Januar 01, 2025

Ein ganz normaler Tag

Nach einer ganz normalen Nacht beginnt ein ganz normaler Tag. Ich absolviere mein Morgentraining auf dem Trampolin und überbeanspruche vielleicht einen der Großzehenstrecker am linken Fuß. Jedenfalls tut es weh beim Treppabsteigen. Ich laufe trotzdem zum Shivatempel und lasse mich von der Sonne aufwärmen in meiner Ausrichtung nach Osten. Absolviere unverdrossen, wie seit Jahren die 8 Übungen des Shaolin Qigong BaDuanJin. Kämpfe ein bisschen mit dem festen Stand auf sandigem Untergrund. Und mit dem Gleichgewicht, da ich den linken Fuß spontan schone. Laufe weiter auf die Golfutar und lasse vom Konditor den Henkelmann mit open Dahi auffüllen und mir zwei Packungen Erdnusskekse über die Theke reichen. Und kaufe endlich - mein neues Jahr beginnt mit guten Vorsätzen - zwei Zahnputzbecher. In Form von zwei Trinkbechern. Die Shuttershopkeeper haben meist die patenteste Lösung für meine mickrigen Nöte parat. Plastik will ich partout nicht, Glas oder Keramik hat er nicht. Also steel. Stainless steel. Unverwüstliche Becher, die stabiler stehen als ich, und aus denen man trinken kann. Oder in die man etwas hineinstellen kann, ohne dass sie gleich umkippen. Bleistifte oder Zahnbürsten. Happy New Year! 

Zurück am Schreibtisch räume ich auf. Dateien und Datenmüll, fülle Papierkörbe und leere sie kontinuierlich, verschiebe den mir heute unverzichtbar scheinenden Rest, ganze Jahrgänge, die schon morgen überflüssig sind, in eine externe Festplatte, die ich in der Schublade verwahre. Ich liebe Schubladen und mein neuer Schreibtisch hat zwei! Am Nachmittag trinken wir Kaffee auf dem Dach an der Sonne. W. zum ersten Mal in seiner neuen Brille mit aufsteckbarem Magnetsonnenschutz, und essen den Rest des Orangenkuchens auf. Lecker! Schmeckt nach dem Herzen Europas, aus dem ausgerechnet dieses eine Wort (lecker) für immer verbannt werden soll. Aber das gemeine Volk spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Ich lerne von Barsha (Nepali for beginners) bereits in der ersten Lektion, dass das Verb in ihrer Sprache immer an letzter Stelle steht.

Dezember 31, 2024

black moon

Neumond - bei uns heute, am letzten Tag des Jahres 2024 AD. Bei Euch gestern, kurz vor Mitternacht. Black moon - ein zweiter Neumond im Dezember. Mein persönlich zweiter auf dem Hügel. Wir haben uns gut eingelebt und wollen nicht mehr weg. Zur Feier des Tages leisten wir uns eine Flasche Sekt, hergestellt in Indien, was sich erst nach intensivem Studium des Etiketts offenbart. Kostet so viel wie zwei heater, von denen wir uns einen zu Weihnachten geschenkt haben. Preise sind ein Karussell wie die Temperaturen. W. träumt von einem altmodischen CD-player, weil er viele Lieblings-CDs mitgenommen hat. Niemand hört mehr CDs wie wir Altvordern. In Dithmarschen und Hamburg haben wir mehrere dieser Geräte zurückgelassen, verschenkt oder - weil sie wirklich niemand mehr haben wollte - im Elektromüll entsorgt. Er fand nun eine CD Soundmachine bei einem nepalesischen online-Händler, der soll das Anderthalbfache meines Designerschreibtisches kosten. Der Schreibtisch kostete ungefähr 25 heaters, der anachronistische CD-player würde ganze 36 kosten! Damit könnten wir noch einige Jahrhundertwinter durchheizen. Ich protestiere. Dann lieber bei einem Schrotthändler fragen. Oder einen zweiten Schreibtisch kaufen und CDs über laptop hören! Eine Packung mit 200 gr entsteinten arabischen Datteln kostet soviel wie eine Packung mit 200 gr nicht entsteinten arabischen Datteln. Zusammen mit einer Großpackung (400 gr) Cashewnüssen ungesalzen pure nature soviel wie der neue Wasserkocher. Ein Pfund Kaffeebohnen der Sorte KatmanDU (100% Arabic Coffee, shade grown at an altitude of 1150 - 1300 meters in the foothills of Ganesh Himal, each harvest hand-picked, timely fermented, wet processed and sund-dried) ebenso, Der Wasserkocher selbst ist soviel wert wie ein Dreiviertelheater. Der Halbliterhenkelmann zusammen mit einer Steel Luxury Wasserkaraffe ergibt nochmals einen ganzen heater. Ein Kuchen, ein ganzer Orangenkuchen aus der GATE-Bäckerei, kostet hingegen weniger als ein Zehntelheater. 

