt im Niemandsland. Daneben und halb darüber, davor, längs und in einem ganz anderen Winkel auch schräg der ordentlich eingezäunte Tempelvorplatz mit Bodhibaum (rot umrandet), dem viereckigen, weiß gefliesten Kubus, auf dem Shiva und Parvati sitzen. Das Grün rechts daneben gehört zum Laxmibaum, in dem Ganesh sitzt. Der Baum ist so reich und ausladend, dass er den kleinen Tempel aus meiner hohen Sicht ganz unter sich verbirgt. Über allem ragt hinten die Spitze des Funkturms der Nepal Telecom Hattigauda in den Himmel. Und vor allem Wüstenei! Ein Teil (der mit dem sinnlos in der Gegend stehenden Wassertank) gehört zu unserer Community, jedenfalls werfen meine Nachbarn da regelmäßig ihren Gartenmüll ab und kürzlich, vor Tihar, versuchte der Community Manager dem Zeug Herr zu werden, indem er es an verschiedenen Stellen anzündete. Der andere ist in Privatbesitz oder im Besitz der öffentlichen Hand. Was immer das bedeutet. Jedenfalls warfen da kürzlich Beauftragte der Municipality, die alles Gestrüpp radikal von den Hängen rodeten, ihre halben und ganzen Bäume sowie anderen Großgrünschnitt ab.
This is Nepal, Kathmandu, the Capital City!

Freitag, Dezember 05, 2025

Vollmond

Cold Moon oder Long Nights Moon - der letzte Vollmond des Jahres, folglich der letzte vor Yule, der letzte vor der Wintersonnenwende. Bei uns ist es weder besonders kalt noch sind die Nächte besonders lang. Um 6 pm ist es dunkel und um 7 am hell. Dazwischen scheint den lieben langen Tag die Sonne. Ich traue meinen Augen nicht, aber über Kathmandu liegt schon wieder Smog.

Donnerstag, Dezember 04, 2025

Yomari Punhi

Public holiday. Ich brauche nur aus dem Fenster zu schauen: kein einziges Bike auf dem neuen Parking hinter dem Municipality Gebäude. Also arbeitet dort heute niemand. Heute abend ist Vorabend, und den ganzen Tag Vortag von Kartik Purnima - also für die Newaris Yomari Punhi. Das Festival, das kürzlich in Tansen vorgefeiert wurde. Das einzige Festival, lese ich, im ganzen Lande, das nach einer Speise benannt ist - und nicht nach einer Gottheit oder einem Dämon oder dem Streben nach Gesundheit, Glück und Wohlstand. Sondern nach dem Streben von Sattheit. Für alle Nepali ist essen etwas vom wichtigsten. Und heute treffen sie sich alle zum Yomariessen.

Ich sitze auf dem Dach, solange die Sonne noch da ist, setze den 10mm Aufsatz auf meine Haarschneidemaschine und fahre ein paar Mal kreuz und quer über den wirren Kopf. Es kommt ein bisschen was runter, und der Wind trägt es weg.

Mittwoch, Dezember 03, 2025

Shivas Tränen

Wir hatten Ganesh und die beiden Sichtachsen, fehlt also noch Shiva. Mit Parvati. Er ohne Kopf. Beide von hinten. Hübsch nebeneinander. Das - im Verhältnis zu den Göttern - riesige  Lingam versperrt ihnen - ob mit oder ohne Kopf und Augen - die Sicht auf alles. 

Ich liebe meinen kleinen Tempel und seine Geheimnisse und Wunder. Heute hat mir einer der "Brüder" - sie sind alle Brüder, ich weiß aber nie, ob dai - दाई der Ältere oder bhai - भाइ der Jüngere, da ich meine liebe Not mit der Zeit überhaupt in diesem Land habe, aber auch damit, das Alter seiner Bewohner einzuschätzen im Vergleich zu meinem eigenen - die mich alle kennen, weil sie auch täglich am Tempel vorbeikommen, die Walnussgroßen Rudraksha-Samen gezeigt. Sie fallen gerade massenhaft vom Rudrakshabaum. Manche sind von den Krähen angepickt oder haben sich von selbst bereits aus der dunkelblauen Schale befreit und trocknen an der Sonne. Andere sind noch frisch verpackt. Er sprach und sang mir das Mantra vor: ॐ नमः शिवाय - Om Nama Sivaya. Und ich kann das nun schreiben und lesen! Auf dem peacewalk haben wir alle am zweiten Tag eine Malakette umgehängt bekommen - und trugen sie bis zum bitteren Ende. Hitze hin oder her. Die harten Nüsse rieben im Nacken. Aber das muss wohl so sein. Jetzt zähle ich nach: es ist eine halbe (54 Rudraksha + 1 Guruperle), eine ganze wäre doppelt so lang und doppelt so schwer: 108 + 1. Die Guruperle in der Mitte hilft, die Energie zu leiten. Ich muss meine nur zweimal durch die Finger laufen lassen, dann bin ich auch bei der ganzen angelangt. Soweit kann ich noch kopfrechnen. Ich kann auch noch einmal 54 + 1 Nüsse einsammeln und zu einer zweiten Malakette auffädeln.

