Freitag, Dezember 12, 2025

सुकुन्दा

Alles ist hier mehrstöckig. Ich sagte es bereits. Das Land ist steil und zerklüftet. Voller Berge und Täler. Auch die Stadt. Nach einem guten Jahr lernen wir, nach oben zu gucken, wenn ebenerdig nur Werkzeug oder rohes Fleisch verkauft wird. Wir sind auf der Suche nach Sukunda, einem Newari Restaurant um die Ecke. Geschrieben सुकुन्डा oder सुकुन्दा. Geht immer beides. Wir müssen eine steile Treppe hochsteigen und werden von oben bereits freundlichst beäugt. Alle gucken. Die Raucher (eine Raucherkneipe), die Kinder, die Oma, die Köchin, der Kellner (ein Familienbetrieb). Wir essen wunderbare Speisen und von allem viel zu viel!

Zu Hause lerne ich, dass auch Sukunda mit dem See zu tun hat, auf dessen Grund wir leben. Ob unten im Tal oder oben auf dem Hill, Licht ist immer vonnöten. Sukunda ist die Öllampe der Newaris. Sie wurde von einem Newari-Kufpergießer im 19. Jahrhundert geschaffen und bildet in ihrem ästhetischen Konzept, wie es heißt, die traditionellen Werte ab. "Su" bedeutet schön und "kunda" See. Die Lampe ist verziert mit symbolträchtigen Figuren (dafür gibt es den Begriff Symb-oil-ism), so verschiedener Schlangen, einer elfköpfigen Kobra zum Beispiel, die die Nagarajas, die einstigen Bewohner und Besitzer den Sees verkörpern sowie den Göttern Ganesh, Krishna, Vishnu, Garuda usw. Sie wird heute von Buddhisten und Hindus benützt und zu Beginn aller feierlichen und unfeierlichen (wie Konferenzen und anderen Zusammenkünften, Preisverleihungen, Diplomfeiern usw) Anlässen entzündet.

Donnerstag, Dezember 11, 2025

Turn

Turn ist das gruppetto der Musiknotation. Ein stilisiertes S über oder neben der Note. Zeigt eine barocke Verzierung an, schlangenförmig wie das S. Die Hauptnote wird durch die unteren und oberen Nebentöne umspielt.  

Es gibt Turns, umgekehrte Turns, gespiegelte Turns und durchgestrichene Turns - sie geben jeweils die Reihenfolge vor. Von oben nach unten oder von unten nach oben. Diese Turns, die musikalischen gruppettos sind wohlklingend, ausschmückend, auf das Schöne und den Effekt, das Resultat bedacht, kooperativ und solidarisch. Wie die Radler.

Ich lese (hier gibt es alles dazu, quer durch die Jahrhunderte, quer durch die Sprachen), dass es Doppelschläge gibt, die verschieden angeschlagen oder angesungen werden. Man hat dafür Wörter wie Variiertriller, Pralltriller, Schleifer,  Mordent usw gefunden. Auch gibt es in der Musik Punkte mit Zeitwert, sie treten einzeln oder zu zweit auf (ohne Doppelpunkte zu sein), sind kleiner oder größer. Die Zeit beim Musizieren muss entsprechend eingehalten werden. 

Mittwoch, Dezember 10, 2025

weiß-rot

Es gibt einen zweiten Tempel über meinem bescheidenen kleinen Shivatempel. Hier ist alles steil und übereinander gestapelt. Der zweite Tempel (vielleicht war es einst der erste oder ist überhaupt die ursprünglich heilige Stätte) steht auf dem höchsten Punkt unseres bescheidenen kleinen Hills und hat kein Dach. Ich laufe täglich daran vorbei, bevor ich die steile Steintreppe mit den überdimensionierten Stufen hinunter zu meinem Laxmibaum nehme. Der open air Tempel ist mächtig, rechteckig und rundum gut gepflegt in den Farben Polens oder der Schweiz oder eben in buddhistisch-hinduistisch weiß für Reinheit und rot für Macht oder Leidenschaft. Tempel Zwo wird genau einmal im Jahr einen ganzen Tag lang mit Pauken, Trompeten und Trommeln von einer kleinen Gemeinde besucht. Mit einem halben Dutzend Ziegen, zwei Schlachtern, einem Priester unter einem Baldachin, vielen Begleitern und Helfern sowie rot gekleideten Frauen mit diversen Gaben. Auf der Wiese daneben (hinter unserem communityeigenen swimming pool) wird seit dem frühen Morgen jeweils gekocht in einer ad hoc installierten open air Küche. Riesige Mengen von Reis und Gemüse, Tellern und Gläsern, Gas- und Wasserflaschen werden herangeschafft. Stapelweise blaue Plastikstühle. Es ist immer derselbe Tag im Mondkalender, ungefähr fünf Tage nach Yomari Punhi oder nach Mangsir Vollmond. Jedenfalls war das letztes Jahr so und in diesem. Mehr Beobachtungszeitraum steht mir noch nicht zur Verfügung, aber so viel immerhin!