Vielleicht ist der heater die Währung unserer Zukunft, nachdem die Post abgeschafft und DHL endgültig aus der Mode gekommen ist. Ein wahrlich ereignisreiches Jahr geht zu Ende! Wünsche alles erdenklich Gute in alle erdenklichen Ecken dieser erdenklichen Welt mit allen, wirklich allen erdenklichen Zeichen und Wundern! 

Dezember 30, 2024

Tamu Lhosar

Die Gurung in Nepal feiern heute Neujahr. Tamu Lhosar. Nach ihrem Kalender ist heute der 15. Poush. Sie folgen, wie die Chinesen, einen 12-Jahrestierkreiszeichenzyklus - haben aber andere Tiere. So verabschiedeten sie gestern Garuda, den wunderbaren und mächtig mythenbeladenen Vogel oder das Reittier in Adlergestalt, und begrüßen die Schlange. Auch in China beginnt beim nächsten Frühlingsfest das Jahr der Schlange. In diesem Jahr verhältnismäßig früh, Ende Januar.

Lhosar ist das Wort für Neujahr aus tibetisch "Lho" (Jahr) und "sar" (neu, Wechsel). Tamu gehört der Volksgruppe Gurung. Auch andere Volksgruppen haben ihre Lhosars, die Tamangs, Sherpas, Hyolmos usw. Nur leider nicht am selben Tag. Die Gurungs starten heute in ein neues Jahr, die Tamangs beim Januar- oder Februarvollmond, die Sherpas während Gyalpo Lhosar, also beim Februar oder Märzvollmond. Das heißt, wir können ab sofort jeden Monat feiern. Unser bisheriges Silvester-/Neujahrstreiben erscheint dagegen ziemlich erbärmlich.    

Tamu Lhosar wird außerdem eine Woche lang gefeiert, aber nur heute ist public holiday - was ich daran merkte, dass heute früh der Müll stehen geblieben ist (er wurde aber am Nachmittag eingesammelt). Vor allen Häusern auf dem Hill. Und dass die Kinder auf der Straße Fußball spielen statt in der Schule zu sitzen. Die Kathmandu Gurungs feiern in Tundikhel mit einem cultural rally. Tänze, Fanfaren, schön gekleidete fröhliche Menschen, Geschnatter und Gefutter, aber auch sportliche Wettkämpfe und Blutspenden.

Dezember 29, 2024

Electrician

Heute also Sonntag. Normaler Arbeitstag. Der Elektriker kommt bei schönstem Sonnenschein auf dem Moped angefahren. Er überprüft nicht funktionierende Steckdosen. Da er nicht ein einziges Wort Englisch spricht, sitzt hinten auf dem Moped ein staff member der landlady, der das Haus in- und auswendig kennt. Er brachte schon gereinigte Vorhänge und verteilte sie auf alle Fenster, strich Wände, entfernte überflüssige Bettstatten usw. Nun also Strom. Auch der alte Elektriker scheint das Haus und seine innersten Geheimnisse und Verknüpfungen gut zu kennen. Auf alle meine Fragen weiß er eine Antwort. Warum das Licht über der Waschmaschine nicht von innen (wo sich zwei Lichtschalter befinden) angeknipst werden kann. Sondern ich die Tür, die gestern der carpenter behaute und beschlug wie ein Hufeisen, öffnen, auf die Dachterrasse treten und dort den richtigen von mindesten 5 Schaltern auswählen muss. Geht nicht anders, erklärt er in einem Wortschwall, den ich ihm nie zugetraut hätte. Von dem ich eine kompakte Übersetzung bekomme: no way! Ich gestehe, dass ich das Licht eigentlich gar nicht brauche, da ich nie nachts wasche. Daraufhin bedankte sich der übersetzende Helfer höflich! Weiter wollte ich wissen, warum ich eine Lampe im Schlafzimmer nicht anmachen kann, auch wenn ich alle Möglichkeiten ausschöpfe, sprich Dutzende von Schaltern betätige. Ohne Erfolg. Ohne Licht. Der electrician bittet um einen Stuhl, steigt hoch und dreht an der Glühbirne. Sie war nicht richtig eingeschraubt. Nun muss noch der richtige Schalter dazu gefunden werden. Er findet ihn zwischen Tür und Schrank am Boden. Ok. Es gibt Schalter zu denen man sich hinabbeugen muss und es gibt Schalter, die man bloß auf Zehenspitzen erreicht. Oder nur auf der Leiter. Es gibt eine unglaubliche Menge an Schaltern in jedem Zimmer, im Treppenhaus über drei Stockwerke hinauf und wieder hinunter, im ganzen Haus innen und außen herum. Weil, um nur eine schmallippige Erklärung zu suchen, zu finden, anzubieten, auch jede Steckdose ein- und ausgeschaltet werden kann und muss - daneben aber Dutzende von Schaltern überflüssig scheinen, da sie ins elektrische Nichts, Nirgendwo oder ins Nirwana führen.