रुद्र - rudra ist ein anderer Name für Shiva und  अक्ष - aksha heißt Auge. Letzteres hat mir Pranai in Thamel beigebracht, im Song der buddhistischen Nonne Ani Choying Drolma फुलको आँखामा - fulko ankama - und hat damals alle, die noch dabei waren, in höchste Verwirrung gestürzt. Weil alles  plötzlich ganz anders aussah auf dem Zettel mit dem Text, als wir je vorher von der Tafel schrieben. Anyway - später hat mir guruba schreiben und lesen beigebracht. Und nun ist alles gut. Die Hindus machen aus den Augen Tränen. Auch das ist nachvollziehbar. Der Legende nach soll Shiva nach einer langen Meditation (bittere?) Tränen vergossen haben (worüber, ist man sich nicht einig - über die Menschheit?). Dort, wo die Tränen zu Boden tropften, wuchsen Rudrakshabäume.

Dienstag, Dezember 02, 2025

Sichtachsen

Sichtachse 1: Das Bild, das Ganesh vom seinem Hochsitz im Laxmibaum vor den Elefantenaugen hat. Schöne Aussicht! Schönes Wetter. Morgensonne.





Sichtachse 2: Das Bild, das Parvati und ihr kopfloser Gatte vor Augen haben. Eine Ecke vom Tempeldach und die Steinstufen, die zu dem mächtigen Baum hochführen, der Laxmi gehört, und in dem ihr Sohn im Schatten sitzt. Bei jedem Wetter, zu jeder Tageszeit. 

Montag, Dezember 01, 2025

Ganesh

Hier sitzt er in meinem Laxmibaum. Dies ist ein Suchrätsel! Vor ein paar Tagen saß er noch im Schneidersitz zu Füßen von Laxmi und Seinesgleichen. An die Wurzeln des Baumes gelehnt, hinter den Steinen, die auch Götter oder Göttinnen sind, ich weiß nur nicht, welche. Notfalls immer Laxmi. Irgendwann ist er im Schutz der Dunkelheit von niemandem daran gehindert nach oben geklettert und genießt nun den Höhenblick. Er sitzt zwischen den verschlungenen Stämmchen und Stämmen genau in der Sichtachse zu seinen Eltern, Shiva und Parvati auf dem quadratischen Block neben dem Tempel. Shiva hat hier keinen Kopf, das ist untypisch und wahrscheinlich Vandalismus oder mutwilliger Beschädigung geschuldet. Auch das ist untypisch. Wer und warum Shiva den Kopf abgeschlagen hat, weiß niemand. Ich habe alle gefragt. Ich war es nicht, so wahr ich Judith heiße und mich die Bibel dazu prädestinierte ... ich begehe keinen Frevel an fremden Göttern und freue mich nun jeden Morgen, dass Ganesh mit dem Elefantenrüssel im Baum hockt. 

Und hier kommt die Auflösung des Bilderrätsels:
Ist er nicht schön? 


Sonntag, November 30, 2025

Tansen

Ich pflege meine Pflanzen im Garten. Im Sommer regnet es und im Winter muss ich gießen, denn es ist tagsüber sehr heiß und trocken. Ich spüle den cleaning-Staub von meinen kleinen Bäumen und rede den frischen Blättern gut zu. 

Es dauert noch ein paar Tage bis Vollmond. Trotzdem feiern die Newari in den Mahabharatbergen, in Tansen - einst die Hauptstadt des Magar-Königreichs Tanahun, später der wichtigste Umschlagsplatz der Newari auf der Handelsroute zwischen Pokhara und Butwal - bereits heute ihr Yomari Festival. Es wird gefuttert, was das Zeug hält! 

Yomari Punhi ist der Erntedank der Newari und gehört zum Mangsirvollmond. Der Mond wird am 19. Mangsir (= 5. Dezember) voll, der offizielle (nationale) Feiertag ist aber schon am 18., also am Vorabend (wie so oft, man denke nur an Heilig Abend, auf den die ganze westliche Welt gerade zusteuert). Der Reis ist geerntet und getrocknet. Davon konnte ich mich auf meinem kürzlichen Fußmarsch zu Namo Buddha mit Endstation Panauti überzeugen. In Bhaktapur wurde ich von meinen Wanderkameraden geradezu gezwungen, zu knipsen - denn so etwas sei einmalig und nirgendwo auf der Welt zu sehen: dass Reis auf den Straßen und Plätzen vor uralten Tempeln, mitten in einem Weltkulturerbe getrocknet werde. Auf dem Bild wirkt der Reis unspektakulär wie Sand am Meer. Wie so oft war die Wirklichkeit weit eindrücklicher.

Die ersten Yomari sollen aber in Panauti geknetet, geformt und gefüllt worden sein. Einige Historiker sagen, die Newari hätten das Rezept von den Tibetern und die wiederum von den Koreanern. Andere sagen, Yomaris seien indischen Ursprungs und die Lieblingsspeise von Ganesh, dem kopflosen Sohn von Shiva und Parvati. Nachdem der Vater dem Kind den Kopf abgeschlagen hatte, stülpte ihm die Mutter einen Elefantenkopf über - und so ist er nun überall dargestellt. Die Legenden sind brutal! Wie aber der Göttersohn mit dem Elefantenrüssel auf den Geschmack der Yomaris kam, wissen wir nicht. 

Wir wissen aber, dass "Yo" in newari bevorzugt oder süß bedeutet, und "mari" Brot. Yomaris sind Reismehlteigtaschen hell oder dunkel gefüllt, mit Chakku (Zuckerrohrsirup oder Melasse, was der Masse Schwärze verleiht, und Sesamsamen) oder Khuwa (ein Büffelmilchprodukt, was die Füllung hell macht). Lieblingsbrote!