Innen gibt es eine Art Altar. Normalerweise liegen darauf nur schöne große runde Steine. Heute, am Tage danach, sieht er reich geschmückt und rundum blutverschmiert aus. Von den Ziegen ist nichts anderes mehr übrig. Ich knipse durch die Gitterstäbe. Das Tor ist das restliche Jahr über verschlossen. 

Das Blau über allem - der Himmel! - ist authentisch. So ist das Wetter in Kathmandu am 10. Dezember. Vor 32 Jahren haben wir in Warschau geheiratet. Es war bitterkalt und wir stapften durch kniehohen Schnee. Der Himmel war bleiern und bereits dunkel, als wir beim Standesamt eintrafen. Mäntel und Stiefel legten wir an der Garderobe ab und ich zog meine edlen gletschernelkenrosa Ballypumps aus der Tasche, die mir immer zu klein waren!

Dienstag, Dezember 09, 2025

Calotes versicolor

Auch mir werden Tieropfer dargebracht. Über Nacht hat mir eine der Katzen, vermute ich, wieder ein Geschenk vor die Tür gelegt. Tom ist schon lange nicht mehr da, dafür sind die anderen umso übermütiger. Eine Schönechse, wie ich vermute, mit elegant langem Schwanz. Aber sie bewegt sich nicht mehr und der Schwanz ist stocksteif. Wahrscheinlich war sie für ihren Mörder zu wenig ertragreich. Die Mühe lohnt nicht, den Panzer aufzubrechen und nach Fett oder Eiweiß zu suchen. Wobei das gar kein Panzer ist. Vielleicht ist es auch eine Blutsaugeragame. Beide gehören zu der Gruppe der calotes versicilor. Sie ist größer als alle Geckos, die ich im Haus und rund um das Haus sehe. Hat tatsächlich einen roten Hals, aber wie ich vermute blutunterlaufen, von Katzenzähnen zerbissen oder einer spitzen Kralle aufgekratzt. Sie liegt auf dem Rücken und zeigt mir auch auf der schmalen Brust eine Wunde. Ich trage sie an den Rand meines Gartens, hinter den jungen Feigenbaum und bedecke sie mit heruntergefallenen immer noch roten Papierblumenblütenblättern.

Montag, Dezember 08, 2025

Bougainville

Meine Papierblume hat den cleaning Staub der Teerarbeiten in unserer community einfach wieder abgeschüttelt und blüht stürmisch karmesin- oder purpurrot weiter. Kaum habe ich mir ihren botanischen Namen gemerkt - Bougainvillea - drängt sich ihr zweieiiger Zwilling - Bougainville in die Weltpresse. Und will ein eigenes Land werden.

Bougainville ist eine ehemalige deutsche Kolonie, eine bis heute winzige Insel im Pazifik, geographisch Teil des Salomonen-Archipels, politisch seit 2001 (nach einem blutigen Bürgerkrieg) eine autonome Provinz Papua-Neuguineas, wörtlich: Autonomous Bougainville Government (ABG). 

Nun wollen die etwa 250 Tausend Bougainvilleaner und Bougainvilleanerinnen (matrilinear organisiert!) unabhängig werden. Selbständig. Ein eigenes Land sein. Das 194. Land der Erde. 193 haben wir schon. Die Inselbewohner sprechen ungefähr 30 verschiedene Sprachen, aber das ist im Vergleich zu Papua-Neuguinea mit seinen etwa 800 (die bougainvilleanischen austronesischen und polynesischen wie  Askopan, Bannoni, Hahon, Lantanai, Naasiao, Nukumanu, Saposa, Takuu, Torau usw usf sowie das ausgestorbene Südostbougainvilleanesische Uruava nicht eingerechnet) Sprachen nicht viel.