Dezember 28, 2024

Carpenter

Ein trüber Tag wie noch nie. Ich sitze den ganzen Tag in meiner neuen Winterjacke am Schreibtisch - bis der carpenter - Tischler kommt, um knirschende, klemmende Türen wieder gängig zu machen. Heute, am nepalesischen Ruhetag. Der passe ihm am besten, hatte die landlady mitgeteilt. Er selbst spricht, wie fast alle Handwerker hier, so gut wie kein Englisch, jedenfalls kein für mich Verständliches. Er braust mit dem Fahrrad in die Siedlung und wird sofort von der Security angehalten, es nicht auf einem Autoparkplatz abzustellen, sondern in meinem Vorgarten. Er trägt einen Helm und hängt ihn an den Lenker. Ansonsten hat er nur eine Plastiktüte voller Kleinwerkzeug dabei. Einen Tischlerhammer, eine Zange, mehrere Schraubendreher und so etwas wie einen Spalter. Holzspalter. Damit haut er immer wieder kleinste Splitter von der Tür oder deren Rahmen. Veranstaltet einen Lärm, dass Gott - oder Shiva erbarm.

Dezember 27, 2024

Pasikot

Ich suche Landwege. Weiche in den Westen der Magistrale aus und laufe nach Norden. Befinde mich sofort in rural area: hier wir gepflanzt, geerntet, gewässert, gehütet. Ich sehe seit Monaten zum ersten Mal wieder Schafe. Und natürlich wie überall an den Straßenecken angebundene Ziegen und Kühe. Manche werden auch spazieren geführt. Freilaufende Hühner. Viele an der Sonne dösende Hunde. Sehr entspannt. Sehr warm. Ich laufe weiter nach Pasikot und weiter nach Norden. Bis ich den Tempel erreiche und das valley fast verlassen habe, und die Sonne bereits am Untergehen ist.

Dezember 26, 2024

si:ʤi:

Die getigerte Katze hat zu Weihnachten einen Namen bekommen, auf den sie hört, als hätte sie nie einen anderen gehabt: SEE-GEE [si:ʤi:]! Das GEE [ʤi:] zischt heimtückisch nach dem stimmlos und scharf die Luft wie ein Schwert durchschneidenden SEE [si:] durch die Siedlung und holt sie zu mir vor das Küchenfenster. Wenn die Sonne untergeht. Wenn die Zeit gekommen ist. Wenn ich sie zum Essen rufe wie ein draußen herumtrödelndes Kind. Dann kommt sie angetrabt, oder wartet schon in sicherer Entfernung, versteckt unter dem Busch aus Angst (vor mir) und voller Gier (auf mein Futter). Sie ist scheu, aber raffiniert. Ein taktisches Weib (nehme ich mal an) mit eiskalten türkisblauen Augen. Sie hat den Revierkampf schnell und unblutig für sich entschieden. Die schwarzgepunktete weiße, auch magere, auch ausgehungerte vielleicht auch weibliche Katze schleicht nur noch in großem Bogen um unser Haus herum. Obwohl sie zuerst da war und mich als erste willkommen hieß.

SEE-GEE. Das Biest! Zweisilbig, Betonung auf der letzten. Von see wie sehen und gee wie flapsig wow, Wahnsinn oder zu gut deutsch: Mannomann! Katzokatz! Frauofrau. Mit Kindern spricht man anders: gee-gee: Huhu! Hu! Hüh! Hühü! Hott! Hottehüh! Hüttehoh! Passt doch! Unter Erwachsenen aber, lerne ich, bedeutet to gee up sb: jemandem [tüchtig, richtig] einheizen (uns unter dem Abendbrottisch) oder jemanden auf Trab bringen. Für Katze am besten in der Endlosschleife si:ʤi:, si:ʤi: ... si:ʤi:, si:ʤi: ... si:ʤi:, si:ʤi:!