Sonntag, Dezember 07, 2025

Schlaglöcher

Wir haben wieder ungesunde Luft. Und dies ist erst der Anfang. Der Anfang des Winters, der Anfang des Abbrennens von Feldern im Terai (oder in Indien, wie böse Zungen sagen) nach der Ernte, der Anfang von Kälte, die alle mit allen Mitteln zu bekämpfen suchen - und verbrennen, was geht. Die Straßenbauer sagen, der meiste Staub werde durch die Schlaglöcher aufgewirbelt und man sei bereits dabei, so viele wie möglich zu stopfen. Aber dann kämen Elektriker, die Stromleitungen aus der Luft unter den Boden verlegten. Und die reißen die gerade sanierten Straßen wieder auf. Oder Wassermänner, die notfallmäßig Leitungsbrüche beheben müssen. Und so weiter und so fort. Keiner weiß, was der andere tut, aber jeder tut nur sein bestes. W hat dafür einen wissenschaftlichen Fachbegriff gefunden (beim Radsport!) und in einen neuen Kontext gestellt: "gruppetto". Und ich darf ihn hier wörtlich (in english - unsere neue Umgangssprache) zitieren: "The wedding party confirmed my impression that cooperation beyond gruppettos is not in the DNA of Nepali." Kurz und bündig. 

Wir waren kürzlich nämlich eingeladen zu einer Newari-Hochzeit und haben 5 Stunden lang mehr oder weniger nur Fleisch gegessen. Die Braut erschien ungefähr zur Halbzeit und setzte sich unter tosendem Beifall zum lächelnden Bräutigam (die Zeremonienmeister waren sich nicht einig, wer zu wessen Seite Platz nehmen soll und sie wechselten auf dem roten Plüschsofa unter rotweißen Blumengirlanden mehrmals hin und her). Ein Mann, dem ein roter Schal umgelegt wurde zum Zeichen seiner priesterlichen Würde, verrichtete Eheschließungsrituale, die wir weder verstanden noch verfolgen konnten, da ungefähr 300 Gäste zugegen waren, die schnatterten, tranken, aßen und sich pudelwohl fühlten. Nun atmen wir wieder ungesunde Luft ein.

Samstag, Dezember 06, 2025

Blick aufs Ganze

Hier der Blick aufs Ganze, bei Sonnenaufgang vom Dach erfasst. Morgenrotweiß und hoch aufrecht die mehrstöckige Hinterseite der Budhanilkantha Municipality. Auf dem neuen schrägen Parking ein einsames Motorrad. Es ist Samstag. Wochenende. Niemand außer dem Nachtportier arbeitet. Darunter, ein Stück auf mich zu, der Betrachterin vom Dach, endet die neue Straße abrupt im Niemandsland. Daneben und halb darüber, davor, längs und in einem ganz anderen Winkel auch schräg der ordentlich eingezäunte Tempelvorplatz mit Bodhibaum (rot umrandet), dem viereckigen, weiß gefliesten Kubus, auf dem Shiva und Parvati sitzen. Das im Morgen noch schattige Dunkelgrün rechts daneben gehört dem Laxmibaum, in dem Ganesh sitzt. Der Baum ist so reich und ausladend, dass er den kleinen Tempel aus meiner hohen Sicht ganz unter sich verbirgt. Über allem ragt hinten die Spitze des Funkturms der Nepal Telecom Hattigauda in den Himmel. Und vor allem Wüstenei! Ein Teil (der mit dem sinnlos in der Gegend stehenden Wassertank) gehört zu unserer Community, jedenfalls werfen meine Nachbarn da regelmäßig ihren Gartenmüll ab und kürzlich, vor Tihar, versuchte der Community Manager dem Zeug Herr zu werden, indem er es an verschiedenen Stellen anzündete. Der andere ist in Privatbesitz oder im Besitz der öffentlichen Hand. Was immer das bedeutet. Jedenfalls warfen da kürzlich Beauftragte der Municipality, die alles Gestrüpp radikal von den Hängen rodeten, ihre halben und ganzen Bäume sowie anderen Großgrünschnitt ab.

This is Nepal, Kathmandu, the Capital City on a Saturday Morning!